Abtreibungsdrama "24 Wochen"

Verzweifelte Odyssee durch Ärztezimmer

HANDOUT - Julia Jentsch (r) als Astrid und Bjarne Mädel als Markus in einer undatierten Szene aus dem Film «24 Wochen» (Filmszene). Der Film kommt am 22.09.2016 in die deutschen Kinos. Foto: Friede Clausz/Neue Visionen Filmverleih/dpa (zu dpa-Kinostarts vom 15.09.2016 - ACHTUNG: Verwendung nur zu redaktionellen Zwecken in Verbindung mit der Berichterstattung über diesen Film und nur bei Urhebernennung Foto: Friede Clausz/Neue Visionen Filmverleih/dpa) |
Julia Jentsch und Bjarne Mädel in "24 Wochen" © Neue Visionen Filmverleih/ Friede Clausz
Regisseurin Anne Zhora Berrached im Gespräch mit Patrick Wellinski · 17.09.2016
Am Montagabend werden in Berlin die First Steps Awards verliehen, einer der wichtigsten Preise für den deutschen Filmnachwuchs. Unter den nominierten ist auch "24 Wochen" von Anne Zhora Berrached - ein Film über Spätabtreibung und Pränataldiagnostik. Ein Paar erfährt, dass es ein schwer krankes Kind erwartet - und muss entscheiden, ob es abtreiben will.
Patrick Wellinski: Am Montagabend werden in Berlin die First Steps Awards verliehen – einer der wichtigsten Preise für den deutschen Filmnachwuchs. Unter den nominierten ist auch "24 Wochen" von Anne Zhora Berrached, der ja bereits im Wettbewerb der Berlinale zu sehen war. Ein harter Film mit einem sehr komplexen und komplizierten Thema. Es geht um Spätabtreibung und Pränataldiagnostik. Ein Paar – sie eine Stand-up-Comedian, er ihr Manager – erwarten ein Kind, doch das Kind ist schwer krank. In der 24. Woche müssen sie entscheiden, ob sie abtreiben. Es beginnt eine Beratungsodyssee durch viele Ärztezimmer.
[Es folgt ein Einspieler.]
Ein Filmausschnitt aus dem Film "24 Wochen" von Anne Zohra Berrached, die ich vor der Sendung sprechen konnte. Herzlich Willkommen, Frau Berrached!
Anne Zohra Berrached: Hallo!
Wellinski: Ihr Film – Sie haben es schon erwähnt – hat ein starkes Thema im Vordergrund, erzählt aber anhand einer Beziehung von einer Stand-up-Comedian und ihrem Manager. Ich würde gerne fragen, was war da zuerst: eigentlich diese Idee einer Beziehungsgeschichte oder war da doch zuerst das Thema der Spätabtreibung?
Berrached: Das war ganz klar für mich, dass ich einen Film machen will über dieses Thema. Ich habe damals einen Zeitungsartikel gefunden in einer Zeitung, und da wurde ein Arzt interviewt, und dieser Arzt macht eine Abtreibung nach dem dritten Monat auf legale Weise in Deutschland. Ich wusste nicht, das sowas überhaupt existiert, und ich wusste nicht, unter welchen Umständen das existiert. Jetzt habe ich rausgekriegt, über 90 Prozent der Frauen ihre Kinder nicht bekommen, wenn das Kind eine Behinderung hat, und diese Zahl 90 Prozent, das fand ich so krass hoch, dass ich das verfilmen wollte, dieses Thema mir nehmen wollte, dazu eine Geschichte kreieren wollte, und das mit Schauspielern spielen wollte.

"Es fühlt sich sehr echt und sehr real an"

