Ärzte als Komplizen der Pharmaindustrie

07.04.2009
Im Vordergrund ärztlichen Handelns soll das Interesse der Patienten stehen. Doch das ist oft nicht der Fall, meint der Wissenschaftsjournalist Hans Weiss in seinem Buch "Korrupte Medizin". Die düstere Bilanz seiner Recherchen lautet: Die Pharmaindustrie kauft sich Ärzte als Komplizen, um eigene wirtschaftliche Interessen zu behaupten. 2000 Ärzte liefern in Deutschland einer Consulting-Firma alle Patientendaten, damit Firmen prüfen können wie neue Medikamente ankommen.
Hans Weiss hat für sein Buch gründlich gelesen. Er hat sich zum Schein eine Pharma-Consulting-Firma zugelegt, um Fachkongresse der Industrie besuchen zu können, er warb in dieser Funktion hochrangige Ärzte für fragwürdige Forschungen an, und er absolvierte eine Ausbildung zum Pharmavertreter und ging auf Vertreterbesuche. Was er alles entdeckte, liest sich wie ein Kriminalroman.

Man muss sich bei der Lektüre immer wieder vergegenwärtigen, dass es hier um einen Markt geht, für den die Versicherten mit ihren Krankenkassenbeiträgen bezahlen. Auf diesem Markt der Arzneimittel, schreibt Hans Weiss, geht es aber nicht um die Interessen der Patienten, sondern allein um die der Firmen. Das Register ihrer Sünden liest sich so: unethische Verkaufspraktiken, manipulierte Studienergebnisse, Betrug zu Lasten der Krankenkassen, irreführende Werbung, Vermarktung von Pseudoinnovationen, Verheimlichung von Nebenwirkungen, Bestechung von Ärzten. Die Firma Glaxo Smith Kline zum Beispiel wurde in den USA in verschiedenen Prozessen zu Hunderten Millionen Dollar Schadensersatz verurteilt, vor allem wegen betrügerischer Preismanipulation. Sie steckt solche Summen einfach weg. Denn sie rechnen sich. Der Gewinn der Pharmaindustrie betrug in Deutschland 2007 31,7 Prozent des Umsatzes. Eine gigantische Quote. Wer glaubt, dass die Allgemeinheit davon etwas hat, sollte auch die durchschnittliche Steuerquote der Pharmaindustrie kennen: 0,2 Prozent.

Hans Weiss zeigt auf, wo das Geld bleibt: Nur ein winziger Teil des Preises deckt die Kosten für die Wirkstoffe, die in den Medikamenten stecken. Würde man alle in Deutschland in einem Jahr verbrauchten Wirkstoffe bezahlen, käme man mit 680 Millionen Euro aus. Die Medikamente aber kosten 34 Milliarden. Der größte Kostenanteil sind Marketing und Werbung. Die Firma Bayer zum Beispiel beschäftigt 37.000 Mitarbeiter im Marketing, gegenüber 1600 in der Forschung. Ein Verhältnis von 23:1. Forschung verschlingt nicht das Geld. 20.000 Pharmavertreter putzen in Deutschland die Klinken - einer auf fünfeinhalb niedergelassene Ärzte. Kosten: 2,8 Milliarden Euro, viermal so viel wie für die Wirkstoffe der Arzneien. Zwei von fünf Packungen des Diabetes-Mittels Avandamet wird an Ärzte verschenkt, damit sie das Mittel verordnen. Jede verordnete Packung kostet 88 Euro. Die Kosten für den in der Packung enthaltenen Wirkstoff betragen 59 Cent.

Das Buch von Hans Weiss ist prall bestückt mit solchen Informationen. Detailliert berichtet er auch über Ärzte, die für die Firmen tätig sind. Professoren bekommen Honorare für wissenschaftliche Aufsätze, in denen sie ein Medikament vorstellen; nehmen sie an einem Beratertreffen der Firma teil, beträgt das durchschnittliche Honorar 5- bis 7000 Dollar. Die horrenden Honorare für die ärztlichen Meinungsbildner machen sich bezahlt. So setzte sich der ehemalige Vorsitzende der "Deutschen Hochdruckliga”, einer wissenschaftlichen Gesellschaft, dafür ein, bestimmte Blutdrucksenker auch dann zu nehmen, wenn man noch keinen Hochdruck hat. Er stand auf der Honorarliste der entsprechenden Firma.

Hans Weiss nennt die Namen der Ärzte und die Namen der Firmen. Er nennt auch die Professoren, die sich dazu bereit fanden, an Studien gegen gutes Geld mitzuwirken, deren Planung den ethischen Richtlinien des Weltärztebundes widersprach, weil behandlungsbedürftige Patienten zu Studienzwecken nicht behandelt werden sollten. Und die allein der Vermarktung neuer Mittel dienen sollten, die für die Behandlung nicht gebraucht wurden. So lernt man aus diesem Buch auch, dass Vieles, was in der Medizin Wissenschaft genannt wird, eine gut geschmierte Maschinerie zur Produktion gefälliger Ergebnisse für Firmen ist.

Hans Weiss zeigt das alles nur auf. Die Schlussfolgerungen überlässt er dem Leser. Staunend bleibt man zurück mit der Frage, warum die Politik noch nie eingeschritten ist. Ärzte unterliegen dem Werbeverbot. Aber der Pharmaindustrie ist alles erlaubt. Wie soll man zum Beispiel Folgendes werten? Das Rheumamittel Viox machte 2,5 Milliarden Dollar Jahresumsatz, als ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall schon bekannt war. Schätzungsweise 27.000 Patienten starben infolge der Nebenwirkungen. In einem anderen Kontext würde man bei einer solchen Zahl von einer großen Katastrophe sprechen. Bei der Pharmaindustrie gehen ein paar Tausend Tote einfach unter im Geschäft. Wer skeptisch ist, was sie uns täglich in der Werbung verspricht, und wer wissen will, wo die Defizite der Krankenkassen mit einem Federstrich eingespart werden könnten, der lese dieses Buch. Ärzte, denen die eigenen ethischen Richtlinien am Herzen liegen, sollten es in ihr Wartezimmer legen.

Rezensiert von Ulfried Geuter

Hans Weiss: Korrupte Medizin. Ärzte als Komplizen der Konzerne
Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2008
272 Seiten, 18,95 Euro