Abstimmmung über Griechenland-Hilfspaket

"Die griechische Regierung ist erpresst worden"

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Linken-Politikerin Gesine Lötzsch hält nichts vom Hilfspaket für Griechenland. © dpa / picture alliance / Rainer Jensen
Gesine Lötzsch im Gespräch mit Nana Brink · 19.08.2015
Die Linken-Fraktion will heute gegen das dritte Hilfspaket für Griechenland stimmen. Die stellvertretende Vorsitzende Gesine Lötzsch sieht darin keine mangelnde Solidarität. Die griechische Regierung sei durch das Hilfspaket entmündigt worden.
Es werde heute im Bundestag nicht über die Unterstützung der griechischen Regierung abgestimmt, sagte die stellvertretende Vorsitzende der Linken-Fraktion, Gesine Lötzsch, im Deutschlandradio Kultur. Zur Abstimmung stehe die Politik der Bundesregierung gegenüber Griechenland, mit der ihre Fraktion nicht einverstanden sei.
Die soziale Lage hat sich verschlechtert
"Die griechische Regierung ist erpresst worden", sagte Lötzsch. Sie sei sogar entmündigt worden. "Vor allem führt dieser Weg dieses sogenannten Hilfspakets nicht zu einer wirtschaftlichen Gesundung des Landes." Das lasse sich an der Wirkung früherer Hilfspakete ablesen, die dazu geführt hätten, dass die Wirtschaftskraft des Landes um 22 Prozent gesunken sei.
Alles habe sich verschlechtert, kritisierte Lötzsch. Sie verwies unter anderem auf die 3,1 Millionen Griechen ohne Krankenversicherung und die 43 Prozent höhere Kindersterblichkeit. Wenn Griechenland jetzt zu weiteren Verschlechterungen im Sozialsystem und zur Privatisierung öffentlicher Güter gezwungen werde, sei das der falsche Weg.
Enthaltungen erwartet
Lötzsch räumte ein, dass es bei der heutigen Abstimmung auch einige Enthaltungen von Linken-Abgeordneten geben werde. "Wie viele es heute sein werden, werden wir natürlich erst am Ende des Tages wissen", sagte sie. Bei der vergangenen Abstimmung im Juli habe es zwei Enthaltungen gegeben.
"Wir riskieren keinen Grexit", sagte Lötzsch über das Abstimmungsverhalten ihrer Fraktion. "Derjenige, der versucht hat einen Grexit herbeizureden, ist der Bundesfinanzminister Schäuble." Die Linke stärke die Position von Griechenland, in dem sie sage, dass diese "Erpressungs- und Entmündigungspolitik" demokratisch nicht tragbar sei und die Lage im Land sich nicht verbessere. Stattdessen brauche Griechenland einen Schuldenschnitt.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Seit Tagen wird ja über die heutige Abstimmung im Bundestag zum dritten Hilfspaket der Eurostaaten für Griechenland diskutiert. Es geht immerhin um bis zu 86 Milliarden Euro. Bislang hält ja Europa das Land über Wasser, dessen Schulden sich mittlerweile auf gigantische über 300 Milliarden Euro aufgehäuft haben. Die dritte Hilfsaktion soll die letzte sein, worauf man wahrscheinlich lieber nicht wetten sollte nach den Erfahrungen der letzten Jahre. Die Euro-Finanzminister haben diesem Paket schon zugestimmt und auch das griechische Parlament hat den darin enthaltenen Reformzusagen und auch den Überwachungen zugestimmt. Die Fraktion Die Linke im Bundestag allerdings verweigert die Zustimmung auch zu diesem Hilfspaket, das hat sie gestern schon angekündigt. Gesine Lötzsch ist die stellvertretende Vorsitzende der Fraktion der Linken und Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Bundestags. Ich grüße Sie, Frau Lötzsch!
Gesine Lötzsch: Guten Morgen!
Brink: Sie haben gestern gesagt, ein Ja ist absolut ausgeschlossen. Und ich bin davon überzeugt, dass die große Mehrheit der Fraktion mit Nein stimmen wird. Ist das so?
