Abschied vom Wachstumszwang

Rezession als Chance

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Geschäftsmänner tauchen und schwimmen in Vertiefungen im Liniendiagramm
Der dräuende Abgrund der Rezession: Für viele ein Schreckensbild. Für andere ein Anlass, Ernst zu machen mit dem Abschied vom Wachstum. © imago/Ikon Images/Rob Goebel
Ein Standpunkt von Ulrike Herrmann · 22.01.2020
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Nichts fürchtet Deutschland so sehr wie eine schrumpfende Wirtschaft. Doch wer weiterhin auf Wachstum setzt, ist den Herausforderungen des drohenden Klimawandels nicht gewachsen, sagt die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann.
Alle Ausblicke auf das neue Jahr 2020 kreisten um die gleiche Angst: Könnte es zu einer Rezession kommen? Die Erleichterung war daher groß, als die Ökonomen Entwarnung gaben und versicherten, dass die Weltwirtschaft weiter wachsen würde. Plausible Gründe konnten die Ökonomen auch nennen: Der Handelskrieg zwischen den USA und China sei beigelegt, die Zinsen würden unverändert niedrig liegen, und der Konflikt zwischen den USA und dem Iran scheint auch nicht zu eskalieren.
Bleibt die Frage: Warum geraten alle in Panik, sobald sich andeutet, dass die Wirtschaft eventuell einbrechen könnte? Theoretisch ließe sich eine Rezession doch als Chance betrachten, dass endlich der Verbrauch von Natur und Rohstoffen sinkt. Momentan tut Deutschland so, als könnte es anteilig die Erträge von drei Planeten verbrauchen. Bekanntlich gibt es aber nur die eine Erde. Um den Raubbau an der Umwelt zu beenden, wäre ein bisschen Krise hilfreich – könnte man denken.

Zum Wachstum verdammt

Doch offenbar ist es nicht so einfach, dem Wachstumszwang zu entkommen. Instinktiv ahnen die meisten, dass ihr Einkommen und ihre Sicherheit davon abhängen, dass die Wirtschaft weiter wächst und dass eine Krise gefährlich wäre. Wir scheinen zum Wachstum verdammt.
Die Automobilindustrie ist dafür ein Beispiel. Die ganze Nation schreckte auf, als Audi im November verkündete, dass man bis zum Jahr 2025 rund 9.500 Stellen abbauen will. Kündigungen soll es trotzdem nicht geben. Es verliert also niemand seinen Job – trotzdem war Audi tagelang Thema. Urängste wurden wach, dass andere Firmen nachziehen könnten und bald Massenarbeitslosigkeit herrscht.

Die Zeit drängt

In der deutschen Automobilindustrie arbeiten direkt und indirekt etwa 1,75 Millionen Menschen. Zudem ballen sich diese Betriebe in wenigen Regionen. Die Frage ist also: Was soll aus Baden-Württemberg oder Niedersachsen werden, falls die Autoindustrie keine Zukunft hat? Diese Frage mag etwas hypothetisch wirken, denn im vergangenen Jahr wurden so viele SUVs verkauft wie noch nie. Mehr als eine Million dieser Pseudo-Geländewagen wurden 2019 in Deutschland abgesetzt.
Trotzdem sind SUVs ein Auslaufmodell. Sie verbrauchen zu viel Umwelt und zu viele Rohstoffe. Und die Zeit drängt: Bis 2030 muss Deutschland den Ausstoß am Treibhausgas CO2 halbieren, wenn es angemessen dazu beitragen will, dass sich die Welt nicht um mehr als zwei Grad erwärmt. Bis 2050 dürfen gar keine Klimagase mehr ausgestoßen werden. Diese Ziele sind niemals zu erreichen, wenn noch immer Verbrennungsmotoren auf den Straßen unterwegs sind.

Am Schrumpfen führt kein Weg vorbei

Es wird auch nicht möglich sein, dass alle Autobesitzer auf Elektroautos umsteigen, die dann mit Ökostrom betrieben werden. Denn regenerative Energie wird immer knapp bleiben. Deutschland kann gar nicht so viele Windräder aufstellen, wie gebraucht würden, um die gesamte Wirtschaft klimaneutral zu betreiben.
Die deutsche Wirtschaft wird also schrumpfen müssen. Denn man kann nicht dauerhaft die Erträge von drei Planeten verbrauchen, wenn man nur eine Erde hat.

Mit der Natur lässt sich nicht diskutieren

Doch wie soll man sich dieses Schrumpfen vorstellen? Dafür gibt es bisher kein Konzept. Nur zwei Beispiele: Ohne Wachstum würden Lebensversicherungen sofort ihren Sinn verlieren, denn sie setzen ja darauf, dass aus den eingezahlten Prämien mehr Geld wird – sie sind also die Inkarnation des Prinzips Wachstum. Ähnliches gilt für die Banken: Kredite können nur zurückgezahlt werden, solange der Umsatz nicht sinkt.
So unvorstellbar es heute erscheint: Autos, Banken und Versicherungen werden künftig weitgehend obsolet. Denn mit der Natur lässt sich nicht diskutieren. Der Klimawandel wird ein geschrumpftes Wirtschaftssystem erzwingen. Aber noch weiß niemand, wie dieses Schrumpfen gelingen könnte, ohne dass Chaos ausbricht.
Also wird weiter auf Wachstum gesetzt, obwohl offensichtlich ist, dass dieses Wachstum schädlich ist.

Ulrike Herrmann arbeitet als Redakteurin bei der "tageszeitung" (taz) und ist seit 2006 deren Wirtschaftskorrespondentin. Die ausgebildete Bankkauffrau absolvierte die Henri-Nannen-Schule und studierte Geschichte und Philosophie an der Freien Universität Berlin. Sie ist Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen und hat zahlreiche Bücher zu Wirtschaftsthemen geschrieben. Ende 2019 erschien "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind".

Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann, aufgenommen bei bei der ARD Fernseh- Talkshow Maischberger am Mittwoch, den 06.03.2019 in Köln.
© picture alliance/Flashpic/Jens Krick
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