Äußere Zwänge und innere Wünsche

25.08.2010
Die US-Historikerin Deborah Hertz hat untersucht, warum in Berlin lebende Juden im 18. und 19. Jahrhundert zum Christentum konvertiert sind - viele von ihnen wollten sich "innerlich deutscher" fühlen.
Deborah Hertz, Professorin der Universität von Kalifornien in San Diego, veröffentlichte 1991 ein Buch über die Berliner Salons zu Beginn des 19. Jahrhunderts - jener kurzen Zeit, in der die viel zitierte deutsch-jüdische Symbiose denkbar erschien. Mit ihrem neuen Buch widmet sie sich erneut dieser Zeit. Zwar verweist der Untertitel auf die Konversion von Juden in einem Zeitraum von zwei Jahrhunderten (1645 bis 1833), doch Schwerpunkt der Untersuchung sind die Jahre des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts.

Deborah Hertz untersucht äußere Zwänge und innere Wünsche, politische, wirtschaftliche, kulturelle und persönliche Lebensumstände von Berliner Juden am Beispiel prominenter Familien und Einzelpersonen – der Kaufleute und Bankiers Ephraim, Itzig, Isaak, die Mendelssohns, Beers, Rahel Varnhagen, Henriette Herz. Die Jahre von 1645 bis 1770 bezeichnet die Autorin als "Epoche religiöser Konversion". Die Zeit von 1771 bis 1810 steht bei ihr im Zeichen von Aufklärung, Emanzipation und französischer Herrschaft in Preußen.

Der Anstoß, über das Thema der Konversion zu schreiben, liegt lange zurück: Bei Recherchen für ihre Doktorarbeit stieß die 1949 geborene Amerikanerin in einem Berliner Kirchenarchiv auf sechzig Karteikartenordner. Sie enthielten die sogenannte "Fremdstämmigenkartei" – angelegt auf Betreiben der NS-Regierung unter Mitwirkung protestantischer Pfarrer und des Gesamtarchivs der deutschen Juden. In der Kartei waren alle Berliner erfasst, die zwischen 1645 und 1933 vom Judentum- zum Protestantismus konvertiert waren. Für die Wissenschaftlerin bestand die zentrale Herausforderung darin, "zu zeigen, warum die Zahl der Taufen Anfang des 19. Jahrhunderts in Berlin so hoch war."

Sie zeigt, dass es nach jüdischem Selbstverständnis durchaus möglich war, Jude und Deutscher zu sein: Juden nahmen als Patrioten an den Befreiungskriegen gegen Napoleon teil und traten nationalen Turnvereinen und Burschenschaften bei - doch blieben diese Deutschen in den Augen ihrer Kameraden vor allem Juden.

"Lutheraner zu werden, war eine nachhaltige Möglichkeit, sich innerlich deutscher zu fühlen", gibt die Autorin als einen Grund für Konversion an. Und führt weitere auf: die Widerrufung bürgerlicher Gleichheitsrechte für Juden nach dem Wiener Kongress; wirtschaftliche Einbrüche, in deren Folge es zu antisemitischen Krawallen kam; die verstärkt staatstragende Tendenz im protestantischen Christentum - und eine Identitätskrise innerhalb des Judentums. Darüber hinaus verweist sie auf die Arbeit christlicher Missionare in den 20er-Jahren des 19. Jahrhunderts, den Reiz eines prestigeträchtigen Berufes, die Mischehe und sich verändernde Sozialisationsmuster, die jüdischen Konvertiten den Verkehr mit Nichtkonvertierten erlaubten.

Deborah Hertz präsentiert beispielhaft das Leben historischer Figuren - nach eigenem Anspruch "als Kurzdramen, welche die Spannung zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen, dem Gefesselten und dem Freien, dem Ethnischen und dem Kosmopolitischen, dem Traditionellen und dem Modernen enthüllen". Das ist zu hoch gegriffen. Sie zeichnet nach, wie vielfältig die Motive zur Konversion waren und wie zwiespältig dieser Akt von den Betroffenen selbst, ihren Familien und der sie umgebenden Gesellschaft bewertet wurde.

Weitgehend ausgeklammert jedoch sind Konversionen zum katholischen Glauben, die Situation außerhalb Berlins und nach 1833, sowie Recherchen zu der überwiegenden Zahl nicht namhafter Konvertiten. Insofern verspricht der Titel mehr, als das Buch halten kann.

Besprochen von Carsten Hueck

Deborah Hertz: Wie Juden Deutsche wurden. Die Welt jüdischer Konvertiten vom 17. – 19. Jahrhundert
Aus dem Englischen von Thomas Bertram
Campus Verlag 2010
350 Seiten, 34,90 Euro