Wellinski: Wie recherchiert man da? Also Sie haben jetzt den Zeitungsartikel schon erwähnt, aber Sie mussten natürlich noch in die Tiefe gehen.
Berrached: Genau. Das war sehr einfach, mit Ärzten zu reden, weil sehr viele Ärzte sind mit diesem Thema konfrontiert, und das geht ja auch an einem Arzt oder Hebamme nicht spurlos vorbei, wenn sie dabei sind, wie eine Frau ihr Kind nicht bekommen kann und es abtreibt. Also Ärzte haben mit mir gesprochen, die wollten mit mir reden. Dann war es ziemlich schwer, ein Paar zu finden, was spätabgetrieben hat und was mit mir reden wollte. Ich habe dann jemanden gefunden. Die haben ihr Kind in der 26. Schwangerschaftswoche abgetrieben, weil das Kind eine Glasknochenkrankheit hat, und die haben mir ihre Geschichte erzählt und haben dann das Drehbuch weiter begleitet, und das war unser Glück, weil das sieht man, glaube ich, auch im Film, dass es eben sehr echt und sehr real sich anfühlt alles. Das liegt an verschiedenen Faktoren, aber eben ein Faktor ist sicherlich, dass dieses Paar einfach bei mir war.
Wellinski: Wenn ich jetzt Ihre Recherche höre, dann stelle ich mir eigentlich fast schon einen Dokumentarfilm vor. Jetzt ist es aber ein Spielfilm geworden. Warum dann doch dieser Weg?
Berrached: Na ich wollte einen Kinofilm machen mit großen Bildern und trotzdem mir das bewahren, was so mein Stil geworden ist, dass es eben so ein natürlichen, authentischen Charakter hat. Das wollte ich mir trotzdem bewahren, das heißt, ich habe so eine Mischform gemacht. Das sind große Bilder und trotzdem spielen die Schauspieler ganz natürlich. Die versprechen sich, die reden so wie wir. Auch die Emotionen sind nicht zu groß, nicht zu klein. Das ist so, wie es eben in Realität wäre, und dafür muss man ein paar Dinge machen einfach, damit das so wirkt, damit man das so hinkriegt.
Wellinski: Jetzt hatten Sie Ihr Recherchematerial, jetzt begann ja die Drehbuchphase irgendwann. Können Sie uns vielleicht da mitnehmen und sagen, was so die großen Herausforderungen waren, diese Erkenntnisse in eine Spielfilmgeschichte umzuwandeln?
Berrached: Also ich habe angefangen zu recherchieren, habe mich dann entschieden, dieses Thema als Film zu machen und habe dann zusammen mit Carl Gerber, dem Drehbuchautor, angefangen, dieses Drehbuch zu schreiben, und dieses Drehbuch haben wir anderthalb Jahre geschrieben. Meistens war es so, ich bin losgegangen, habe mit jemandem geredet, hab das immer aufgenommen und habe das dann Carl vorgespielt, und wir haben dann da drüber geredet und haben manchmal sogar ganze Sätze, die die Person gesagt hat, genau so in das Drehbuch aufgenommen. Dann wiederum war es eben so, dass wir am Set mit den Schauspielern das noch mal alles umgeformt haben. Also das Drehbuch ist für mich nicht die Bibel, sondern ich sehe das als Vorgabe, aber am Set, wenn wir drehen und wenn die Schauspieler da sind, dann kann jeder etwas dazu beitragen, dass es echter wird. Ich glaube, das ist die einzige Möglichkeit, dass man so einen echten Charakter bekommt, indem man die Schauspieler auch loslässt in bestimmten Momenten und sie es einfach so sagen lässt, wie sie eben selber reden und das nicht so auswendig lernen lässt.

"Lachen ist das Gegenteil von traurig sein"