Lötzsch: Ja, das ist so. Wir haben gestern noch einmal in der Fraktionssitzung sehr gründlich diskutiert und vor allem haben wir uns natürlich auch die Frage vorgelegt: Worüber stimmen wir eigentlich ab? Stimmen wir darüber ab, ob wir die griechische Regierung unterstützen, stimmen wir über die Politik von Alexis Tsipras ab? Nein, darüber stimmen wir nicht ab. Wir stimmen über die Politik der Bundesregierung gegenüber Griechenland ab. Und mit dieser Politik sind wir überhaupt nicht einverstanden. Und wir können dafür ganz viele Gründe aufzählen, man kann das ganz global erst mal formulieren: Die griechische Regierung ist erpresst worden. Sie ist auch, wenn man sich genau anschaut, was in diesen Vorschriften, in diesem "Memorandum of Understanding" steht, entmündigt worden.
Und vor allen Dingen führt dieser Weg dieses sogenannten Hilfspakets nicht zu einer wirtschaftlichen Gesundung des Landes. Das kann man ganz klar daran ablesen, wie denn die anderen sogenannten Hilfspakete gewirkt haben. Seit 2009 ist die Wirtschaftskraft des Landes um 22 Prozent gesunken, die Nettoeinkommen sind schmaler geworden, die Armutsquote liegt weit über einem Drittel, 3,1 Millionen Menschen haben keine Krankenversicherung, die Kindersterblichkeit liegt über 43 Prozent höher als vor der Krise. Also alles Verschlechterungen und keine Verbesserung. Und wenn jetzt Griechenland in diesem Paket, über das der Bundestag heute abstimmen soll, noch zu weiteren Verschlechterungen im Sozialsystem gezwungen wird und zur Privatisierung der öffentlichen Güter – ein wichtiger Punkt ist ja gestern schon benannt worden, nämlich der Verkauf der Flughäfen, und raten Sie mal, an wen: an Fraport, ein deutsches Unternehmen –, dann ist das einfach der falsche Weg. Und wir wollen, dass Griechenland wirtschaftlich gesunden kann.
Unterstützung für Tsipras
Brink: Über diesen Weg kann man ja auch unterschiedlicher Meinung sein, der gegangen wird. Aber die Stimmung ist ja beileibe nicht einhellig bei Ihnen, wie das nach außen so getan wird. Zum Beispiel der Obmann der Linken im Auswärtigen Ausschuss, Stefan Liebich, hat ja schon gesagt: Der Wunsch, Nein zu sagen, ist sehr groß, aber wir sind eben auch zu Solidarität nicht nur am Wahlabend gegenüber Syriza verpflichtet, sondern auch dann, wenn es schwierig wird für jetzt; ein Nein ist für mich nicht überzeugend. – Also nicht einhellig!
Lötzsch: Nein, ich habe ja gesagt, es gibt einige Enthaltungen in der Fraktion. Wir hatten auch bei der vergangenen Abstimmung im Juli zwei Enthaltungen. Wie viele es heute sein werden, werden wir natürlich erst am Ende des Tages wissen. Aber die Frage, ob die Solidarität mit Griechenland, mit der griechischen Regierung zu einer Zustimmung oder Enthaltung im deutschen Parlament führen sollte, die habe ich mir – und die Mehrheit der Fraktion – nach der Diskussion anders beantwortet. Wir stimmen ja hier nicht ab im Deutschen Bundestag, ob wir – ich kann das noch mal unterstreichen –, ob wir Alexis Tsipras unterstützen. Den können wir am besten unterstützen, aus meiner Überzeugung, wenn wir ganz deutlich machen, sowohl im Parlament als auch natürlich in den Diskussionen, die wir in unseren Wahlkreisen mit den Menschen führen, dass wir sagen, diese Politik gegenüber Griechenland ist falsch. Und nebenbei bemerkt, für uns hätten wir so eine Politik in einer Krise niemals akzeptiert! Und ich finde es immer ganz gut zu vergleichen, wie man sich selber in auch dramatischen Situationen verhalten hat.
Wir müssen da gar nicht so weit zurückgehen in die Geschichte, wir könnten natürlich lange reden über Schuldenerlass, der Deutschland gewährt wurde nach dem Ersten Weltkrieg, nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber ich glaube, so weit muss man überhaupt nicht in die Geschichte zurückgehen: 2008, 2009 hatten wir auch in Deutschland eine große Finanzkrise und die viel zu spät auch von den Verantwortlichen zugestanden und erkannt wurde. Und dann haben wir uns nach heftigen Diskussionen darauf geeinigt – was auch ein Ansatz der Linken war und dann auch von der Bundesregierung übernommen wurde –, wir dürfen in eine Krise nicht hineinsparen. Ich erinnere an die Diskussionen um die Konjunkturpakete, um die Investitionsprogramme. Einige erinnern sich vielleicht noch an die Abwrackprämie, damit wurde die Autoindustrie stabilisiert, die ein wichtiger Faktor in Deutschland ist, das Kurzarbeitergeld wurde verlängert. Also genau ganz andere Maßnahmen. Und bis heute wirken die Investitionsprogramme, in vielen Städten und Gemeinden kann man sich das ja vor Ort anschauen. Ich kann sagen, hier in Berlin hat man zum Beispiel mit diesem Investitionsprogramm viele Schulen saniert.
