Absolut authentisch

16.02.2010
Das Leben von Ronald M. Schernikau eignet sich vortrefflich zur Legendenbildung, das Leben mehr als die Literatur, die er schrieb. Durch die Biografie "Der letzte Kommunist. Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau", die Matthias Frings 2009 veröffentlichte, ist diese Legende noch einmal mit einem gewissen Nachschub versehen worden.
Schernikau, geboren 1960, gestorben 1991 an den Folgen von Aids, hatte seinem kurzen Leben einige aufregende Wendungen gegeben, von denen sein jetzt vorliegender Band mit kleinen Essays und Zeitungsartikeln in detailliertester Weise kündet.

Alle einschlägigen Themen werden abgehandelt: in erster Linie die Homosexualität, die schon die "Kleinstadtnovelle" von 1980, das Debüt des Autors prägte. Schernikau war bei dieser Darstellung eines schwulen Coming-outs knapp 20 Jahre alt, doch im Gegensatz zum medialen Jugendkult von heute, im Gegensatz zu aktuellen peinlichen Journalistenfantasien sind Schernikaus Texte vor allem eins: absolut authentisch. Das ist gleichzeitig ihre Stärke und ihre Schwäche.

Auch beim zweiten Fixpunkt von Schernikaus Leben und Werken wird das deutlich: dem Kommunismus. Dass der exzentrische Jungautor ausgerechnet noch am 1. September 1989 in die DDR übersiedelte und die Staatsbürgerschaft dieses gerade eben sein Leben aushauchenden Gebildes annahm, wirkt zwar wie der Coup eines auf die größten Effekte setzenden Aktionskünstlers, war politisch aber geradezu triefend ernst gemeint.

Seine Rede, die er auf dem Schriftstellerkongress der DDR Anfang März 1990 hielt, wollte wie ein Manifest wirken, und in Erinnerung geblieben ist sie auch – sie ist in diesem Nachlass-Sammelband selbstverständlich abgedruckt: "Am 9. November 1989 hat in Deutschland die Konterrevolution gesiegt. Ich glaube nicht, dass man ohne diese Erkenntnis in der Zukunft wird Bücher schreiben können."

Schernikaus Verehrung für den stalinistischen Ästheten Peter Hacks wird genauso dokumentiert wie seine Vorliebe für den Schlager, für westliche Popkultur-Göttinnen wie Romy Schneider oder seine politischen Fragen: Was macht ein revolutionärer Künstler ohne Revolution? Wie gehe ich mit Größe durch den Schund der Zeit? Leitmotivisch verhandelt wird daneben die Problematik des "Fickens im Zeichen von Aids", die im Zeichen von Schernikaus frühem Tod zusätzlich aufgeladen erscheint.

Die Mischung aus Naivität und Querdenken ist bezeichnend – Schernikau ließ sich trotz seiner hochfliegenden Thesen nie dogmatisch und einseitig vereinnahmen. Und abgedruckt ist in "Königin im Dreck" auch eine Kleinanzeige, die er 1984 formuliert hat und seinen Narzissmus wie seine Haltung zur Welt pointiert wiedergibt: "ich brauche geld. ich bin homosexuell und links, ich schreibe romane. davon kann ich nicht leben."


Besprochen von Helmut Böttiger

Ronald M. Schernikau: Königin im Dreck. Texte zur Zeit (hg. von Thomas Keck)
Verbrecher Verlag Berlin. 303 Seiten, 15 Euro