Kampf um den Hambacher Forst

"Es ist ein Ort des Widerstandes"

Polizisten und Demonstranten stehen sich am 27.11.2017 im Hambacher Wald in Kerpen (Nordrhein-Westfalen) gegenüber.
Polizisten und Demonstranten stehen sich im Hambacher Wald gegenüber. © picture alliance / Marius Becker/dpa
Von Manfred Götzke · 04.12.2017
Unter dem Hambacher Forst liegen Millionen Tonnen Braunkohle. Deshalb will RWE den Wald wegbaggern. Doch Aktivisten halten den Wald besetzt und leisten erbitterten Widerstand gegen die drohende Umweltzerstörung.
Noch spielt sich das Leben am Boden ab – an diesem Nachmittag im Hambacher Forst. Ein Wald im rheinischen Braunkohlerevier bei Köln. Nur wenige Sonnenstrahlen erreichen den Waldboden, dringen durch die Kronen der 20 Meter hohen Stieleichen. Zwischen die Gespräche der Waldbewohner mischen sich die Gesänge der Spatzen. In der Ferne rauschen die Förderbänder der Braunkohlebagger.
"Wir sind hier in Gallien, hier wohnen wir, das ist eines der Baumhausdörfer. Es gibt Dörfer hier überall im Wald verteilt. Wir organisieren uns dezentral, es gibt keinen Rat, der Entscheidungen für alle Menschen hier trifft. Wir organisieren uns in autonomen Kleingruppen."
Gallien – so nennt Tam den Ort, an dem er lebt, den Wald. Er ist immer hier, seit zwei Jahren, egal ob Sommer oder Winter. Tam, Anfang 20, trägt Rastalocken, schwarzen Hoodie, verschlissene Turnschuhe. Der Feind, dem er sich in seinem Gallien widersetzt: Es sind keine römischen Legionen, sondern ein Braunkohlekonzern, RWE. Tam und seine Mit-Aktivisten haben den Wald besetzt – um ihn vor dem Wegbaggern zu bewahren.

Das größte Loch Europas

"Es ist ein Ort des Widerstandes. Wir wollen jeden Tag direkte Aktionen machen, wir wollen jeden Tag verhindern, dass die Braunkohle weiter abgebaggert wird und dass unser Lebensraum weiter zerstört wird. Dieser Wald wird seit jetzt fast 40 Jahren kontinuierlich abgeholzt, aufgrund des Braunkohletagebaus, der direkt neben dem Wald existiert. Dieser Tagebau ist das größte zusammenhänge Loch Europas – und die Kraftwerke sind zusammen mit dem Tagebau der größte zusammenhängende CO2-Produzent Europas."
Der junge Aktivist zeigt nach oben in die Baumkronen, erst jetzt sehe ich sein Zuhause. 20 Meter hoch, in den alten Eichen haben sie Baumhäuser gebaut. Von hier unten sehen sie aus wie Vogelnester.
Ein Banner mit der Aufschrift "Climate Change is not debatable" hängt am 28.11.2017 im Hambacher Forst in Kerpen (Nordrhein-Westfalen) an einer Barrikade. Im Hambacher Wald haben am Montag die umstrittenen Rodungsarbeiten begonnen. Rund 200 Demonstranten aus der Waldbesetzer-Szene versuchen diese zu verhindern. Foto: Marius Becker/dpa
Im Hambacher Forst versuchen etwa 200 Demonstranten aus der Waldbesetzer-Szene, umstrittene Rodungsarbeiten zu verhindern.© picture alliance / Marius Becker / dpa
"Ich leb hier im Wald, aber nicht speziell in einem Baumhaus, denn wir wollen hier nicht nur Klimawandel angreifen, sondern wir wollen eine Gesellschaftsform angreifen, die genau das produziert, diese Zerstörung. Und dazu gehört für uns das Angreifen von Eigentum. Das heißt, wir sagen nicht, das ist dein Baumhaus und das ist mein Baumhaus, sondern wir sprechen darüber, welche Mensch hat welche Bedürfnisse und braucht gerade welche Rückzugsräume und versuchen das dann So gut es geht umzusetzen."
Tams Freundin Indigo drückt mir einen Klettergurt in die Hand. Die 20-Jährige ist nach dem Abi hier im Wald gelandet. Geduldig erklärt sie mir, wie ich mich an dem Seil, das vom Baumhaus herunterhängt, hochhangeln kann.
"Du willst da hoch Manfred? Also das kommt auf die Hüfte drauf, kannst du hier enger schnallen.
"Wie war das bei Dir, als Du zum ersten Mal hochgeklettert bist?"
"Bis zur ersten Hälfte war alles easy. Ab der zweiten Hälfte wurde es sehr anstrengend."
"Du hattest also Höhenangst?"
"Ja, aber man gewöhnt sich sehr schnell daran. In den ersten Nächten im Baumhaus bin ich auch immer wieder aufgewacht, wenn es im Wind gewackelt hat, jetzt kann ich gar nicht mehr auf dem Boden schlafen."
"Wie lange lebst Du hier?"
"Ich lebe jetzt seit ungefähr einem Jahr hier. Im Winter ist es nochmal gemütlicher, gleichzeitig sind wir auch aktiver, weil im Winter gerodet werden darf. Und da versuchen wir die Rodungsarbeiten zu verhindern oder zu stören."
"Wie bist du dazu gekommen, an der Besetzung teilzunehmen?"
"Ich hab gemerkt, dass ich ein vorgefertigtes Leben nicht leben will. Einmal, weil es mich nicht erfüllt, weil ich es aber auch für unfair halte. Es ist einfach unmöglich, in Deutschland im kapitalistischen System zu leben ohne schuldig zu sein an Verbrechen, die überall auf der Welt passieren. Hier hab ich einen Ort gefunden, an dem ich aktiv sein kann gegen die Dinge, die ich unfair finde an dieser Welt."
Nach einer Trockenübung traue ich mich nach oben. Mein Leben hängt nun an zwei Schlaufen, die um das Seil geknotet sind. Langsam hangele ich mich nach oben, ziehe nacheinander die beiden Schlaufen am Seil hoch.
Kurz bevor ich auf der Höhe des Baumhaueses bin, blicke ich runter – und beginne zu zittern, aus Angst und Erschöpfung. Dann stütze ich mich auf die Brüstung und robbe in die Hütte. In 15 Meter Höhe.