Brink: Ja, lassen Sie uns trotzdem jetzt beim Heute bleiben, also bei Griechenland auch bleiben! Ganz interessant ist ja, dass der griechische Regierungschef gesagt hat, es geht sehr wohl um höchste Dramatik. Er hat diesem Paket ja auch nur zugestimmt, nicht weil er inhaltlich überzeugt ist, sondern weil er gesagt hat, ich habe gar keine andere Chance, denn sonst droht der Grexit. Genau darum geht es ja eigentlich. Und ist das dann nicht doch mangelnde Solidarität, dass Sie ihm dann so in den Rücken fallen und einen Grexit riskieren?
Wir riskieren keinen Grexit
Lötzsch: Also, erstens: Wir riskieren keinen Grexit. Derjenige, der versucht hat, einen Grexit herbeizureden, ist der Bundesfinanzminister Schäuble. Er hat das in Verhandlungen getan und immer wieder in Nebenbemerkungen in Interviews, das ist überhaupt nicht unsere Position. Und wir stärken die Position von Griechenland, indem wir sagen, diese Erpressungspolitik und diese Entmündigungspolitik gegenüber Griechenland ist erstens demokratisch überhaupt nicht tragbar und zweitens wird sie die Situation im Lande nicht verbessern. Und das kann auch nicht Ziel sein innerhalb der Europäischen Union oder, noch kleiner gesprochen, innerhalb der Eurozone, dass ein Mitgliedsland schwach wird. Sondern wir haben doch eigentlich mal als europäische Idee verstanden, dass wir eine gemeinsame Gemeinschaft, eine Wertegemeinschaft von Ländern sind, von Staaten, die sich gegenseitig unterstützen und befördern und wo nicht einer der Schuljunge ist, der erzogen werden muss.
Brink: Apropos europäische Solidaritätsgemeinschaft: Wenn nicht dieses Hilfspaket, was dann?
Lötzsch: Ja, das ist, glaube ich, eine Frage, die ja nicht nur von den Linken jetzt mit vielen Vorschlägen beantwortet worden ist. Die erste Voraussetzung ist, dass wir unbedingt eine Schuldenerleichterung brauchen oder konsequenterweise natürlich einen Schuldenschnitt. Ich darf darauf verweisen, dass die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Frau Lagarde, gesagt hat, ohne Schuldenerleichterung für Griechenland wird es nicht gehen! Denn wenn wir uns mal anschauen, was passiert denn mit dem vielen Geld: Das wird quasi in ein Schuldenkarussell geworfen und kommt über dieses Schuldenkarussell in Deutschland und vor allen Dingen auch in Frankreich wieder an und die Banken werden damit unterstützt. Das Land an sich wird nicht stabilisiert.
Also erstens ganz wichtig: Wir brauchen einen Schuldenschnitt, ein Schuldenmoratorium, eine Schuldenstreckung. Das Wort Schuldenschnitt wird ja von einigen nicht gerne verwandt, ich bin da ganz offen, da kann man das auch anders nennen. Und wir müssen Griechenland natürlich auch die Chance geben, Wachstum zu entwickeln. Und dazu sind Investitionen nötig. Es wird seit Langem gesprochen über den großen Juncker-Plan, über 300 Milliarden Euro Investitionen für Europa. Nur, davon ist noch gar nichts irgendwo angekommen. Und wir müssen – das darf ich auch noch sagen – Griechenland auch Zeit geben! Wir müssen uns mal überlegen, diese Regierung ist ein halbes Jahr im Amt! Am Tag nach der Wahl haben sie angefangen zu arbeiten. In Deutschland führt man ein halbes Jahr Koalitionsverhandlungen und dann gibt es noch 100 Tage Schonzeit. Und natürlich muss eine Regierung auch Zeit haben, ihre Positionen umzusetzen.
Brink: Genau, und wie lange, das wird man sehen, denn es drohen ja auch Neuwahlen in Griechenland. Herzlichen Dank, Gesine Lötzsch, von den Linken stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Und heute ab neun Uhr wird über das dritte Griechenland-Hilfspaket im Bundestag abgestimmt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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