Achille Mbembe: "Politik der Feindschaft"

Vom Kolonialismus bis zum "Krieg gegen den Terror"

Buchcover: Achille Mbembe: Politik der Feindschaft
Die "Politik der Feindschaft" ist laut Mbembe wieder zur Norm geworden. © dpa / Suhrkamp Verlag
Von Claudia Kramatschek · 09.10.2017
Islamophobie, Gewalt, Nationalismus - der Philosoph Achille Mbembe beschreibt, wie die Fundamente des demokratischen Miteinanders systematisch ausgehebelt werden. Für ihn steht diese "Politik der Feindschaft" in einer historischen Linie bis hin zu den Anfängen des Kolonialismus.
Kurz nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse verlautbarte Alexander Gauland vor laufenden Kameras jene Kampfansage, die inzwischen in aller Munde ist: "Wir werden sie jagen. Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen." Die Sätze sprechen Bände. Und sie belegen, im Falle Deutschlands, beispielhaft den Befund, den der aus Kamerun stammende Philosoph Achille Mbembe in seinem neuen Band aus vielerlei Perspektiven umkreist: die besorgniserregende Wiedergeburt einer "Politik der Feindschaft", für die zur Norm geworden ist, so Mbembe, "mit dem Schwert zu leben".
Achille Mbembe sieht darin das Signum unserer Zeit, die heimgesucht ist von einer allgegenwärtigen Islamophobie, einem atavistischen Nationalismus und einem ebenso atavistischen "Krieg gegen den Terror", der im Namen von Recht und Sicherheit die Fundamente eines demokratischen und sozialen Miteinanders systematisch aushöhlt. Wie konnte es – so fragt Achille Mbembe – dazu kommen, dass offener Rassismus, ungeschönter Vernichtungswille und die Frage der Zugehörigkeit wieder an der Tagesordnung sind?

Die Plantage als Beginn der Lager-Praxis

"Politik der Feindschaft" gibt darauf eine so gleißend scharfe wie analytisch erhellende Antwort. Denn Achille Mbembe zieht – unter Rückgriff auf die Schriften von Frantz Fanon, dem Vordenker des Anti-Kolonialismus – eine historische Linie von den Anfängen des kolonialen Zeitalters zu unserer Gegenwart. Wer die heutige "Politik der Feindschaft" verstehen will, muss, so Mbembe, an die Anfänge der Kolonie zurückgehen: Denn die Kolonie war undenkbar ohne den Sklavenhandel und damit das Primat der Rasse, welches die Teilung der Menschheit erst möglich machte. Beides wiederum – Sklavenhandel und das Primat der Rasse – waren Voraussetzung für den weltumspannenden Kapitalismus und die zynische Auslöschung des Anderen. Die Plantage, so Mbembe, ist somit der Anfang aller Lager-Praxis; die koloniale Welt die dunkle Doppelgängerin der westlichen Demokratie, die dorthin auslagerte, was ihre Nachtseite ist: die ihr inhärente Gewalt, die nunmehr im Zeitalter des Postkolonialismus mit umso hässlicherer Fratze wiederkehrt.
"Politik der Feindschaft" liefert insofern eine – übrigens auch stilistisch – atemberaubende historische Relektüre: Der Sklavenhandel wäre demnach keine afrikanische Fußnote der westlichen Geschichte. Er wäre unser aller zentraler Knotenpunkt für ein Verständnis jener – so Mbembe – tödlichen "Nekropolitik", die rund um den Globus für Hass und Terror sorgt. Achille Mbembe denkt deswegen abschließend darüber nach, wie und ob unter diesen Gegebenheiten ein Denken der Fürsorge noch möglich ist. Anstatt sich auf den Universalismus zu berufen entwirft Mbembe eine "Ethik des Passanten": Laut dieser wäre der Mensch ein Wesen, das sich per se aus vielen Arten und vielen Orten zusammensetzt. "Politik der Feindschaft" ist insofern Pflichtlektüre und das Buch der Stunde: Es bohrt sich tief in die Eingeweide des eigenen Denkens.

Achille Mbembe: Politik der Feindschaft
Aus dem Französischen von Michael Bischoff
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017
235 Seiten. 28 Euro

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