Gegen die Braunkohle, gegen den Kapitalismus

Hier sitzen schon zwei Waldbewohner, Indigo, meine Trainerin und Flo. Das Haus hat zwei Etagen, hier unten ist die gemeinsame Küche. Sie ist offen, es gibt aber einen Gasherd, in selbstgezimmerten Regalen stehen Teller, Pfannen und Zahnputzbecher. Acht Menschen leben in den Häusern Galliens, ein paar Hundert Meter tiefer im Wald gibt es noch weitere "Dörfer". Die meisten sind so gut wie immer hier im Wald, leben von Spenden. Es ist ein Leben nicht nur gegen die Braunkohle, sondern gegen den Kapitalismus.
"Meine erste Nacht in einem Baumhaus war ziemlich kalt aber auch total schön."
"Was sagst Du Leuten, die sagen, das ist illegal?"
"Erst mal ist es nicht illegal, in einem Baumhaus zu wohnen. Aber abgesehen davon würde ich das auch machen, wenn es illegal ist. Weil ich der Meinung bin, dass wir für uns selbst erachten sollten, was legitim ist – und nicht, was legal ist."
Ein Waldarbeiter fällt im Hambacher Forst in Kerpen (Nordrhein-Westfalen) einen Baum. 
Rodungsarbeiten im Hambacher Forst© Henning Kaiser/dpa
Was die Aktivisten eint: Der Kampf gegen RWE. Wenn der Konzern den Wald rodet, versuchen sie, die Arbeiter zu stoppen. Vor allem mit Barrikaden. Manche aber auch mit Gewalt. Doch auch die Mitarbeiter von RWE sind nicht zimperlich.
"Was die zum Beispiel öfter machen, ist, dass sie Seile durchschneiden, von Baumhäusern, das klingt jetzt erstmal ganz lustig, kann aber lebensgefährlich sein, wenn Leute sich schnell abseilen. Der Höhepunkt der Gewalt war, dass ein Aktivist angefahren wurde vom Wachschutz. Das ist eigentlich kein Gegner, gegen den wir kämpfen wollen oder so, die sind auch nur Opfer des Systems."
"Wie ist das eigentlich bei Deiner Familie angekommen, als Du Dich entschieden hast hierhin zu ziehen?"
"Also meine Familie ist froh, dass ich glücklich bin."
Es ist spät geworden, die Bewohner verteilen sich auf die Baumhäuser des Dorfes. Auch ich lege mich schlafen, auf eine schmale Schaumstoffmatratze. Das Baumhaus schaukelt sanft im Wind, irgendwo unten höre ich das Feuer knacken. Ich nicke ein.