Wellinski: Jetzt spielt Julia Jentsch die Astrid, eine Stand-up-Comedian, die genau das widerfährt: Sie ist schwanger, sie bekommt eine Diagnose und muss sich damit auseinandersetzen, treibe ich nun relativ spät ab oder nicht. Jetzt ist natürlich die Fallhöhe ziemlich interessant als Stand-up-Comedian, als jemand, der gute Laune bringt, der Spaß bringt, der sich da mit so einem unfassbaren Dilemma konfrontiert sieht. Ist hier auch so eine gewisse Spannung gewesen, die Sie auch interessiert hat?
Berrached: Absolut. Dass sie eine Kabarettistin ist, ist ja auch etwas, was ich selber entschieden habe. Ich wusste, dass dieser Film an einer bestimmten Stelle ziemlich dramatisch wird, dass es sehr schwer wird für meine Hauptfigur, und ich wollte, dass sie auf der anderen Seite etwas macht, was ganz anders ist, etwas, was das absolute Gegenteil ist. Da dachte ich, okay, Lachen ist das Gegenteil von traurig sein, und was ist noch viel schwieriger als Lachen, ist, andere Leute zum Lachen bringen, und so bin ich auf diese Kabarettistin gekommen.
Wellinski: Jetzt hat sie auch Auftritte im Film. Das hieß, Sie mussten Witze schreiben. War das schwieriger als die ganze Geschichte drum herum?
Berrached: Das war superschwierig, und das haben wir am Ende auch nicht gemacht. Also wir haben uns damit abgemüht, und irgendwann sind wir bei Ralf Husmann gelandet – der hat Stromberg geschrieben –, und der hat uns irgendwann geholfen, und Lisa Feller – das ist eine Kabarettistin –, die hat Julia Jentsch dann vorbereitet für diese Auftritte, weil: man muss ja dazusagen, dass diese Auftritte reale Auftritte waren. Also Julia Jentsch hatte einen Auftritt bei Dieter Nuhr oder bei der "Ladies Night", und das heißt, sie musste vor realem Publikum bestehen. Wir haben die Kamera mitgenommen, und dann hat die das zweimal gemacht. Wir haben einmal von vorne sie gefilmt, einmal von hinten, und dann war das eben das, was wir zusammengeschnitten haben, und was in fünf Minuten im Film so erschienen ist.
Wellinski: Also so eine Suche nach der Authentizität.
Berrached: Genau, auch da. Also auch, wenn es um diese Auftritte geht oder es gibt ja auch sehr viele Ärzte bei mir im Film, und alle Ärzte, Hebammen, alle Fachleute, sind reale Personen, die wirklich das gemacht haben, was sie immer machen. Zum Beispiel der Arzt, der die Abtreibung macht, würde in so einem Fall wirklich eine Abtreibung machen.
Wellinski: Der Film besteht ja wirklich aus dieser Odyssee dieses Paares, das sich dann wirklich immer wieder den Rat holt von dem einen Arzt, von dem anderen Arzt, aber nicht alle – da, wo Sie es gerade sagen – zeigen auch ihr Gesicht, nicht wahr. Also einige mussten dann wohl auch auf das, sagen wir mal, auf die Anonymität beharren, obwohl sie dann ja im Film zu sehen sind, obwohl sie nicht wirklich zu sehen sind.

"Es geht meistens um die Reaktion des Paares"

