Ärztemangel in der Provinz

Neue Wege in der Ausbildung

Angehende Ärztinnen üben in der Klinik Herford an Schweinehaut
Angehende Ärztinnen üben in der Klinik Herford an Schweinehaut © Margarete Wohlan / Deutschlandradio
Von Margarete Wohlan · 19.07.2018
Um dem Ärztemangel in der Provinz zu begegnen, kooperieren kleinere Kliniken mit der Uniklinik Bochum: Angehende Ärzte können ihre Ausbildung praxisnah abschließen. Für die Chirurgen bedeutet das Mehraufwand - aber das Projekt kommt gut an.
Michael Kaspari arbeitet als Chirurg am Uni-Klinikum Herford und unterrichtet gleichzeitig Medizin-Studenten der Ruhruniversität Bochum. Er verteilt Schweinehaut an sechs Studentinnen im zehnten Semester: "Zieht euch Handschuhe an. Jeder einen Lappen, sechs Stück. Ganz frisch: riecht nicht, stinkt nicht."
Die Studentinnen vor ihm beugen sich über handflächengroße Schweinehäute und vernähen mit Nadel und Faden die Schnitte. Mit Schweinehaut haben sie das erste Mal zu tun und erklären, was das Schwierige daran ist: "Die Schweinehaut ist zu hart. Da das erste Mal so richtig durchzustechen, das ist schon ein weiter Unterschied."

Gegenseitiges Lernen

Die letzten zwei Jahre ihres Studiums haben die angehenden Mediziner nicht in Bochum, sondern in Minden und Herford verbracht. Das war ein Novum, sowohl für die Studenten als auch für die Ärzte, erzählt Michael Kaspari.
Michael Kaspari demonstriert, wie man Schweinehaut am besten näht
Jede Naht sitzt: Ausbildung an der Schweinehaut.© Margarete Wohlan / Deutschland
"Wir haben gelernt und die Studenten haben auch gelernt, würde ich sagen. Wir haben gelernt, dass die Studenten einen Patienten gern von vorne bis hinten begleiten würden, von der Aufnahme über die Operation bis zur Behandlung auf Station und bis zur Entlassung. Das haben wir so nicht gewusst, als wir die am Anfang eingeplant haben. Aber wir versuchen jetzt, das mehr zu berücksichtigen."

Austausch mit der jüngeren Generation

Und wie sieht es mit der Doppelbelastung aus? Denn die Arbeit auf der Station und im OP läuft parallel zur Mediziner-Ausbildung weiter: ohne zusätzliche Gehaltsaufbesserung oder extra Urlaub.
"Was einen ja immer motiviert, ist positives Feedback von den Studenten und das haben wir eigentlich bekommen", sagt Kaspari. "Man kommt in Kontakt mit jungen Leuten. Die haben Ideen, die haben Pläne, über die man mit ihnen sprechen kann. Ganz unterschiedlicher Art. Das ist nochmal so ein Austausch... Ich würde jetzt nicht sagen: Generationsaustausch, denn so alt bin ich jetzt auch noch nicht. Aber die sind schon zehn Jahre jünger als ich."

Mit dem Professor im OP

In Minden, dem zweiten Standort des "Medizin Campus OWL", treffe ich David, Jannis und Arne – sie haben gerade frei und genießen die Sonne bei einem Eis im Zentrum der Kleinstadt. Ich habe sie am Anfang ihrer zwei Jahre in Minden und Herford kennengelernt – und als ich sie damals, im Jahr 2016, fragte, wie sie es finden, hier zu studieren, sagte David stellvertretend für alle:
"Man hat sich mit diesem Zulassungsbescheid ja automatisch bereit erklärt, dass man den restlichen Teil der Ausbildung in Ostwestfalen-Lippe macht. Das ist dann schon ein bisschen komisch. Man denkt anfangs: 'Okay, das ist eine neue Umgebung, ist es dann tatsächlich so gut von der Lehre her, von der Qualität her?'"
Damals – als Reaktion auf die Zweifel sozusagen – erlebte ich eines von vielen Highlights der Ausbildung hier: Live dabei sein, bei einer Darm-Operation, begleitet und betreut vom Direktor der Universitätsklinik Herford, Professor Günther Winde. Der OP "ist so ein bisschen eine eigene Welt", erklärte mir damals eine Studentin. "Man muss sich am Anfang immer insbesondere an die Schwestern halten."

Zufriedene Studenten

Der Kontakt zu Professor Winde macht den Studenten Spaß, erklärt Jannis. Zumal sich der Professor "wirklich viel Mühe gibt mit uns Studenten" und "soviel selber organisiert und macht."
Das war im Dezember 2016 – und wie sieht es eineinhalb Jahre später aus? Die drei löffeln ihr Eis und lächeln zufrieden. Arne findet das Ausbildungssystem mit den Kliniken "wirklich gut. Nur das Leben in Minden entsprach nicht unseren studentischen Vorstellungen." Auch für David zwar "kein Vergleich zu Bochum oder zum Ruhrpott". Vermisst habe er aber nichts, sagt er. "Ich würde diese Chance immer wieder so ergreifen. Die Professoren geben sich alle Mühe, es ist ein direkter Kontakt vorhanden." Die Chefärzte nehmen sich Zeit für Fragen, "das sind auch Sachen, die man nicht von jeder Uni kennt."
Während jedoch die beiden – Arne und David – für ihr praktisches Jahr entweder Großstadt oder Ausland gewählt haben, will Jannis hier bleiben. Die gute Lehre hat ihn überzeugt: "Man hatte wirklich viele gute Professoren." Auch wenn man mit denen nicht soviel zu tun gehabt habe während des praktisches Jahres. Aber er hat "auch viele Oberärzte und Assistenzärzte getroffen, die wirklich einen guten Eindruck gemacht haben. Da habe ich mich entschieden, das hier zu machen."
(für online leicht bearbeitete Version, thg)
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