Abrissbirne in Chemnitz

Von Alexandra Gerlach · 11.11.2008
In Chemnitz lässt die kommunale Wohnungsgesellschaft zahlreiche Gründerzeithäuser abreißen. Begründung: Die Sanierung der maroden Altbausubstanz sei zu teuer. Darüber hinaus ließen sich keine Mieter oder Käufer finden für die alten Wohnungen. Doch es regt sich Protest gegen die Abriss-Aktion.
Chemnitz heute morgen. Auf dem Sonnenberg, einem zentrumsnahen und sozial eher schwachen Stadtviertel haben die Bagger wieder einmal Position bezogen. Dieses Mal an der Palmstraße / Ecke Reinhardstraße. In dem von der Straße einsehbaren Hinterhof eines einst prachtvollen viergeschossigen Gründerzeit-Eckhauses stehen ein Bagger, ein kranartiges Gefährt mit Greifarm und eine Raupe nebeneinander und warten auf ihren Einsatz. Rot-Weiße Absperrungen und Bauzäune stehen auf der Straße vor dem Altbau mit seinen verspielten Giebeln:

"Entschuldigung, geht das mit dem Abriss hier heute noch los?"

Drei große Häuser aus der Gründerzeit, der industriellen Blütezeit von Chemnitz, werden dieses Mal fallen, so sieht es die Planung der städtischen Wohnungsgesellschaft vor. 43 Wohnungen werden durch diese Maßnahme "vom Markt genommen", wie es so schön heißt.

Insgesamt werden am Ende des Jahres in Chemnitz 650 Wohnungen verschwunden sein, durch Abriss. Zunehmend werden seit rund zwei Jahren auch Altbauten vernichtet - manchmal auch obwohl sie unter Denkmalschutz stehen oder kurz zuvor noch gestanden haben. Das erzürnt viele Chemnitzer, so auch den Formgestalter Clauss Dietel. Der 74 -Jährige, der zu DDR-Zeiten maßgeblich in der Automobilindustrie tätig war, hat sein Atelier seit einem halben Jahrhundert auf dem Sonnenberg. Er ist empört darüber, dass nun ganze Quartiere abgerissen werden:

"Hier wird in bürgerliche Substanz des 19.und 20.Jahrhunderts eingerissen, in dieser schon so gezeichneten, durch den Krieg durch die Bomben gezeichneten Stadt. Das ist tragisch, das sind die größten Zerstörungen, die ich kenne, seit 50 Jahren."

Der Abriss wird allen Protesten zum Trotz, vom Freistaat gefördert, mit rund 70 Euro pro Quadratmeter. Das ist allemal billiger, als marode Altbausubstanz teuer zu sanieren. Abrissbefürworter führen zudem ins Feld, dass es keine Interessenten für die alten Wohnungen gebe. Clauss Dietel hingegen spricht von der dritten Zerstörung seiner Heimatstadt:

"Die erste große Zerstörung war der Bombenangriff vom 5. März 1945. Zu DDR-Zeiten wurden dann viele noch erhaltenswerte Gebäude abgerissen und jetzt geht es hier an zentrumsnahe Gebäude. Ich bin nicht unbedingt ein Freund der Gründerzeit, aber das ist unser Erbe, das ist unser unbezahlbares Erbe. Ich halte das für fast verbrecherisch."

Der Weg zum nahegelegenen Bäckergeschäft führt vorbei an den Fassaden der Abriss-geweihten Häuser in der Reinhardtsstraße. Die mit Sandsteingesimsen gefassten Fenster sind teilweise bekrönt von kleinen Sandsteinköpfen. Stolz schweben profilierte Giebel über den alten Eingangstüren. Arbeiter tragen ehemals weißlackierte alte Zimmertüren auf die Straße zum Sperrmüll, Viele Fenster sind schon ausgebaut. Clauss Dietel ärgert sich:

"Da stecken die Leistungen unserer Vorväter drin, und was man daraus machen könnte. Mich regt das so auf, weil ich Gestalter bin, und weil ich weiß, was aus so einem Haus zu machen wäre."

Doch dieser Standpunkt wird längst nicht von allen Chemnitzer Bürgern geteilt, das macht der kurze Aufenthalt beim Bäcker deutlich:

"(Streit über Sinn und Unsinn dieser Abrissaktion)"

In einem Schreiben an das sächsische Innenministerium beklagen die Abrissgegner, die sich im Chemnitzer Stadtforum organisiert haben, die angeblich andauernde Ignoranz der Stadt beim nachhaltigen Stadtumbau. Durch den Eingriff mit der Abrissbirne in ganze Quartiere drohe eine irreparable Zerstörung des Stadtbildes, während an anderer Stelle DDR-Plattenbauten aufwändig saniert oder munter neue Wohngebiete auf der grünen Wiese gebaut würden.

Diesen Vorwurf weist die kommunale Wohnungsgesellschaft, GGG, zurück. In der Chemnitzer Freien Presse von heute nennt GGG-Chefin Simone Kalew diese Vorwürfe "haltlos". Der Abriss von Altbauten habe sich verlangsamt, weil die Genehmigung schwieriger geworden sei, so Kalew gegenüber der Zeitung. Das heute zum Abriss stehende Karée an der Ecke Palm- Reinhardtstraße sei zudem nie ganz geschlossen gewesen und erfülle somit auch keine städtebauliche Funktion als so genannte Raumkante. Das sehen manche Bürger im Sonnenberg-Viertel anders, so wie diese junge Krankenschwester, die erst 2007 zugezogen ist.

"Das wird die Stadt an dieser Stelle sehr verändern. Ich finde die Stadt sollte das Geld investieren, um diese Häuser zu erhalten, das Erbe. So etwas kommt nicht wieder."