Afghanische Fußballerin Khalida Popal

Die Stimme der stimmlosen Frauen

06:04 Minuten
Die Fußballerin Khalida Popal blickt im Fußballdress durch ein Tornetz in ihrem Verein in Dänemark.
Setzt sich für ihre Sportskameradinnen ein: Khalida Popal. © imago / Ritzau Scanpix
Von Jutta Heeß · 05.09.2021
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Fußballerin Khalida Popal musste vor einigen Jahren selbst aus Afghanistan fliehen. Jetzt hilft sie anderen afghanischen Fußballerinnen. Einigen konnte sie bereits zur Flucht verhelfen - anderen kann sie derzeit nur Tipps geben.
Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan wollen viele Menschen das Land verlassen. Vor allem diejenigen, die sich zuletzt für Freiheit und Gleichberechtigung eingesetzt haben. Sie sind den Islamisten ein Dorn im Auge, sie fürchten besondere Repressalien oder sogar den Tod.
Für Aufmerksamkeit sorgte gerade die spektakuläre Rettung der Fußballnationalmannschaft der Frauen. 75 Personen – Spielerinnen, Verwandte und Funktionäre – wurden nach Australien ausgeflogen. Beteiligt an dieser Mission war die ehemalige Nationalspielerin Khalida Popal, die seit 2016 in Dänemark im Exil lebt. Jutta Heeß hat sie im Klubhaus ihres Vereins erreicht und mit ihr gesprochen.

Sorge um die Fußballerinnen, die noch in Afghanistan sind

Den Stress der vergangenen Wochen sieht man Khalida Popal nicht an. Ruhig, konzentriert und ausführlich beantwortet die 34-Jährige im Skype-Interview Fragen zur Befreiung der Fußballerinnen aus Afghanistan. Sie ist selbst vor den Taliban geflohen; 2007 hatte sie die Frauenfußballnationalmannschaft mitbegründet, nach Morddrohungen musste sie ihr Heimatland verlassen. Sie arbeitet nun als Sportmanagerin in einem dänischen Verein.
Fußballerin Khalida Popal am Bildschirm bei einem Gespräch über Skype.
Aufgeben ist keine Option: Fußballerin Khalida Popal ist den Taliban entkommen.© Deutschlandradio
Nach der Machtübernahme der Taliban Mitte August war sie in großer Sorge um die Fußballerinnen, die noch im Land leben. Frauen, die Fußball spielen – das ist unter dem Regime der Taliban unvorstellbar, ja lebensgefährlich. Khalida Popal erzählt, wie ihre Rettungsaktion begann. Während des Interviews erreichen sie immer wieder Textnachrichten auf ihrem Handy.
"Ich habe einige unserer Spielerinnen in Afghanistan kontaktiert und gefragt, wie es ihnen geht. Ich hatte gehofft, dass sie Afghanistan bereits verlassen hätten. Aber sie sagten, dass sie dort festsitzen und dass der Feind das Land übernommen habe. Sie waren traurig und weinten. Sie hatten Angst um ihr Leben und um ihre Zukunft. Sie waren besorgt, dass die Taliban sie identifizieren würden. Sie gerieten in Panik. Sie waren verängstigt."

Spuren verwischen um zu überleben

Khalida Popal riet den Fußballerinnen, ihre Trikots zu verbrennen und alle Hinweise auf ihren Sport in den sozialen Netzwerken zu löschen. Nach vielen Jahren, in denen Frauenfußball in Afghanistan sichtbarer und akzeptierter wurde, musste im Handstreich alles ausradiert werden – zum Schutz der betroffenen Mädchen und Frauen.
Gemeinsam mit der Fußballergewerkschaft FIFPro und anderen Aktivistinnen und Aktivisten lotste Khalida Popal die Spielerinnen und ihre Angehörigen zum Flughafen in Kabul, motivierte sie, sprach ihnen Mut zu. Am Ende gelang es dem Hilfsteam, einen Flug nach Australien zu organisieren.
"Wir haben uns an die Medien gewandt. Und dann meldeten sich kleine Organisationen, gemeinnützige und humanitäre Organisationen, um mir zu helfen. Und so begannen wir, ein Team zu gründen, mit der ehemaligen Trainerin der Nationalmannschaft und einigen unserer ehemaligen Mitspielerinnen. Wir arbeiteten Tag und Nacht, um die Frauen rauszubekommen. Ich habe die Macht, die Stimme der stimmlosen Frauen zu sein. Und ich werde meine Macht nutzen. Ich werde sie nutzen, um noch mehr Frauen und Mädchen zu ermutigen und um Unterstützung für meine Mädchen zu bekommen."

Von den großen Sportorganisationen im Stich gelassen

Immer wieder meldet sich das Handy von Khalida Popal. Sie sagt, dass sie zu weiteren Sportlerinnen in Afghanistan Kontakt habe und sich um ihre Ausreise bemühe. Vonseiten der großen Sportorganisationen sei bisher keine Unterstützung gekommen.
"Zum dem Zeitpunkt, an dem sie hätten mitmachen müssen, haben sie es nicht getan. Wie immer, typisch. Sie haben sich unserem Team nicht angeschlossen. Wir hätten viel mehr Leben retten können. Aber diese großen Organisationen sind nicht aufgetaucht. Ich bin niemand, ich sitze in Dänemark, ich bin ein Flüchtling. Ich arbeite als Programmkoordinatorin in einem lokalen Fußballverein. Ich bin nicht die Fifa und nicht die Uefa, ich bin nicht das Internationale Olympische Komitee. Aber ich versuche mein Bestes, um einen Weg zu finden. Diese Organisationen haben so viele Berater. Ich habe keine Berater, ich habe keine Leute, die für mich arbeiten. Und genau das Gleiche gilt für die anderen Helfer, die unserem Team beigetreten sind."
Mittlerweile bemühe sich auch die Fifa um die Evakuierung von Athletinnen und Athleten aus Afghanistan, erklärt ein Sprecher des Fußballweltverbandes. Doch die Flucht allein ist noch keine Erfolgsgeschichte. Die Menschen, die dank Khalida Popals Einsatz in Australien in Sicherheit sind, leiden enorm unter den Erlebnissen und dem Verlust ihrer Heimat.
"Sie leiden seelisch. Sie standen unter Druck und sind traumatisiert. Ihre Körper waren in den letzten Wochen immer in Alarmbereitschaft, denn das passierte alles nicht plötzlich, sondern sie haben wie ich beobachtet, wie das Land zusammenbricht, wie die Taliban eine Provinz nach der anderen erobern. Das ist beängstigend."

Das härteste Match ihres Lebens

Khalida Popal kennt diese Gefühle selbst. Auch sie musste aus ihrem Heimatland fliehen, Familie und Freunde zurücklassen. Ihre Hoffnung auf Rückkehr und auf eine bessere Zukunft Afghanistans ist verflogen. Der Sport, den die Afghanen so lieben und der besonders für Frauen zuletzt ein Weg in die Freiheit war, wird unter den Taliban voraussichtlich komplett unterdrückt werden.
Doch Aufgeben, das ist keine Option für die ehemalige Fußballerin. Was sie in diesen Tagen erlebt, sei das härteste Match ihres Lebens, sagt sie.
Und sie kündigt an, weiter zu kämpfen. Mit ihrem Handy und ihrer Stimme.
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