AfD in Hessen

Wahlkampf im Namen des Kreuzes

Ein Plakat der AfD in Hessen mit der Aufschrift: "Kreuzpflicht".
"Kreuzpflicht"? © imago / Hartenfelser
Von Ludger Fittkau · 22.10.2018
Fulda ist eine AfD-Hochburg: Ex-Bürgermeister Martin Hohmann ruft dort im Namen der AfD zur "Kreuzpflicht" auf. Der glühende Islamgegner beruft sich auf christliche Werte und will der CDU so Konkurrenz machen.
"Der Islam gehört zu Frau Merkel, aber Frau Merkel gehört nicht zu Deutschland!"
Der Islam soll wieder weg aus dem Land und die Bundeskanzlerin gleich mit. Am besten vielleicht in die Hölle? Solche Horrorszenarien schießen mir in den Kopf, hier inmitten der Wahlveranstaltung der AfD in Fulda.

Die AfD betont "christliche Werte"

"Kreuzpflicht". Mit diesem Plakat werden rund 120 Besucherinnen und Besucher empfangen. Pierre Lamely, AfD-Kandidat für den Wahlkreis 15 in Fulda, hat es aufgestellt:
"Das heißt natürlich, dass die Leute am 28. Oktober beide Kreuze bei der AfD machen sollen. Und natürlich ist es auch ein charmantes Wortspiel im Hinblick auf unsere christlichen Werte."
Ich fühle mich allerdings sofort an Markus Söder und sein Kruzifix-Gebot in öffentlichen Einrichtungen Bayerns erinnert. Nein, Söder sei nicht ihr Vorbild, so Pierre Lamely:
"Nee, eigentlich nicht. Wir denken hier eigentlich an den Heiligen Bonifatius".
Der Namensgeber des katholischen Bistums Fulda. Spätestens jetzt kommt mir auch der ehemalige Fuldaer Erzbischof Johannes Dyba in den Sinn. Der war von 1983 bis zu seinem Tod im Jahr 2000 Ortsbischof in der osthessischen Stadt. Gleichzeitig war er in dieser Zeit der Rechtsaußen der deutschen katholischen Bischöfe. Erzkonservativer Gegenspieler des liberalen Mainzer Kardinals Lehmann, der den Geist der Katholiken im Rhein-Main Gebiet geprägt hat, wo ich lebe.
Nun bin ich mitten im Dyba-Land, denke ich. Kreuzpflicht. Doch es geht bei den "christlichen Werten", die die AfD meint, nicht unbedingt um die Katholiken. Das macht später Vera Kosova deutlich. Die Russland-Deutsche ist Vorsitzende der frisch gegründeten Jüdischen Bundesvereinigung in der AfD und wird mit großem Beifall empfangen:
"Ich bin ja die Vertreterin der Juden in der AfD. Aber jetzt allgemein gesprochen, wenn man jetzt die russische Orthodoxie zum Beispiel nimmt: Ganz klar ein traditionelles Familienbild, respektive Abtreibungspolitik. Das ist das, was uns eigentlich antreibt."

"Wir sprechen hier ein sehr konservatives Publikum an"

Auch Andreas Kalbitz - Fraktionsvorsitzender der AfD im brandenburgischen Landtag und dem völkischen Flügel der Partei um Björn Höcke zugerechnet – betont an diesem Abend, wie wichtig die Russland-Deutschen seien. Selbst wenn es in Teilen dieser Klientel Sympathien für Putin gibt:
"Es geht nicht darum, zu sagen, wir sind jetzt Putin-Versteher oder 'Putin hilf', was immer so unterstellt wird. Dem ist nicht so. Aber wir suchen diesen Ausgleich und Ja, wir sprechen hier ein sehr konservatives Publikum an, das in vielen Bereichen auch unsere Wertehaltung teilt. Und deswegen sind wir da auf fruchtbaren Boden gestoßen und sind mit den Menschen im Gespräch."
Jens Mierdel lebt in Neuhof bei Fulda und ist AfD-Kandidat im Wahlkreis 14:
"Speziell hier in Fulda gibt es Stadtteile, wo die Russland-Deutschen vermehrt anzutreffen sind und wir wollten speziell diese Zielgruppe ansprechen. Weil wir auch dieser Zielgruppe aufzeigen wollten, dass wir speziell für die christlichen Werte hier in Deutschland stehen und dass wir für diese Wählergruppe auch eine Alternative sind, speziell dann auch eine Alternative zur CDU."

