Achille Mbembe: "Ausgang aus der langen Nacht"

Afrika als Labor eines neuen Denkens und Handelns

Kapstadt
Kapstadt in Südafrika © imago/sepp spiegl
Von Johannes Kaiser · 17.10.2016
Der aus Kamerun stammende Historiker Achille Mbembe geht mit der Gesamtsituation Afrikas hart ins Gericht. In "Ausgang aus der langen Nacht" schreibt er, es fehle eine demokratische Alternative zum "Modell des Raubbaus". Dennoch sieht er auch die Chancen eines aufkommenden städtischen Afrikanertums.
Bürgerkriege, marodierende Söldner, Kindersoldaten, islamistische Terroristen, uralte Autokraten, Flüchtlingsströme – das ist Afrikas postkoloniale Gegenwart. Und diese beschreibt der aus Kamerun stammende Historiker und Philosoph Achille Mbembe ungeschminkt und mit drastischen Worten, spricht von "undurchdringlichem Chaos". Es fehle ein demokratisches Denken als Alternative "zum nahezu überall herrschenden Modell des Raubbaus". Alle sozialrevolutionären Bewegungen lösten sich auf. Die schwarzen Machthaber würden immer seniler, was zu Nachfolgekämpfen führe. Ganze Gesellschaftszweige würden ausgeschlossen und Millionen Menschen flöhen in der Hoffnung auf ein besseres Leben aus ihrer Umgebung, landeten als angefeindete Fremde in Elendsvierteln.

Echte Befreiung? Hat es nie gegeben

Es sieht also nicht gut aus für das postkoloniale Afrika. Im Unterschied zu anderen politischen Autoren sucht Achille Mbembe allerdings die Schuld nicht bei den ehemaligen Kolonialmächten, sondern bei den afrikanischen Eliten, die im Rahmen der Unabhängigkeitserklärungen die kolonialen Strukturen in Wirtschaft, Politik und Kultur einfach übernommen und für sich eingesetzt haben. Echte Befreiung habe es nie gegeben.
Dann geht Achille Mbembe auf die philosophische und psychologische Rezeption der Entkolonisierung in Frankreich ein. Das schreibt er im soziologischen Jargon in der Tradition der französischen Denkschulen und ist damit für Leser nur mühsam verständlich, die nicht mit den philosophischen Schlagworten dieser Denker vertraut sind. Er wirft insbesondere den französischen Soziologen, Philosophen und Psychologen vor, nicht begriffen zu haben, dass Rasse bis heute ein ganz wesentlicher Bestandteil des postkolonialen Diskurses ist. Ihn empören die Versuche, Frankreichs Kolonialgeschichte entweder zu verdrängen oder zu einem Akt des Humanismus umzuschreiben. Ein Trauerspiel.

Eine neue, transnationale Kultur entsteht

In Afrika sieht Mbembe währenddessen eine ganz neue, transnationale Kultur aufsteigen. Zwar konstatiert er – als Ergebnis der Globalisierung und der Schuldenkrise –, dass der Staat zunehmend an Macht verliert und diese im Gefolge der erzwungenen Privatisierungen an die wirtschaftlichen Eliten abtritt. Doch deren Aufstieg kann allerdings nicht verhindern, dass die Städte Afrikas inzwischen zu einem Schmelztiegel der Ethnien, Religionen, Kulturen geworden sind. Kleidung, Musik, Sprache mischen sich, erschaffen eine Art kosmopolitischer Urbanität. Die Familienstrukturen lösen sich auf, statt des Denkens in Gemeinschaften bildet sich ein privates Leben, das sich an den Symbolen der globalen Kultur ausrichtet. Achille Mbembe sieht hier einen Afropolitanismus aufkommen, ein städtisches Afrikanertum, das weder auf Herkunft noch auf Gemeinschaft beruht, multiethnisch ist und sich nicht als postkoloniales Opfer ansieht: eine neue, transnationale Kultur.
Südafrika ist für ihn das Labor dieses neuen Denkens und Handelns geworden. Europa dagegen hat jegliche Vorbildfunktion als "eine Welt nachlassender Lebenskraft und purpurner Sonnenuntergänge" verloren.

Achille Mbembe: "Ausgang aus der langen Nacht. Versuch über ein entkolonisiertes Afrika"
Aus dem französischen Christine Pries
Suhrkamp Verlag, 2016
302 Seiten, 28,00 Euro