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Alphonse de Lamartine
Der Beginn einer neuen Lyrik

Ein junger Mann fährt nach Italien, verliebt sich in ein Fischermädchen und erlebt das Glück seines Lebens, bis das Mädchen stirbt. Was nach Klischee klingt, ist einer der erfolgreichsten Romane der französischen Romantik. Geschrieben hat ihn Alphonse de Lamartine, der vor 225 Jahren geboren wurde.

Von Maike Albath | 21.10.2015
    Die Festung der Terra Murata auf der italienischen Insel Procida.
    Auf der itaelinischen Insel Procida verliebte sich Alphonse de Lamartine in ein Fischermädchen. (picture alliance / dpa / Matthias Schrader)
    "Oft auf des Berges Hang, in alter Eichen Schatten,
    In Trauer lieg ich still, derweil die Sonne sinkt;
    Der Zufall führt den Blick durch Felder und durch Matten,
    Wo wechselvoller Reiz mir zu den Füssen winkt."
    So hochgestimmt ergreift hier jemand das Wort - und besingt die "Einsamkeit", wie es der Titel des Gedichtes ankündigt. Der Verfasser war Alphonse de Lamartine, der 1820 mit seinen gefeierten Poetischen Meditationen bewies, dass Poesie und Religiosität ein und dasselbe waren. Sein Band wurde der erste große Erfolg der romantischen Literatur überhaupt. Lamartines ausdrucksstarke Hymnen brachen mit dem Diktat der Gelehrsamkeit und schilderten eine tiefe Verlorenheit.
    "So dürfen wir, umstürmt vom ewigen Orkane,
    Zu neuen Ufern stets entführt vom Wellenschlag,
    Denn nie vor Anker gehen im Zeitenozeane,
    auch nicht für einen Tag?"
    Inmitten der Verunsicherung nach der französischen Revolution brachte Lamartine das Lebensgefühl seiner Generation auf den Punkt. Er wurde am 21. Oktober 1790 als Sohn eines royalistischen Landadligen geboren und wuchs unter dem Regiment seiner äußerst belesenen, streng katholischen Mutter heran. Als Gegner Napoleons kam für ihn weder die Armee noch eine Beamtenlaufbahn in Frage. 1811 ging Alphonse de Lamartine auf Bildungsreise nach Italien - und verliebte sich auf der Insel Procida prompt in ein Fischermädchen.
    "Ihre ovalen, großen Augen hatten jene unbestimmte Färbung zwischen dem tiefen Schwarz und dem Blau des Meeres, die durch die Feuchtigkeit des Blicks die Strahlung sänftigt und die in gleichem Maße in den Augen der Frau die Zärtlichkeit der Seele mit dem Zupacken der Leidenschaft mischt."
    Graziella hieß der Roman, der mit dem Tod des Mädchens endete und halb Europa zu Tränen rührte. Lamartine verarbeitete den Verlust seiner älteren, tuberkulosekranken Geliebten Julie Charles, der auch in seine Gedichte einfloss. Der junge Adlige hatte aber auch berufliche Ambitionen. Nach der Abdankung Napoleons 1814 wurde Alphonse de Lamartine unter Ludwig XVIII Gardeoffizier, gab die militärische Laufbahn aber schon kurze Zeit später aus gesundheitlichen Gründen wieder auf. 1820 heiratete er die Engländerin Marianne-Elisa Birch, zwei Kinder starben. Nach dem Erfolg seiner Poetischen Meditationen führte Lamartine in den Pariser Salons das Wort; den Frauen gefiel er wegen seiner Schönheit. An den Erfolg seiner ersten Gedichte in neuen Texten anzuknüpfen misslang, die Empfindsamkeit wurde zur Pose. Lamartine brachte Reisebeschreibungen heraus und trat 1825 das Amt eines Gesandtschaftssekretärs in Florenz an. Politik, das war die neue Mission des volksverbundenen Adligen. 1833 wurde Lamartine in die Deputiertenkammer gewählt, legte das achtbändige Werk Geschichte der Girondisten vor und avancierte nach der Februarrevolution von 1848 als Außenminister und Regierungsmitglied zu einem der Gründerväter der Zweiten französischen Republik.
    "Das Volk ist das Herz eines Landes; man muss es nur anstoßen, und es quellen Schätze von Uneigennützigkeit, Ergebenheit und Mut hervor."
    Wegen seiner liberalen und zugleich christlichen Orientierung war Lamartine allerdings sowohl bei den Rechten als auch bei der Bourgeoisie verhasst und unterlag im Plebiszit vom Dezember 1848 den reaktionären Kräften. Nach dem Staatsstreich von 1851 zog er sich endgültig aus der Politik zurück. Trotz seiner zahlreichen Schlösser, Weinberge und Ländereien verarmte Lamartine im Alter und musste aus Not weiter schreiben. Die Stadt Paris stellte ihm schließlich ein Haus zur Verfügung, und das Parlament zahlte ihm ein Ruhegehalt. Am 2. Februar 1869 starb Alphonse de Lamartine. Seine Gedichte gelten bis heute als Beginn einer neuen Lyrik.
    "Die Blume fällt und lässt dem Westen ihre Düfte,
    Ans Leben und ans Licht ist dies ihr Lebewohl.
    So sterb ich, und mein Geist verhaucht sich in die Lüfte,
    Dem Tone gleich, der trüb und süß der Brust entquoll."