"Actopolis" in Oberhausen

Künstler bauen eine Stadt

Wie das städtische Leben der Zukunft aussehen könnte, das wird mit Kunstaktionen in Oberhausen erprobt.
Wie das städtische Leben der Zukunft aussehen könnte, das wird mit Kunstaktionen in Oberhausen erprobt. © Joelina Arndt/Urbane Künste Ruhr 2016
Von Anja Reinhardt · 06.09.2016
Denkt man ans Ruhrgebiet, denkt man an Arbeitslosigkeit, öde Straßen und Problemzone. Das möchte "Actopolis" in Oberhausen ändern. "Die Kunst zu Handeln" heißt der Untertitel des Projekts. Ein Künstlerkollektiv spielt durch, wie das städtische Leben der Zukunft aussehen könnte.
"Das ist für mich eigentlich eine Skulptur, eine Skulptur mit Menschen, die das nutzen, es ist vorgesehen für zwei bis vier Leute. Ist natürlich so ein komischer Gegensatz zwischen Privatheit und Öffentlichkeit."
Dirk Schlichtung steht im oberen Teil der Fußgängerzone Marktstraße in Oberhausen, weiter unten ist die Einkaufszone, hier ist deutlich weniger los, viel Beton, ein bisschen Tristesse. Genau hier hat der Künstler seine Skulptur aufgebaut: Ein idyllischer Schrebergarten auf 10 Quadratmetern, mit Holzhäuschen, grünem Rasen, einem Apfelbäumchen und ein paar Kohlköpfen im Mini-Hochbeet.
"Das ist auch irritierend für die Leute, weil die das auch mitkriegen – was ist diese Fläche da vorne, was ist der Weg."

Einmieten in einen Garten

Man kann sich einmieten und das machen, was man in einem Garten eben so macht. Hier soll wieder gelebt werden. Manche Leute bleiben stehen, wundern sich und fragen nach, andere riskieren nur einen kurzen Blick.
"Könnte wahrscheinlich auch in anderen Städten stehen, weil in anderen Städten ähnliche Situationen sind. Ich bin hier rumgegangen und hab mir diesen Ort ausgesucht. Das ist wirklich so ein typisches Beispiel, es ist von der Architektur geplant für eine boomende Stadt und dann gab es das Centro und die Nutzung hat sich geändert."
Das Centro ist Oberhausens Einkaufstempel, über 200 Geschäfte beherbergt der verzweigte Koloss, das Herz der neuen Mitte Oberhausens, mit Entertainment-Parks, einem Musicaltheater, Restaurants und Badelandschaft. Der neuen Mitte merkt man allerdings nach 20 Jahren immer noch an, dass sie nicht gewachsen ist, sondern auf dem Reißbrett entworfen wurde. Die künstliche Stadt lockt trotzdem zuverlässig Busladungen von Touristen an und schuf so viele Arbeitsplätze, dass der Strukturwandel als gelungen gilt.

Atemberaubend schlechtes Stadtimage

Oberhausen, die Wiege des Ruhrgebiets, legte seine letzte Zeche vor knapp 25 Jahren still. Der Ruf der Stadt ist atemberaubend schlecht. Im deutschen Städteranking landet Oberhausen immer auf einem der letzten Plätze, auch wegen der hohen Pro-Kopf-Verschuldung. Kommt man hier am Hauptbahnhof an und läuft durch die Stadt, will sich dieser Eindruck allerdings nicht bewahrheiten. Auch das will die Skulptur von Dirk Schlichting und die Aktionen von Actopolis zeigen. Dem Klischee der Trostlosigkeit etwas entgegenzusetzen. Und warum nicht gleich an der Oberfläche bleiben und daran kratzen.
"Wir haben über 300 Exponate, da haben wir noch Scherben und Gewächs…"
Kuratorin und Künstlerin Susanne Kudielka führt durch Oberhausens erstes Stadtmuseum.
"Wir haben erst mal recherchiert, wo denn in Oberhausen am meisten gekaut wird und wo die oberste Schicht am meisten besiedelt ist von Kaugummi, wir haben auch eine Karte erstellt, wie ne Wärmekarte, an den Orten, an denen viel gewartet wird, Bushaltestellen, Schulen – sind natürlich die meisten Kaugummis."
Eine archäologische Stadtgeschichte anhand von Kaugummis, abgekratzt von Oberhausens Straßen, ist im neuen Stadtmuseum im Rahmen des Projekts "Actopolis" zu sehen
Eine archäologische Stadtgeschichte anhand von Kaugummis, abgekratzt von Oberhausens Straßen, ist im neuen Stadtmuseum zu sehen© Joelina Arndt/Urbane Künste Ruhr 2016
Das Künstlerkollektiv "geheimagentur" ist Bauherr für die "neue Stadt", die in Oberhausen gebaut werden soll.
Das Künstlerkollektiv "geheimagentur" ist Bauherr für die "neue Stadt", die in Oberhausen gebaut werden soll.© Edi Szekely/Urbane Künste Ruhr 2016
Eine archäologische Stadtgeschichte anhand von Kaugummis, abgekratzt von Oberhausens Straßen: Farblich oder nach Abdrücken und Untergrund sortiert, auf feine Nadeln aufgespießt und in Vitrinen präsentiert. Die Wände des Ein-Raum-Museums mitten in der Fußgängerzone sind mit schwarzem Teppich und schwarzem Wandbehängen ausgeschlagen. So schwarz, wie die Kohle, die hier tief aus der Erde geholt wurde.
"Wir haben uns überlegt, mal mit der obersten Schicht anzufangen anstatt in der Tiefe, wir haben uns das für Oberhausen überlegt, dass wir die oberste Schicht untersuchen. Und den Kaugummi auch als Repräsentanten der Freizeitindustrie, die ja die andere Industrie abgelöst hat, sehen."

Anfang von Veränderung

Wir bauen eine neue Stadt lautet das Motto von Actopolis. Natürlich geht es um eine Umdeutung der immer gleichen Erzählung von Tristesse, Arbeitslosigkeit, vollen Autobahnen und Fußball als Ersatzreligion im Ruhrgebiet. Und Oberhausen als abgehängte Stadt. Mit dem Projekt Actopolis wird der Blick geschärft und die Perspektive gewechselt. Das ist zumindest der Anfang von realer und erzählter Veränderung.
Actopolis läuft noch bis zum 11. September, die Zentrale befindet sich am Oberhausener Hauptbahnhof, da kann man auch den Schrebergarten buchen oder sich für die Monstersafari anmelden.
Actopolis ist eine Kooperation von Goethe Institut und Urbane Künste Ruhr
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