Abstecher in die exotischen Weinwelten

18.10.2006
Stuart Pigott zählt international zu den wichtigsten Weinkritikern und begeistert mit seinem frechen, unkonventionellen Stil ein breites Publikum für seine Bücher. Für "Wilder Wein" hat Pigott sich auf die Reise in entlegene Weinanbaugebiete gemacht und innovative Winzer aufgestöbert.
Ein engagiertes Reisetagebuch hat Stuart Pigott mit "Wilder Wein" geschrieben – der leidenschaftliche Weinkritiker hat sich persönlich auf den Weg gemacht und entlegene Weinanbaugebiete der Erde aufgestöbert. Das Wort "entlegen" ist nur zum Teil geografisch zu verstehen: Pigott war in Thailand, Indien und den USA, aber auch in Südtirol und bei den "jungen wilden Winzern" in Deutschland. Auf seinen Reisen hat Pigott mutige und innovative Weinbauern gefunden, Menschen nach seinem Gusto, die - wie er selbst es gern tun - gegen den Strom schwimmen, Weinrevoluzzer, die ungewöhnliche und spannende Tropfen kreieren.

Man müsse, beschreibt Pigott sein Credo als Journalist, so sehr in den Gegenstand seiner Untersuchungen hineinkriechen, dass dieser im Gegenzug zurück in den Journalisten krieche – es gehe also darum, eine Recherche nicht nur zu leben, sondern zu erleben. Dieser sympathische und durchaus mühevolle Ansatz sorgt dafür, dass sich Pigotts Leidenschaft für die Welt der außergewöhnlichen Weine mühelos auf seiner Leserinnen und Leser übertragt. Und spätestens wenn Pigott nicht mit Details darüber spart, wie sich ein Brummschädel nach einer allzu ausgiebigen Weinverkostung anfühlt, hat er die Herzen seiner Leser gewonnen.

Vor allem in Asien stößt der reisende Weinfan Pigott auf Erstaunliches: Er verkostet Weine aus Mango, aus Ginsengwurzeln – die nichts mehr zu tun haben mit den "flauschig-weißen Kuschelhäschen", wie Pigott es provokativ nennt: Weinen, die dem modernen "Babygeschmack" entsprechen, oberflächlich attraktiv daherkommen, aber spätestens beim zweiten Glas ihre klebrig-kitschige Natur entblößen. Die "irren" Mango-, Ginseng- und natürlich auch Trauben-Weine, die Pigott in Thailand und Indien findet, sind für ihn ein Beweis seiner Leitthese: dass die Globalisierung auch positive Auswirkungen hat und eine davon in einem Zuwachs an Vielfalt zu finden ist. Ein Lobgesang auf die Vielfalt – das singt Pigott mit "Wilder Wein" und darin sieht er auch die Zukunft des Weins.

Dabei interessiert sich Pigott nicht nur für den Wein im Glas - auf den fast 500 Seiten seines Buches erzählt er auch von den Menschen, die ihm unterwegs begegnen. Er macht Seitenausflüge in Geschichte, Politik, Ökonomie, widmet sich viele Seiten lang ganz unerwartet den Teeanbaugebieten Indiens, erzählt amüsante und nachdenkliche Anekdoten und bringt auch sich selbst und seine stets mit ihm reisende Frau immer wieder in Spiel – zum Teil ganz persönlich, etwa wenn er über den Krebstod eines nahen Freundes erzählt und die Trauer, die ihn und seine Frau bei der Nachricht erfasst.

Pigotts pointierte und spritzige Sprache - hervorragend ins Deutsche übertragen von seiner Frau Ursula Heinzelmann - macht es leicht, das Buch in vollen Zügen zu genießen. Die thematischen Abstecher sind interessant, amüsant, vielfach aufschlussreich und gut recherchiert – streckenweise aber überschätzt sich der Autor. Manche Beobachtungen bleiben arg an der touristischen Oberfläche, darüber kann auch die flotte Sprache nicht hinwegtäuschen. Dass der buddhistische Mönch in Thailand aussieht, als habe er viel meditiert, dass in Indien Reich und Arm nebeneinander leben und man als westlicher Besucher mit Unwohlgefühlen an den Slums entlang reist – das erhellt niemanden und erweckt den Eindruck, Pigott habe hier und da Seiten interessanter zu füllen versucht, als er sich Gedanken gemacht hat.

Seine Stärke liegt eben im Wein – und deshalb ist sein Buch zu empfehlen: für versierte Weinliebhaber, die mutig genug sind, den Ironiker und Provokateur Stuart Pigott in die wilden und exotischen Weinwelten zu begleiten, aber auch für Wein-Einsteiger, die neugierig sind, was um alles in der Welt sich hinter edlen Tropfen namens "unplugged" oder "Sex Machine" verbergen könnte.

Rezensiert von Susanne Billig

Stuart Pigott: Wilder Wein. Reise in die Zukunft des Weins
Scherz Verlag
480 Seiten; 22,90 Euro