Abstrakte Malerei

Faszinierende Dämmerlandschaften

Das Bild "Komposition mit Linien und Farben III" von Piet Mondrian hängt am 30.01.2014 im Museum Bucerius Kunst Forum in Hamburg in der Ausstellung "Mondrian. Farbe". Die Ausstellung ist vom 01.02.2014 bis zum 11.05.2014 für Besucher geöffnet.
Die Ausstellung "Mondrian. Farbe" im Kunst Forum in Hamburg © picture alliance / dpa / Foto: Malte Christians
Von Anette Schneider · 30.01.2014
Jeder kennt sie - Piet Mondrians abstrakte Bilder mit roten, gelben und blauen Rechtecken auf weißem Grund. Das Kunstforum Hamburg zeigt jetzt weniger bekannte Arbeiten - naturalistische Ansichten mit Spuren von leuchtendem Rot und Blau.
Quadrate und Rechtecke in Rot, Gelb und Blau? Nichts da! Da die Ausstellung chronologisch vorgeht, steht man erst einmal vor kleinen Bildern mit naturalistischen Ansichten von Bauernhäusern, alten Schuppen und Birkenwäldchen! Piet Mondrian, 1872 bei Utrecht geboren, malte sie um 1900. Ganz im Stil der Zeit verwendete er erdige Farben, die ihm – wie Rembrandt – als Material der Wirklichkeit galten.
Nur wenige Schritte weiter ist alles anders: Da sieht man großformatige, helle Landschaftsszenerien, die sehr offensichtlich inspiriert sind von Edvard Munch und Ferdinand Hodler: Horizontal angelegt und betont flächig gemalt, verbannte Mondrian alles Naturalistische aus ihnen, und schuf stattdessen symbolhafte Flusslandschaften im Abendlicht oder bei Vollmond, die irisieren, glühen, aus sich selbst heraus zu leuchten scheinen.
Kuratorin Ortrud Westheider: "Wir wollen dem ganzen, geistesgeschichtlichen Kontext nachgehen, und auch zeigen, dass Mondrian sich sehr hat inspirieren lassen von den zeitgenössischen Diskussionen: Er war in Kontakt mit sehr vielen Künstlern in Amsterdam, später auch in Paris, und in diesen Jahren nach der Suche des ´großen Geistigen`, wie ... Kandinski das gesagt hat."
Die faszinierenden Dämmerlandschaften entstanden um 1907. Damals war Goethes Farbenlehre gerade "in". Ebenso esoterisch-theosophische Kreise, denen sich Mondrian anschloss. Angesichts real wachsender, gesellschaftlicher Probleme flohen viele Bürgerliche in idealistisch-geistige Sphären. Mondrians aus dem Bild drängendes Licht ist auch Ausdruck dieser Haltung. Ein Licht, dass sich manchmal unter Grautönen verbirgt, und erst bei genauem Hinsehen Spuren von leuchtendem Rot und Blau frei gibt.
"Ihn interessiert die Farbe am Übergang zwischen Hell und Dunkel. Und er sagt, frei nach Goethe, dass sich die Farbe aus dem Trüben heraus bilde. Der Effekt ist ein bisschen, als steht man in einem dunklen Raum: Das Auge gewöhnt sich an die Dunkelheit, und dann werden auf einmal auch solche Dinge sichtbar, die eigentlich erst einmal nicht wahrnehmbar sind."
Ringen um neuen Ausdruck
Eindrucksvoll zeigt die Ausstellung, wie Mondrian bei dem Ringen um neue Ausdrucksmöglichkeiten vorging. Schritt für Schritt nämlich – und damit ganz anders als viele seiner Zeitgenossen, die – wie etwa die russischen Konstruktivisten – alle bürgerlichen Kunstvorstellungen zerschlugen, um mithilfe einer neuen Kunst eine neue Gesellschaft aufzubauen.
"Er hat das genannt: eine Evolution. Eine Idee, dass man sich allmählich, ganz sensibel, und immer wieder auch der alten Werte vergewissern sollte, um dann Schritt für Schritt sich weiterzuentwickeln. ... in eine von allen materiellen Zwängen befreite Welt."

Die Bilder "Kirche in Zouteland" (l-r) und "Zon, Kerk in Zeeland" von Piet Mondrian hängen am 30.01.2014 im Museum Bucerius Kunst Forum in Hamburg in der Ausstellung "Mondrian. Farbe". Die Ausstellung ist vom 01.02.2014 bis zum 11.05.2014 für Besucher geöffnet.
Die Bilder "Kirche in Zouteland" (l) und "Zon, Kerk in Zeeland" von Piet Mondrian im Kunst Forum Hamburg© picture alliance / dpa / Foto: Malte Christian
So griff er um 1911 Ideen der Kubisten und der farbenstarken Fauvisten auf, die er für seine Vorstellungen weiterentwickelte: Für zahlreiche Bilder verwendete er z.B. ausschließlich leuchtende Blau- und Rottöne. Oder er zerlegte auf großem Format eine Dünenlandschaft in strahlend violette, kristalline Einzelteile. 1919, zwei Jahre nachdem er mit Kollegen die Künstlergruppe "De Stjl" gegründet hatte, entstand dann sein erstes, aus hunderten kleiner Quadrate bestehendes Rasterbild.
"Für Mondrian war das die Hoffnung für ein Ablegen alles Materiellen. ... Und die Bilder... Also, ich sehe sie als eine Art Meditationsübung, um eben diesen Zustand zu erreichen."
Auf die Kunst als Mittel der Meditation trifft man im Obergeschoss: Dort hängen einige der typischen Mondrian-Bilder, die ab 1921 entstanden, und an deren Form der Künstler fast ein Vierteljahrhundert lang festhielt – bis zu seinem Tod 1944.
"Rot, Gelb und Blau sind für Mondrian die Möglichkeit, ganz von den gegenständlichen Tatsachen wegzukommen, und trotzdem die Essenz zu zeigen. Farbe war für ihn Fläche, und Fläche war das Immaterielle, das Geistige. Er wollte eben ... in der Farbe das Licht auf eine neue Art und Weise thematisieren."
Flucht und Desinteresse
Seine Zeitgenossen interessierte dieses Anliegen übrigens nicht: Weder in Paris, wo Mondrian seit 1919 lebte, noch in London, wohin er 1938 vor den deutschen Faschisten geflohen war, und von wo er 1940 nach New York emigrierte, wurden die Bilder gezeigt.
"In dem Moment, wo auch mit Dadaismus, Surrealismus eben auch neue Spielarten aufkamen, war es so, dass diese geometrische Abstraktion auch ein Nischendasein führte. ... Er hat sich in vielen Phasen seines Lebens durch Kopien nach Alten Meistern über Wasser halten müssen."
Erst in den USA, wo die abstrakte Kunst bereits den Markt bestimmte, konnte Mondrian von seiner Malerei leben. Die dort schnell einsetzende, einseitige Rezeption, die nur sein abstraktes Werk wahrnahm, ohne nach dessen Wurzeln zu fragen, machte sein Frühwerk dann fast vergessen. Völlig zu Unrecht, wie die Hamburger Ausstellung eindrucksvoll zeigt.
Die Ausstellung "Mondrian. Farbe" ist bis zum 11. Mai im Bucerius Kunst Forum Hamburg zu sehen.
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