Donnerstag, 28. März 2024

Die Europawahl aus polnischer Sicht
Europa ist nicht imperial

Mauer Wahlkampf, Vormarsch der Euroskeptiker: Stecken die EU und ihr Parlament in der Krise? Keineswegs. Denn die EU ist weiterhin Magnet für die Nachbarstaaten. Sie stehen Schlange um hereinzukommen – auf dem Balkan und in Osteuropa, kommentiert Adam Krzeminski von der polnischen Wochenzeitung "Polityka" im DLF.

Von Adam Krzeminski, Wochenzeitung "Polityka" | 24.05.2014
    Der polnische Journalist und Publizist Adam Krezminski
    Die EU ist das Gegenmodell zu Putins imperialem Russland, meint Adam Krezminski (Deutschlandradio / Thomas Kujawinski)
    Es ist keine Schicksalswahl für Europa an diesem Sonntag. Der Wahlkampf in aller Herren EU-Länder verlief auch eher lau und nur am Rande von großen europäischen Themen geprägt. Die Medien malten zwei Teufel an die Wand: den Ansturm der Euroskeptiker, die bis zu 30 Prozent der Parlamentssitze gewinnen könnten, und eine blamable Wahlbeteiligung. Auch in Ostmitteleuropa, das bis 1989 dem sowjetischen Imperium angehörte und vor zehn Jahren seinen Traum von der „Rückkehr nach Europa" mit wehenden Fahnen verwirklichen konnte, sind die Demoskopen ratlos. Eine Woche vor dem Wahlsonntag konnten dieselben Institute von Tag zu Tag völlig konträre Umfragewerte veröffentlichen.
    Polen sieht sich momentan auf der Sonnenseite der Geschichte. Durch seine stabilen Wachstumsraten ist es endlich vom Makel der „polnischen Wirtschaft" befreit. Putins gewaltsame Annexion der Krim und die – trotz aller Schattierungen – gemeinsame Haltung der westlichen Regierungen gegenüber dem Aggressor hat den Verdacht einer „polnischen Paranoia" weggefegt. Die Polen sehen, was sie an der EU haben, nicht nur die Kohäsions- und Agrarfonds, sondern eben auch die Einbettung in ein trotz allem funktionierendes Gefüge.
    Die Polen gehören zu den größten EU-Freunden
    Während in Deutschland 54 Prozent der Befragten die Osterweiterung für „nicht gut" hält, erreicht die Akzeptanz der EU in Polen mit 89 Prozent Spitzenwerte. Das tat sie allerdings auch 2004, und dennoch war die Wahlbeteiligung bei den ersten Europawahlen, an denen die Polen teilnehmen durften, europaweit eine der niedrigsten – nur knapp 21 Prozent. Fünf Jahre später stieg sie leicht an, und das wird sie – trotz der Umfragen – vermutlich auch diesmal.
    Nicht das Duell zwischen Jean Claude Junker und Martin Schulz um das Amt des Kommissionspräsidenten, nicht einmal der Einzug antieuropäischer Gruppierungen ins Parlament, sondern die Wahlbeteiligung ist diesmal wohl der wichtigste Indikator. Haben die Europäer ihre Verdrossenheit überwunden? Das Jahr der Jahrestage verleitet einen dazu, die Gegenwart an der schrecklichen Vergangenheit zu messen und die Leistung der Kriegs- und Nachkriegsgeneration hervorzuheben, die eine erfolgreiche „Europa-Idee" ins Leben rief und sie so umsetzte, dass die EU weiterhin ein Magnet für die Nachbarstaaten ist. Sie stehen Schlange um hereinzukommen – auf dem Balkan und in Osteuropa.
    Doch es ist nicht nur die Geschichte. Man kann in den heutigen Krisen eine „Neuaufstellung" der EU sehen. Solidarität mit den Schwachen in der Union und mit denjenigen außerhalb der EU, die auf dem Maidan unter der Europa-Fahne zusammengeschossen wurden oder vor Lampedusa knapp dem Tode entrinnen. Es gibt durchaus einen europäischen Traum; er unterscheidet sich vom amerikanischen pursuit of happiness, weil er weniger robust, mehr auf sozialen Ausgleich und Absicherung eingestellt ist als der american dream.
    Der Europäische Traum
    Dieser „europäische Traum" ist nicht imperial. An der EU wird manchmal bemängelt, dass sie ein „Eliten-Projekt" sei und an einem „Demokratiedefizit" leide. Das bedeutet aber nicht, dass sie – wie Putins „russischer Traum" - imperial herbeierpresst wurde. Zur EU-Mitgliedschaft wird man nicht durch gefälschte Wahlen und von autoritären Regierungen gezwungen, sondern man muss gemeinsame Kriterien erfüllen und einen langen Assoziierungsprozess bestehen. Die EU ist kein Imperium, sie war weder imstande, den Krieg in Jugoslawien zu stoppen, noch während der Arabellion in Nordafrika gemeinsam zu handeln. Sie ist aber eine Entität in statu nascendi. Bei allen regionalen Interessengegensätzen, euroskeptischen Tendenzen und Horrorvisionen einer Implosion der Eurozone – hat kein Staat die Eurozone verlassen, im Gegenteil: Lettland und Litauen traten ihr bei. Polen schwankt noch. Vorerst drängt der polnische Ministerpräsident Donald Tusk auf die Errichtung einer Energie-Union. Vordergründig geht es um gemeinsame Gas- und Erdölimporte. Der Kern einer solchen Montanunion des 21. Jahrhunderts bestünde jedoch darin, die deutsche Energiewende, die französische Atomenergie und die Modernisierung der polnischen Kohleenergie europäisch auszutarieren. All das natürlich verbunden mit einer nachhaltigen Klimapolitik. Das alles steht am Sonntag nicht direkt zur Wahl. Aber es sitzt im Hinterkopf.