Abstieg einer Großmacht

Von Martin Zagatta · 30.07.2005
Als er seinen Landsleuten den Sieg über die Deutschen verkündet, im Mai 1945 – da wird Winston Churchill, der Mann mit der dicken Zigarre in der Londoner Innenstadt gefeiert. Doch schon zwei Monate später jagten die Briten den Volkshelden aus dem Amt, mitten in den Verhandlungen der Potsdamer Konferenz.
Die konnte Churchill auch nicht mehr zu Ende bringen, das musste er schon dem Labour-Politiker Clement Attlee überlassen, der zu seinem Nachfolger gewählt wurde.

Eigentlich hatte Churchill nur kurz von Potsdam nach London zurückkehren wollen - jetzt musste er mit versteinerter Miene mit anhören, wie die deutliche Mehrheit für die Labour-Opposition verkündet wurde. Umso erstaunlicher, weil die Wahl keine zwei Monate nach der Kapitulation der Deutschen abgehalten wurde, Anfang Juli schon, fast zwei Wochen vor der Konferenz. Doch die Auszählung dauerte bis auch die Stimmen aus Übersee eingetroffen waren.

Drei Wochen später war Churchill dann wie vom Schlag getroffen. Historiker sprechen heute vom schnellsten Stimmungsumschwung in der britischen Geschichte. Aber es hatte auch Warnzeichen gegeben: Der Krieg hatte Großbritannien in eine schwere Wirtschaftskrise getrieben.

Das britische Empire war in Auflösung begriffen und London dabei, seine weltpolitische Dominanz endgültig einzubüßen. Churchills Antwort, weitere Opfer von seinen Landsleuten zu fordern, traf auf Unwillen, wie der Premierminister schon im Wahlkampf spüren musste, als er selbst in London ausgebuht wurde.

Sie sollten besser zuhören, forderte Churchill da fast verzweifelt. Doch viele Briten litten regelrecht Hunger. Die Nahrungsmittelrationierung musste eine Zeit lang sogar noch strenger gehandhabt werden als während des Krieges.

Die britische Wirtschaft war durch die Zerstörungen schwer angeschlagen und kam erst langsam wieder in Gang. Durch den langen Waffengang hatten sich die Staatsschulden verdreifacht. Das stolze Großbritannien war auf Kredite der USA angewiesen. Und Kriegsverdienste hin- oder her: Die Mehrheit wandte sich von Churchill ab – hin zu einer Opposition, die nach den harten Jahren einen Neuanfang in Aussicht stellte, Reformen und - statt weitere Entbehrungen zu fordern - Vollbeschäftigung und Wohlfahrtsstaat versprach.

Die Leute, an die Churchill sich wandte, schienen nicht mehr dieselben, denen er im Krieg noch Halt gegeben hatte. So schildert Churchills Tochter Mary im Rückblick die Wochen vor der Potsdamer Konferenz. Die Menschen auf der Insel hatten erkannt, dass auch Churchill den Niedergang des britischen Empire nicht mehr aufhalten konnte.
Die Wirtschaftskrise untergrub die Bemühungen, weiterhin als Supermacht zu agieren. Billigflaggen machten der britischen Vorherrschaft im Seehandel ein Ende.

Die New Yorker Wall Street lief der Londoner Börse den Rang ab. Die Briten mussten die militärische und wirtschaftliche Übermacht der USA akzeptieren. Und auch, dass die Selbstständigkeitsbestrebungen vieler Kolonien nicht mehr aufzuhalten waren. Churchills Versuch, ein Gegenwicht zu Stalin zu bilden, konnte nur noch im Schlepptau der USA funktionieren.

Ob sein vorzeitiger Abgang bei der Potsdamer Konferenz das Verhandlungsergebnis beeinflusst hat, zugunsten Stalins, ist umstritten. Der neue Premierminister Clement Attlee war außenpolitisch kein Schwergewicht wie Winston Churchill. Attlees Rolle in Potsdam sei sogar, so urteilen Historiker, über die bloße Anwesenheit nicht weit hinaus gegangen.