Abstrakte Klänge in Berlin

Von Ole Schulz · 30.01.2013
Originelle Klangforschungen und die neuesten Entwicklungen cluborientierter Bassmusik: Beim CTM-Festival in Berlin erkunden rund 300 Künstler musikalische Grenzbereiche. In diesem Jahr steht die Veranstaltung unter dem schillernden Titel "The Golden Age".
Montagnacht im Berliner HAU, dem Theater Hebbel am Ufer: Die Band Matmos spielt zur Eröffnung des CTM-Festivals. Die Musiker aus San Francisco sind Veteranen der Experimentalmusik und nutzen neben ihren Laptops und Instrumenten allerlei "Field Recordings" und Geräusche – zum Beispiel Luftballons, aus denen die Luft rausgelassen wird.

Die irritierenden Soundcollagen von Matmos sind der Auftakt eines Festivals, das dieses Mal unter dem – schillernden wie Fragen aufwerfenden – Motto "The Golden Age" steht. Für Jan Rohlf, einen der CTM-Kuratoren, ist der Titel eine Art Polemik:

"Dieses Jahr interessiert uns besonders diese gefühlte Überfülle von Musik momentan. Also, wir haben den Eindruck, es gibt mehr zu hören, es wird mehr produziert und auf mehr Kanälen denn je verteilt in die Welt als je zuvor. Und vielleicht sind auch die Ohren der Hörer offener und weiter geöffnet als je zuvor."

Was auf den ersten Blick wie die Verwirklichung lang umkämpfter kreativer Freiheit erscheint, wie sie Kunst und Popkultur immer versprochen haben, birgt allerdings auch Probleme.

"Künstler haben Schwierigkeiten ein Auskommen zu bekommen, die Verwertungsketten sind zusammengebrochen, man weiß nicht, wie man sich finanzieren soll. Man steht unheimlich unter Konkurrenzdruck in dieser Aufmerksamkeitsökonomie. Man weiß vielleicht auch nicht mehr genau, warum was gut sein soll und anderes nicht. Also, das sind alles Fragen, wo deutlich wird: Ok, das was eigentlich ein vielleicht Goldenes Zeitalter der entfalteten Möglichkeiten sein könnte, ist es vielleicht im Moment doch nicht, aber warum – danach möchten wir fragen."

"The Golden Age": Im CTM-Programm gehören dazu die Experimental-Altmeister von Matmos wie das neue deutsche Avantgarde-Duo Diamond Version von Carsten Nicolai und Olaf Bender. Beide gaben gestern gemeinsam mit dem Japaner Atsuhiro Ito im Berliner Klub Berghain ein Konzert. Ito erzeugte dabei mittels einer mit Tonabnehmern ausgerüsteten Neonröhre ohrenbetäubende Sounds und Rückkopplungen.

Das CTM-Festival überschreitet gern Genregrenzen und spannt einen weiten Bogen. An einem Ende stehen abstrakte Klangforschungen, am anderen die neusten Entwicklungen cluborientierter Bassmusik – etwa Electro von Pantha du Prince am heutigen Abend oder Neo-Dub des Briten Andy Stott am Freitag.

Bei aller Subjektivität in der Programmgestaltung geht es den CTM-Machern aber immer um besondere, ganz eigene "abenteuerliche" Musik, sagt Jan Rohlf:

"Dass wir auch bewusst nach Künstlern gesucht haben, die zumindest mit einem Fuß in einer sehr idiosynkratischen, persönlichen Auseinandersetzung stehen mit ihrer Musik, die vielleicht ganz schwer mitteilbar ist. Eben zu unterscheiden: Was macht das dann spannend? Alle arbeiten mit diesem Patchwork, bedienen sich aus Vorhandenem, bauen neu zusammen, bauen ihre eklektische Maschine, aber warum ist eine interessant und die andere nicht? Das ist eigentlich das, was uns leitet in dem Programm..."

Auf der Suche nach dem Goldenen Zeitalter wird auf dem CTM-Festival auch der allgegenwärtige "Retromania"-Trend in der Musik kritisch hinterfragt: Wenn wir unsere eigene Popgeschichte beständig recyceln, komme das der Flucht in eine Zeit gleich, in der man sich die positive Zukunft eines "Golden Age" wenigstens noch vorstellen konnte.

Sich ganz dem Reiz entziehen, im Retro-Fundus – zumindest der elektronischen Musik – zu stöbern, wollen die CTM-Macher aber nicht. Dadurch rücken sie auch ein fast vergessenes Instrument ins Rampenlicht: das elektronische "Subharchord" – ein Instrument, das die Subharmonien in die Klangerzeugung einbezieht. Die seltene Möglichkeit ein solches "Subharchord" live zu erleben, bietet das CTM-Festival am Samstag im legendären Gebäude des ehemaligen DDR-Rundfunks in der Berliner Nalepastraße.

Jan Rohlf: "Dieses Instrument wurde sieben Mal gebaut und drei davon haben überlebt. Eines wurde vor wenigen Jahren wiederentdeckt, eben just dort in diesem Funkhaus. Und wir machen jetzt da ein ganztägiges Programm mit extra in Auftrag gegebenen Werken von Biosphere und Frank Bretschneider. Und das ist eine ganz spannende Geschichte im Grunde aus den Pioniertagen oder dem Goldenen Zeitalter der elektronischen Musik."
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