Ägyptische Schriftstellerin warnt vor militärischem und religiösem Faschismus

Mansura Eseddin im Gespräch mit Gabi Wuttke · 25.01.2012
Die ägyptische Schriftstellerin und Journalistin Mansura Eseddin sieht ein Jahr nach Beginn der Proteste in Ägypten die Gefahr einer religiösen und militärischen Konterrevolution. Dennoch seien sich die Menschen bewusst, was sie durch ihren Einsatz erreicht hätten.
Gabi Wuttke: Erst Tunis, dann Kairo - so schallte es vor einem Jahr über den Tahrir-Platz. Die lautstarke Demonstration tausender Ägypter war der Anfang vom Ende des Regimes von Hosni Mubarak. Der Diktator wartet inzwischen auf sein Urteil, freie Parlamentswahlen haben stattgefunden, die einst verbotenen Muslimbrüder sind der haushohe Sieger, und der Militärrat, er ist noch immer an der Macht. Mansura Eseddin lebt in Kairo, als Journalistin schreibt sie auch für große deutsche Tageszeitungen. die Romane und Erzählungen der 35-Jährigen wurden auch in andere Sprachen übersetzt. Ihre Antworten und meine Fragen übersetzte Günther Ort, so auch die, ob sie morgens manchmal aufwache und den Sturz von Mubarak für einen Traum halte.

Mansura Eseddin: Nein, im Gegenteil. Ich habe das Gefühl, dass wir schon eine große Etappe zurückgelegt haben, seit Hosni Mubarak gestürzt ist.

Wuttke: Inwiefern?

Eseddin: Es gibt kein Zurück mehr. Die Probleme, denen wir uns heute gegenüber sehen, und die Unterdrückung, die vom Militärrat ausgeht, geben uns das Gefühl, dass wir noch mitten in der Revolution stecken und dass sie noch lange nicht bewältigt ist. Mubarak dagegen scheint uns schon sehr weit weg zu sein. Wir sind so beschäftigt mit der Gegenwart, dass wir gar nicht so sehr in die Vergangenheit sehen. Die Probleme, die wir haben, bringen das mit sich.

Wuttke: Trotzdem die Frage: Was haben Sie denn an dem inzwischen legendären 25. Januar vor einem Jahr gemacht?

Eseddin: Am 25. Januar hatte ich frei. Ich habe diesen Tag mit meiner kleinen Tochter verbracht, aber ich war auch im Internet. Ich habe an diesem Tag die Stimme der Revolutionäre über das Internet unterstützt, indem ich Materialien weiterverbreitet habe. Aber am 26. Januar war ich tatsächlich selbst auch mit auf der Demonstration.

Wuttke: Die Freiheit, das ist das große Gut, das die Ägypter gewonnen haben. Aber sie fürchten inzwischen eine religiöse Konterrevolution - durch wen?

Eseddin: Ich glaube, dass alle Angst haben davor, dass wir es mit einem militärischen und einem religiösen Faschismus zu tun bekommen könnten. Aber es ist trotzdem nicht mehr wie früher, denn alle sind sich dessen bewusst, was sie bewirken können, und es gibt kein Zurück. Wir wissen, dass es kein Zurück gibt, wir wissen aber auch, dass der Kampf noch lange sein wird.

Wuttke: Was gibt ihnen die Hoffnung, dass es kein Zurück gibt? Wenn wir uns erinnern, dass die große Mehrheit Ihrer Landsleute, um beim Islam, bei den religiösen Parteien zu bleiben, die Partei der Muslimbrüder und die Salafisten gewählt hat und sie sich damit also das Recht auf freie Wahl genommen haben.

Eseddin: Was ich damit meine, ist, dass Ägypten nie mehr so sein wird, wie es vor einem Jahr gewesen ist. Wir haben es mit vielen Herausforderungen zu tun und wir haben noch viele Kämpfe zu bewältigen. Das ist in einem revolutionären Prozess aber auch normal. Wir haben es mit vielen und massiven Problemen zu tun, die während der 30 Jahre, in denen Hosni Mubarak geherrscht hat, entstanden sind, und in den 30 Jahren vorher unter der Militärherrschaft. Insofern wird es nicht einfach sein, Probleme, die sich in 60 Jahren aufgebaut haben, zu bewältigen. In Bezug auf den Sieg der Muslimbrüder war dies als Wahlsieg ja schon erwartet worden. Das Problem der Muslimbrüder ist, dass sie sehr opportunistisch umgehen, und zwar sowohl mit der Revolution als auch mit den Militärs in Ägypten. An der Revolution haben sich Liberale, Linke, aber auch religiöse Kräfte beteiligt, allerdings die nicht organisierten religiösen Kräfte. Und ich glaube, dass diese ägyptische Revolution jetzt in einen Prozess der politischen Gestaltung, aber auch der politischen Konflikte übergehen wird.