Antisemitismus als "Entgleisung"

Martin Hohmann ist in der Region Fulda der bekannteste Politiker, der mal CDU-Mitglied war und jetzt für die AfD im Bundestag sitzt. Aus der CDU wurde er 2004 wegen seiner antisemitischen Äußerungen ausgeschlossen. Vera Kosova spricht von "Entgleisungen", die er sich damals geleistet habe:
"Das ist kritisch zu hinterfragen und ich bin ganz bei Ihrer Kritik. Wir sehen das auch sehr skeptisch und die Kritik hat er ja auch bekommen".
Doch Vera Kosova ist nun bereit, Hohmann zu verzeihen. Der war für die Veranstaltung angekündigt, sei aber in Berlin verhindert, so heißt es:
"Die Auseinandersetzung mit dem Herrn Hohmann, also mit seiner Affäre, die fand ja auch statt. Und ich denke mir, dass er auch gelernt hat. Er hat sich auch entschuldigt für diese Entgleisungen und somit ist das für mich auch erledigt."

"Blind Date" mit den Wählern

Ortswechsel. Auch Rainer Rahn, der Spitzenkandidat der hessischen AfD, will nach vorne blicken. Dazu fährt er nicht nach Fulda, sondern Richtung Mittelhessen. Er sitzt in einem Kleinbus auf dem Weg von Frankfurt am Main nach Wetzlar.
Rainer Rahn hat jedoch anders als seine Parteifreunde in Fulda sichtbar schlechte Laune. Sein Landesvorstand hatte ihm geraten, an einem sogenannten "Blind Date" teilzunehmen, das der Hessische Rundfunk für alle Spitzenkandidaten organisiert hat. Ohne zu wissen, auf welche Wählergruppe sie treffen, werden die Politiker zu Orten gefahren, wo sie mit Menschen sprechen, die möglichst weit von ihren inhaltlichen Positionen entfernt sind. Ein Fernsehmann spricht Rahn während der Fahrt an:
"Haben Sie so was schon mal mitgemacht, was wir jetzt hier machen?"
"Nee!"
"Und wie finden Sie das, was wir jetzt hier machen?
"Scheiße."

Der AfD-Politiker will zurück

Obwohl Rahn zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, auf wen er am Ende treffen wird, verliert er nach einer Stunde Fahrzeit die Geduld. Er möchte nach Frankfurt zurückgefahren werden. Die Reporterin, die am Zielort auf Rahn wartet, versucht ihn am Telefon zur Weiterfahrt zu animieren:
"Wir versprechen Ihnen, dass Sie rechtzeitig wieder da sind. Wir hatten Sie ja für diese Zeit geblockt und es war ja auch Teil des Spiels zu sagen: Wir fahren Sie irgendwo hin, Sie wissen vorher nicht wohin, und deswegen konnte ich Ihnen das nicht sagen. Und hier haben Sie die Möglichkeit, Ihre Standpunkte zu vertreten."
"Die habe ich in Frankfurt auch!"
"Aber Sie sind doch nicht nur für die Wähler in Frankfurt da, Sie sind doch auch für die Wähler in Mittelhessen zum Beispiel da."
Es gelingt jedoch nicht, Rahn zur Weiterfahrt zu bewegen. Was er verpasst, ist ein Gespräch mit Flüchtlingshelferinnen in Wetzlar und einem syrischen Flüchtling. Die Enttäuschung ist groß, man hatte sich auf das Gespräch intensiv vorbereitet und eigens das Wahlprogramm der AfD gelesen:
"Das finde ich respektlos, muss ich wirklich sagen. Gegenüber allen."
"Ich hatte mich sehr gefreut, mit jemandem, der tatsächlich Ahnung hat und damit was zu tun hat, so ein paar Fragen zu stellen, die ich mich ständig frage."
"Was wäre das gewesen?"
"Ja im Prinzip: Warum sollen wir hier nicht sein?"

Das Schreckensszenario der AfD

Die ehrliche Antwort gibt der osthessische AfD- Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann auf seiner Homepage. Die Bundesregierung, so Hohmann, betreibe eine "gezielte Ansiedlung von Menschen aus fremden Kulturkreisen". Das werde womöglich bis 2050 zu einer Verdoppelung des islamischen Bevölkerungsanteils führen. Am Ende, so Hohmanns Schreckens-Szenario, wäre dann "auf "demokratische Weise aufgrund der demographischen Verhältnisse die Scharia durchgesetzt." Deshalb sollte der Flüchtling aus Wetzlar eben nicht hier sein – genauso wie am besten alle anderen Flüchtlinge islamischen Glaubens.
Kreuzpflicht eben . Der Unterschied zu früher: Es darf heute auch gerne ein russisch-orthodoxes Kreuz sein oder auch mal eine Kippa. Am Ende seiner Wahlkampfrede in Fulda posiert sich Andreas Kalbitz noch schnell für Handy-Fotos mit der deutsch-russischen Jüdin Vera Kosova:
"Das ist für uns ein nicht unerhebliches Wählerpotential."
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