Ärztemangel

Sprachlos im OP

Eine Ärztin läuf allein einen Flur einer Krankenstation in einem Berliner Krankenhaus entlang.
Immer häufiger fehlen Ärzte auch in Krankenhäusern. © dpa / picture alliance / Hans Wiedl
Von Katrin Aue · 21.03.2014
Der Ärztemangel in Deutschland betrifft längst nicht mehr nur kleine Praxen in der Provinz, sondern auch Krankenhäuser außerhalb der Großstädte. Gefragt sind deshalb ausländische Mediziner. In Deutschkursen werden sie fit gemacht für die Kommunikation in der Klinik - so auch in Freiburg.
Lehrerin spricht vor: "die Oberschenkelhalsfraktur".
Schüler sprechen nach: "die Oberschenkelhalsfraktur".
Lehrerin: "die Thromboseprophylaxe".
Schüler: "die Thromboseprophylaxe".
Montagmorgen im Freiburger Goethe-Institut: Ein heller Raum, an den Wänden selbst gemalte Skizzen von Skeletten, die Körperteile beschriftet. "Das Ohr" steht da, "das Knie", und "die Bauchspeicheldrüse." Der Deutschkurs für ausländische Ärzte geht in die vierte Woche, geleitet von Lehrerin Conny Auch.
Lehrerin: "Schwierige Wörter gehen jetzt viel besser als am Anfang, oder?"
Schüler: "Ja."
Im Halbkreis sitzen Maria aus Brasilien, Taras, Elena und Olga aus Russland, Yuko aus Japan, Juliana aus Kolumbien und Ahmad aus Saudi-Arabien. Sie sind zwischen Ende 20 und Anfang 40, sind Fachärzte in ihren Herkunftsländern und könnten Deutschland aus der Patsche helfen. Denn hier fehlt der Ärztenachwuchs.
Fachlich sei das Praktizieren für sie bestimmt machbar, erzählt Juliana Aguirre, Allgemeinmedizinerin mit dunklem Zopf, während ihre Kollegen Stillarbeit machen. Wenn da nur die eine Hürde nicht wäre.
Juliana: "Ich spreche noch nicht perfekt Deutsch, und das wäre vielleicht ein Problem mit den Patienten zu verstehen. Vielleicht in Notaufnahme, wenn alles muss schnell gehen."
Lehrerin: "So, ich glaube, ihr seid fast fertig? Die zehn Minuten sind um ... "
Die Ärzte beugen sich über ihre Aufzeichnungen, konzentriert bereiten sie ein Rollenspiel vor. Gleich soll einer von ihnen ein Aufnahmegespräch mit einem Patienten führen.
Genau so wird es demnächst in ihrer Patientenkommunikationsprüfung ablaufen. Die ist in Baden-Württemberg für die Zulassung von ausländischen Ärzten obligatorisch - anders als in anderen Bundesländern.
Lehrerin: "Da kommt schon unser Patient, guten Tag!"
Andreas Deutschmann tritt ein, Dozent am Goethe-Institut im Ruhestand, heute als Schauspiel-Patient verpflichtet.
Taras: "Guten Tag."
Patient: "Guten Tag, Herr Doktor."
"Mein Name ist Dr. Taras, ich würde gern ein Aufnahmegespräch mit Ihnen führen."
"Das Schwierigste ist immer Sterben"
Taras Prokhorov ist 30 und war in Moskau vier Jahre lang Chirurg.
"Welche Beschwerden haben Sie?"
"Ich habe solche Brustschmerzen."
"Und seit wann?"
"Seit heute Morgen."
"Können Sie mir die Situation genau beschreiben?"
Die Nöte der Patienten wirklich verstehen, wenn es zack, zack gehen muss. Oder ihnen anschaulich erklären, welche Risiken eine Operation hat. Das ist für ausländische Ärzte schwierig und eine Quelle für Behandlungsfehler, wie Patientenvertreter immer öfter beklagen. Doch am meisten graut es ihr vor dem Überbringen von Todesnachrichten, sagt die 28-jährige Brasilianerin Maria Soares:
"Das Schwierigste ist immer Sterben. Was kann ich diese Nachricht geben, ist immer schwer. Oder auch eine schwierige Krankheit, zum Beispiel Krebs, ist immer schwierig zu sagen."
Lehrerin:"Keine Fragen mehr? Ok, dann machen wir jetzt Pause, 15 Minuten."
Draußen im Gang berichten die Kursteilnehmer, warum hier praktizieren wollen: Elena und Yuko sind der Liebe wegen nach Deutschland gekommen. Die Kolumbianerin Juliana will hier eine weitere Facharztausbildung machen. Und Taras aus Moskau geht es auch ums Geld:
"Ehrlich gesagt, die erste Ursache für mich ist natürlich mein Lohn. Und der zweite, ich möchte mich weiter in meinem Beruf entwickeln, und Deutschland ist eine gute Möglichkeit für mich."
Nach der Pause. Ein Gast ist gekommen: Nabeel Farhan von der Uniklinik Freiburg.
Farhan: "Sie werden heute Abend genaue Lehrpläne bekommen, von der Klinik, wo jeder eingesetzt wird."
Übung mit deutschen Patienten
Die Kursteilnehmer sehen Nabeel Farhan gespannt an. Der Neurochirurg wird sie in den kommenden vier Wochen betreuen. Vormittags hospitieren sie dann auf einer Station, danach gibt es Tutorien. Dort üben sie noch mal den Umgang mit deutschen Patienten.
Denn die sind kritischer und fordernder als die meisten Patienten in den Herkunftsländern der Ärzte. Wie groß die Umstellung ist, weiß der gebürtige Saudi Nabeel Farhan aus eigener Erfahrung.
Farhan: "Der Patient in Deutschland möchte gern genauere Informationen haben über seine Diagnose und den Ablauf der Operation und wie es prognostisch bei ihm aussieht. Das sind die Leute nicht gewohnt, dass der Patient so viele Informationen braucht."
Nach dem Besuch: Wortschatzübungen.
Elena: "Machen Sie bitte ihren Oberkörper frei."
Noch eine Woche lang werden die sieben Ärzte Krankenhaus-Deutsch pauken, bevor es in die Praxis geht. Danach stehen Prüfungen an: Für Mediziner aus Nicht-EU-Ländern ein fachlicher Test und die Patientenkommunikation. Kein leichter Weg. Deshalb werden auch - zum Schluss der Stunde - noch ein paar Standardsituationen aufgefrischt.
Lehrerin: "Juliana weiter?"
Juliana: "Schnarchen Sie sehr laut mit aussetzender Atmung?
Lehrerin: "Was ist Schnarchen?"