Wuttke: Der Opportunismus, wie Sie sagen, der Muslimbrüder - und Sie haben ja auch schon den Militärrat erwähnt, der Ihnen große Sorge bereitet. Wir erinnern uns alle an die Bilder vor einigen Wochen, die zeigten eine Frau halbnackt über den Boden geschleift von Soldaten. Die Würde der Ägypterin war damit verletzt, und es zeigte auch, was die Ägypterinnen in diesem neuen Ägypten womöglich wert sind. Haben Sie aufgrund all dieser Dinge, die seit einem Jahr passiert sind, und mit dem Blick nach vorne Angst?

Eseddin: Nein, für Angst ist kein Platz bei uns. Angst macht Tod. Wir wissen, mit was für einem niederträchtigen System wir es zu tun haben. Wir sehen, dass die Unterdrückung jetzt zum Teil sogar stärker ausgeübt wird als unter der Zeit von Mubarak. Wir wissen, dass wir es mit Mördern zu tun haben, dass in Gefängnissen gefoltert wird. Trotzdem kann für Angst kein Platz sein in unserem Kampf. Wir haben gesehen, wie friedliche Demonstranten bekämpft wurden auf dem Tahrir-Platz und in den umliegenden Straßen. Aber Freiheit bedeutet Leben und muss erkämpft werden. Und wenn Sie nach den Frauen gefragt haben, die im Dezember misshandelt wurden von der Polizei - mir schien das absichtlich gemacht worden zu sein. Man wollte offensichtlich Rache nehmen an den ägyptischen Frauen dafür, dass sie eine so tragende Rolle in der Revolution hatten. Und dies betraf ja nicht nur die von Ihnen erwähnte Frau, sondern Dutzende andere, die an diesem Tag geschlagen oder misshandelt wurden. Trotzdem, es hat nur dazu geführt, dass die Frauen nun umso entschlossener für ihre Recht gekämpft haben, sie waren auch danach wieder auf dem Tahrir und in den anderen Straßen von Kairo und haben heute eine sehr viel sichtbarere Rolle, als dies unter dem alten Regime der Fall war.

Wuttke: Sie sagen sehr eindrücklich, dass Ägypten nie wieder zurückkehren kann von den Zeiten von Hosni Mubarak. Sie haben auch sehr eindringlich darüber erzählt, wie es ein Jahr nach der Revolution in Ägypten um die Menschen steht, die Freiheit und Demokratie wollen. Wenn wir auf Sie persönlich zu sprechen kommen als Autorin, als Journalistin, haben Sie für die Tausende von Aktivisten, die von Militärgerichten in diesem Jahr verurteilt wurden, mit Ihren Artikeln etwas ausrichten können?

Eseddin: Ich hoffe ja, aber ich glaube, dass ich letztlich auch auf der Straße dabei sein muss. Ich darf mich nicht damit begnügen, nur zu schreiben. Es ist nicht die Rolle eines Schriftstellers, nur Artikel zu schreiben. Ich kann nicht sagen, ob ich den Betroffenen von Militärprozessen nützlich sein konnte. Trotzdem habe ich versucht, von Anfang an über die Revolution zu schreiben. Auch in ausländischen Medien, in der New York Times und anderen Zeitungen, aber ich glaube, dass auch wir Schriftsteller dabei sein müssen, dass wir den Kampf direkt mittragen müssen auf der Straße, und dass wir uns nicht nur als schreibende Wesen betätigen sollten. Wir sind Bürger, und viele junge Schriftsteller, meine Kollegen, waren von Beginn an bei der Revolution dabei.

Wuttke: Ich danke sehr für dieses Gespräch und wünsche alles Gute!

Eseddin: Ich danke Ihnen, es hat mich sehr gefreut, mit Ihnen zu sprechen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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