AfD will vor dem Bundesverfassungsgericht klagen

Taktieren mit Hammelsprung

03:43 Minuten
Reichstagsgebäude bei Nacht in Berlin.
Es dominiert die Skandalisierung der nächtlichen Entscheidung und die ausgiebige Opferhaltung bei der AfD. © picture alliance / chromorange / Marcel Ibold
Kommentar von Nadine Lindner · 14.08.2019
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Ende Juni, nachts um halb zwei, wollte die AfD die Beschlussfähigkeit des Bundestages prüfen. Weil der Hammelsprung abgelehnt wurde, will die Partei nun vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Eine im Kern sinnvolle Frage wird so zur hämischen Kampagne.
Es war eine bemerkenswerte Pressekonferenz, die viel über den Blick auf Politik von innen und außen lehrte. Die AfD-Fraktion stellte einen Antrag auf einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht vor, um gegen einen nächtens verweigerten Hammelsprung zu protestieren. Und in den hinteren Reihen nahm eine Besuchergruppe der AfD Platz.
Aus den Augenwinkeln sahen die Hauptstadtjournalisten, wie die Gäste eifrig nickten bei einer Frage der AfD, die tatsächlich berechtigt ist: Wie kann es sein, dass der Bundestag laut Geschäftsordnung die Hälfte seiner Mitglieder, also 355 braucht, um beschlussfähig zu sein und dann nachts bei unter 100 Abgeordneten entschieden wird, dass alles mit rechten Dinge zugehe?
Für die AfD – ein Skandal und aus Sicht der AfD-Anhänger eine einfache Sache.

Es fallen einige Ungereimtheiten auf

Doch es lohnt sich, den Blick auf die technischen Prozesse des Parlamentsbetriebs zu lenken. Denn dabei fallen einige Ungereimtheiten auf. So war die AfD-Fraktion selbst nur mit 12 ihrer 91 Abgeordneten vertreten, nicht schlechter, aber auch nicht besser als die anderen Fraktionen. Hinzu kommt: Die AfD hatte in dieser Nacht lange einen Schriftführer im Sitzungsvorstand sitzen.
Wenn die Fraktion wirklich gewollt hätte, hätte sie in dieser Zeit leicht einen Hammelsprung herbeiführen können. Ganz ohne Wehklagen über die vermeintliche Ausgrenzung, ganz ohne Gang nach Karlsruhe, nur durch Anwendung der Regeln, die für alle anderen gelten. Denn der Schriftführer kann bei der Feststellung der Beschlussfähigkeit widersprechen und wenn es im Sitzungsvorstand keine Einigkeit gibt, dann folgt ein Hammelsprung. So sieht es die Geschäftsordnung des Bundestags vor. Doch der Wunsch nach einem Hammelsprung kam erst, nachdem der AfD-Schriftführer weg war. Das wirkt wie Taktieren.
Das AfD-Argument, man habe auf die wichtige EU-Datenschutzneuregelung gewartet, kommt selbst bei der eigenen Pressekonferenz kaum zum Tragen und wirkt deshalb konstruiert. Dass eine Lieblingsfeindin der AfD, die Grüne Claudia Roth die Sitzungsleitung hatte, kommt der AfD dabei nicht ungelegen, sie steht im Zentrum der Kritik, Roth sei wohl überfordert gewesen.

Eine sinnvolle Frage wird zur hämischen Kampagne

Damit überdeckt die AfD - wieder einmal - eine im Kern sinnvolle Fragestellung der Opposition nach der nächtlichen Beschlussfähigkeit mit einer hämischen Kampagne gegen ihre politischen Gegner. Denn die Geschäftsordnung des Bundestags liest sich bei der Feststellung der Beschlussfähigkeit widersprüchlich und interpretationsbedürftig. Eine Klärung in der Sache wäre gut.
Am Ende aber dominiert die Skandalisierung der nächtlichen Entscheidung sowie die ausgiebige Opferhaltung bei der AfD. Und bei der Besuchergruppe mit ihrem Blick von außen, das Unverständnis über die scheinbar kleinteiligen Journalistenfragen. Das birgt die Gefahr der weiteren Entfremdung. Es bleibt ein schaler Nachgeschmack der unnötigen Überspitzung.
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