Abschiedsgrüße aus der Gestapo-Haft

Helmuth Caspar von Moltke im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 17.03.2011
Die Abschiedsbriefe zwischen dem Ehepaar Freya und Helmuth James von Moltke, geschrieben während seiner Gestapo-Haft bis zur Hinrichtung 1945, sind jetzt erschienen. Dass diese Korrespondenz überhaupt existiert, ist schon ein Wunder, sagt Sohn Helmuth Caspar von Moltke. Die Briefe seien vom Gefängnispfarrer Harald Poelchau hin- und hergeschmuggelt worden.
Liane von Billerbeck: Bislang kannte man diese Briefe nicht, die von September 1944 von seiner Verhaftung bis zu seiner Hinrichtung am 23. Januar 1945 gewechselt wurde: Helmuth James Graf von Moltke und seine Frau Freya, beide mit Gleichgesinnten aus dem Kreisauer Kreis im Widerstand gegen Hitler, haben sie geschrieben. Dass das gelang in diesen letzten Monaten des NS-Regimes, das allein ist schon ein Wunder. Freya von Moltke hatte verfügt, dass diese Briefe frühestens ein Jahr nach ihrem Tod veröffentlicht werden sollen. Unter dem nüchtern klingenden Titel "Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel" sind sie jetzt erschienen. Helmuth Caspar von Moltke, der älteste Sohn des Paares, hat sie als Buch gemeinsam mit Ulrike von Moltke herausgegeben, und er ist jetzt bei uns zu Gast. Herr von Moltke, herzlich willkommen!

Helmuth Caspar von Moltke: Danke schön!

von Billerbeck: Damals, am Ende des Hitler-Regimes, wurden alle verhaftet und ermordet, derer die Gestapo habhaft werden konnte von den widerständigen Männern und Frauen aus dem Kreisauer Kreis. Und in dieser Zeit können sich zwei Menschen, ein Ehepaar – er im Gefängnis und mit dem Tode bedroht, sie außerhalb – Hunderte Seiten Briefe schreiben. Wie war das möglich?

von Moltke: Es ist an sich ein Wunder, und das Wunder kam in der Form des Gefängnisseelsorgers Harald Poelchau, der wohl auch in Berlin immer noch heute bekannt sein dürfte. Er war lange Jahre nach dem Krieg noch in Berlin tätig und ist auch hier gestorben. Er hat diese Briefe tagtäglich transportiert. Meine Mutter hat sie meistens in der Wohnung von Poelchaus in Empfang genommen und dort auch ihre eigenen Briefe geschrieben. Und Harald Poelchau hat sie dann ins Gefängnis Tegel gebracht und auch wieder, nachdem mein Vater sie gelesen hat, rausgeholt.

von Billerbeck: Freya und Helmuth dürften das einzige Ehepaar aus dem Kreisauer Widerstand gewesen sein, das sich über so lange Zeit voneinander verabschieden konnte. Das Besondere dieses einzigartigen Briefwechsels ist ja, dass die beiden nie wussten, wie viel Zeit ihnen noch bleibt. Jeder Brief konnte der letzte sein. Wie ertragen zwei Menschen diese unerträgliche Spannung?

von Moltke: Ja, sie waren beide am Anfang dieser Korrespondenz überaus glücklich, dass ihnen der Kontakt wieder gelungen war. Sie hatten gerade acht Monate hinter sich, wo mein Vater in Haft war – wegen einer anderen Angelegenheit saß er in Ravensbrück unter Schutzhaft, sogenannter Schutzhaft –, aber in diesen Monaten konnten sie nur über zensierte Botschaften und über zensierte Besuche miteinander verkehren. Und jetzt hatten sie im September die Gelegenheit, frei miteinander zu sprechen, alles zu sagen, was sie sich zu sagen hatten, und das war für sie ein großes Glück.

von Billerbeck: Worüber schreiben die beiden in so einer existenziellen Lage?

von Moltke: Sie haben gleich von Anfang an gesagt, wir müssen uns verabschieden. Es war ihnen beiden klar, dass mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit ein Todesurteil herauskommen würde und mein Vater hingerichtet werden würde. Und deswegen beginnen beide Briefe gleich vom ersten Tag als Abschiedsbriefe. Aber dann zog es sich hin, und der Briefwechsel hat ganz andere Themen: Es geht um Verteidigung, es geht um die Regelung familiärer Angelegenheiten, aber es geht auch um wunderschöne Beschreibungen von friedlichen Weihnachtstagen in Kreisau und Beschreibungen, wie es im Gefängnis zugeht. Da ist ein sehr lustiger Brief meines Vaters zum Beispiel, wo er beschreibt, wie die Wärter sich vor den Maßnahmen schützen, dass alle Leute ihre Karnickel und Hühner abliefern mussten. Die haben sie dann ins Gefängnis nach Tegel gebracht und da vor den Behörden geschützt, gehütet. Und solche derartigen Tagesszenen, die eher freudig sind, sind auch Bestandteil dieser Korrespondenz.