Berrached: Es hat nur einer gemacht. Das war der Arzt, der die Abtreibung im Film macht, und das war erst mal sehr, sehr schwer. Ich habe da bestimmt 50 oder 60 Ärzte getroffen, eh ich jemanden gefunden habe, wo ich mir vorstellen könnte, der passt zu meinem Film und der gesagt hat ja dazu, und kein Arzt in Deutschland macht das groß publik. Es ist eine ganz niedliche Geschichte: der hat gesagt, er möchte anonym bleiben. Das heißt, ich durfte keine Stimme von ihm verwenden, das Gesicht nicht und auch seinen Namen nicht. So, jetzt habe ich mir überlegt, okay, ich mache einen Kinofilm, wie soll ich denn das machen, soll ich dem einen Balken vors Gesicht setzen. Ist ja kein Dokumentarfilm.
Das heißt, wir haben uns entschieden, wir machen es zum Stil, und in unserem Film gibt es einige Ärzte, wo man das Gesicht einfach nicht sieht, sondern es geht auch meistens um die Reaktion des Paares, und wir zeigen dann eben das Paar und die Stimme der Person. Bei dem Arzt war es eben so, dass er den Rohschnitt geguckt hat und mich angerufen hat. Er hat geweint. Er hat es mit seiner Frau geguckt und meinte, Anne, das ist so echt, das ist so, wie ich das in meiner Praxis erlebe. Ich bereue das so, dass mein Gesicht da nicht drin ist. Du darfst auf jeden Fall meinen Namen nehmen, und du darfst auch meine Stimme zeigen. Dieser Arzt hat jetzt gerade mit mir ein "Stern"-Interview gemacht und hat sich abbilden lassen. Also der steht total hinter diesem Film, und das macht mich total stolz, dass wir das geschafft haben, einen Film zu machen, der sich selbst für jemanden, der sich in dieser Welt befindet, sehr real anfühlt.
Wellinski: Das emotional Ergreifende ist auch diese Wechselbeziehung, die Dynamik der Beziehung der beiden. Irgendwie ist natürlich immer die Figur von Julia Jentsch im Zentrum. Klar, sie ist schwanger. Ich wollte sie nach der Rolle ihres Freundes fragen, ihres Mannes fragen. Es ist schwer, weil er so ein bisschen immer in die Passivität gedrängt wird. Er kann nichts machen – ist das nicht auch so eine Hilflosigkeit, auf die Sie hinauswollten oder war es nicht auch schwer für Sie, mit dem männlichen Part dieser Beziehung umzugehen?
Berrached: Das war nicht schwer für mich, aber das ist die Rolle des Mannes in diesem Konstrukt. Also die Frau ist schwanger und das Kind ist nun mal in ihr drin, und es ist ja auch bei mir im Film so, dass irgendwann dieses Paar begreift, dass es gar nicht seine Entscheidung ist, sondern es ist die Entscheidung der Frau letztlich, ob sie dieses Kind bekommen kann oder ob sie das nicht kann, und im Zweifelsfall, wenn sich das Paar nicht einig ist, wie in meinem Film, wird es eben die Frau entscheiden. Im Gesetz ist der Mann gar nicht erwähnt, egal, ob das Paar verheiratet ist oder nicht, und das ist eine fürchterliche Situation für einen Mann, und die zeigen wir bei uns im Film.
Wellinski: Astrid, diese Filmfigur ist ja eine sehr moderne Frau, so, wie wir sie kennenlernen: Sie lebt ihre Freiheiten aus, so wie sie will. In dem Moment, wo sie dieses Dilemma von Ihnen ja quasi vorgeworfen bekommt, merkt man, dass diese Freiheit auch vielleicht ihr so ein bisschen im Wege steht. Also worauf ich hinaus will, ist, Astrids Entscheidung wäre vielleicht anders ausgefallen oder vielleicht nicht derartig dramatisch, wen sie ein gewisses Regelwerk hätte, ein moralisches Regelwerk, wenn ich das so erwähnen soll?
Berrached: Absolut, ja. Ich glaube, dass Menschen, die einer Religion angehören, dass es für diese Menschen einfacher ist, weil die Regeln schon da sind, und man kann sich an diese Regeln halten, und da die meisten, viele Leute eben nicht mehr glauben an eine Religion, muss man in so einem Fall selber ein moralisches Regelwerk finden. Ich habe mit vielen Frauen gesprochen da drüber. Ich würde sagen, dass von diesen 90 Prozent der Frauen, die letztlich ihre Kinder nicht bekommen, nach dem dritten Monat, wenn das Kind eine Behinderung hat, dass fast alle sagen würden, Mensch, also ein Down-Syndrom-Kind, das würde ich doch bekommen, aber in dieser Situation entscheidet man dann doch irgendwie anders, weil es einfach eine Extremsituation ist.

Manche haben Angst, den Film zu sehen"

Wellinski: Wie haben Sie eigentlich die Reaktion des Publikums erlebt? Sie haben ja schon gesagt, Sie haben ja schon ganz viele Vorstellungen erlebt mit Q&A. Tränen sind, glaube ich, garantiert – das ist ein emotional sehr aufwühlender Film. Man kann sich dem gar nicht entziehen, auch wenn man möchte. Was waren die Reaktionen?
Berrached: Also manchmal kriege ich bei Facebook, da kriege ich Nachrichten von Leuten, die sagen, die auch Angst haben vielleicht, den Film zu gucken, weil sie sagen, Mensch, das ist ein Thema, was wirklich schwer ist, und ich habe schon gehört, da weint man auch. Nun ist es so, dass ich bei ganz vielen Vorstellungen bin nach dem Film, und danach bedanken sich die Leute bei mir, dass sie diesen Film geguckt haben. Eine Frau hat mir vor Kurzem geschrieben – das fand ich so schön –, sie meinte irgendwie, man nimmt den Film mit nach Hause, und da bin ich sehr stolz, dass wir es geschafft haben, einen Film zu machen, der das Thema so weitergibt an den Zuschauer, an den Menschen, und das wollten wir. Wir wollten, dass dieses tabuisierte Thema in den Vordergrund gerückt wird und dass wir darüber reden, so wie wir auch reden über Pränataldiagnostik, aber wir reden eben nicht, was ist, wenn die Pränataldiagnostik mal sagt, dass das Kind was hat – was ist denn dann, und diese Frage stellt der Film
Wellinski: Und ab Donnerstag sollte und kann sich jeder selbst überzeugen: "24 Wochen", dieser emotional sehr aufwühlende Film, kommt dann in unsere deutschen Kinos. Bei mir zu Gast war die Regisseurin Anne Zohra Berrached. Vielen Dank für den Besuch!
Berrached: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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