von Billerbeck: Trotzdem könnte man annehmen, dass, wenn man weiß, man muss wahrscheinlich, mit großer Wahrscheinlichkeit sterben, dass man in heftige Verzweiflung gestürzt wird. Nun gibt es zwar Briefe – ich hab ja das Buch auch gelesen –, die sprechen von Anfechtungen, Zweifeln, aber nicht von Verzweiflung. Wie kommt das?

von Moltke: Die Verzweiflung kommt nie. Es fängt an mit dem Glück des Wieder-Kommunizierens, und es wird getragen von dem Glück ihrer langen Ehe. Und es wird auch getragen von dem tiefen Glauben meiner Eltern, dass, was sie tun, richtig ist politisch, und was sie tun, auch im Sinne einer Menschlichkeit und eines göttlichen Glaubens das Richtige ist.

von Billerbeck: Helmuth Caspar von Moltke ist mein Gesprächspartner. Wir sprechen über die "Abschiedsbriefe", die sich seine Mutter Freya und sein Vater Helmuth James von Moltke von 1944 bis zu dessen Hinrichtung im Januar 45 geschrieben haben. In der Verteidigungsstrategie zu dem Prozess, da hatte Freya ihrem Mann ja geraten, nicht zu kompliziert vor Gericht zu sein, nicht zu intellektuell, und beiden war daran gelegen – ihm natürlich besonders –, nicht mit den Attentätern vom 20. Juli in Verbindung gebracht zu werden, also nicht mit diesem Gewaltakt. Warum diese Abgrenzung?

von Moltke: Ja, da hat es bei den verschiedenen Gruppen im Widerstand immer Unterschiede gegeben. Sie waren alle gegen das Regime, aber sie waren verschiedener Meinung, wie das Regime beseitigt werden sollte. Mein Vater stand sehr unter der auch politischen Meinung, dass das Kriegsende 1918 Anlass gegeben hatte zu einer Dolchstoßlegende, und er wollte absolut verhindern, dass ein Attentat und dass das Ende des Naziregimes dann von der Bevölkerung ausgelegt wurde dahingehend, dass die Wehrmacht eben doch gesiegt hätte, hätte nicht eine Gruppe von Verschwörern ein Ende bereitet. Er meinte, dieser Fehlgedanke der deutschen Geschichte, den die Nazis verbreitet hatten, der müsste zu seinem Ende kommen, wie es die Alliierten sich vorgestellt hatten. Es musste ein absoluter Abschluss des Krieges kommen, der zeigte, dass dies in der Form, wie die Nazis es dachten, nicht möglich sei.

von Billerbeck: Man fragt sich bei alledem immer, wenn man das liest, woher nimmt ein Mensch die Kraft, den eigenen Tod vor Augen, seine Liebste, seine Frau auf das Leben danach vorzubereiten.

von Moltke: Meine Eltern haben sich natürlich abfinden müssen mit der Trennung, und sie sind dann so dazu gekommen, dass sie sich beide ineinander tragen würden. Das heißt, dass mein Vater nach seinem Tod eine Stelle in der Seele, in dem Körper meiner Mutter behalten würde. Und das haben sie bis zum Ende durchgezogen. Meine Mutter hat noch im ganz hohen Alter, als sie 98 Jahre alt war, gesagt: Ich trage immer meine Lieben bei mir. Und damit hat sie meinen Vater gemeint, der immer noch bei ihr wohnte, aber auch meinen Bruder Konrad, der leider vier Jahre vor ihr gestorben ist.

von Billerbeck: Nun hätten Sie ja diesen Schatz an Briefen auch für sich, die Familie, behalten können, warum haben Sie sich dennoch für eine Veröffentlichung dieser Briefe ihrer Eltern entschieden?

von Moltke: Wir haben vor vielen Jahren die anderen Briefe meines Vaters veröffentlicht, die er in den Jahren geschrieben hatte, als er noch als freier Mann aktiv sein konnte, und diese Briefe gehören im Grunde dazu. Wir hatten auch uns überlegt, dass sie eben doch als Briefe und als durchgehende Historie wichtig sind für Deutschland und in ein deutsches Archiv gehören. Und meine Mutter und ich haben uns dann noch geeinigt im letzten Jahr ihres Lebens, dass wir es als Schenkung an das Deutsche Literaturarchiv Marbach geben würden. Und diese Briefe, die wir jetzt veröffentlichen, die sind schon seit 18 Monaten in Marbach, und da natürlich für Leute, die an den Themen des Widerstands und an der Geschichte des Widerstands forschen wollen, sind sie zugänglich.

von Billerbeck: Helmuth Caspar von Moltke über die Briefe, die sich seine Eltern Freya und Helmuth James Graf von Moltke in den Monaten vor der Hinrichtung des Vaters durch die Nationalsozialisten geschrieben haben. Herr von Moltke, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

von Moltke: Danke schön!

von Billerbeck: Die "Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel: September 1944 – bis Januar 1945" sind im Verlag C.H. Beck erschienen.