Abraham-Geiger-Preis für Amos Oz

"Seine Zuversicht ist Zuspruch für uns alle"

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Der Schriftsteller Amos Oz, hier bei der Verleihung des Internationalen Literaturpreises Berlin am 08.07.2015. © picture alliance / dpa / Stephanie Pilick
Von Anne Françoise Weber · 26.05.2017
Seit Jahrzehnten setzt sich der israelische Schriftsteller Amos Oz für Frieden und Verständigung in seinem Land ein. Für sein Engagement wurde er jetzt auf dem Evangelischen Kirchentag mit dem Abraham-Geiger-Preis geehrt.
"Mit Amos Oz ehren wir einen Mann, der fest an die Menschen und ihre Fähigkeit glaubt, die Welt zum Besseren ändern zu können. Seine Zuversicht ist Zuspruch für uns alle."
Weltverbesserung und Zuversicht, diese Stichworte von Walter Homolka, Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs, zogen sich wie ein roter Faden durch den Abend der Preisverleihung in der Berliner Universität der Künste. Amos Oz teile seinen kritischen Geist mit dem Namensgeber des Preises, dem Vordenker des liberalen Judentums Abraham Geiger, so Kultursenator Klaus Lederer, der die Laudatio hielt:
"Rabbiner Abraham Geiger selbst hat das 1838 so ausgedrückt: Der Schriftsteller dürfe nicht nur als Tadler des Abgelebten erscheinen, also als Kritiker von Vergangenem, sondern müsse auch Wege und Mittel der Neugestaltung angeben."

Anarchistisches Gen des Zweifelns

In seiner Dankesrede verwob Oz geschickt Gedanken aus seinen neuesten Büchern mit Aussagen zu Antisemitismus, Antizionismus und israelischer Politik. Vor allem sang er ein Loblied auf das "anarchistische Gen des Zweifelns und Argumentierens", das er im Judentum keineswegs biologisch, aber intellektuell vererbt sieht. In schlechten Zeiten allerdings – zu denen Oz auch die heutigen zählt – gehe dieses Gen durch Fanatismus und Angst manchmal verloren.
Anhand seines 2015 auf Deutsch erschienenen Romans "Judas" machte Oz deutlich, welche Haltung er bevorzugt, nicht nur gegenüber seinen Romanfiguren:
"Manche meiner Leser fragen mich immer wieder: Wer spricht für Sie in diesem Roman? Das ist, als wenn man den Komponisten eines Streichquintetts fragen würde, ob er auf Seiten der Violine stehe, sich mehr mit dem Cello identifiziere oder doch mit dem Kontrabass. Ich bin bei all diesen Personen und doch weit weg von ihnen. Ich bin jeder von ihnen sehr nahe und doch ganz distanziert. Diese Haltung empfehle ich nicht im alltäglichen Umgang mit Angehörigen, Kindern, Ehepartnern.
Aber ich glaube, man kann keine echte Erzählung schreiben, wenn man nicht diese leicht distanzierte Neugier besitzt: Was wäre, wenn ich sie wäre? Wie würde ich mich an seiner Stelle fühlen? Wofür würde ich mich schämen? Was würde ich mir wünschen? Was fürchten? Diese Fragen zu stellen, ist die Voraussetzung, um eine Geschichte zu erzählen. Und sogar die Voraussetzung für bessere Beziehungen zwischen Menschen."

Segensreiche Erschöpfung

Für bessere Beziehungen zwischen Israelis und Palästinensern setzt sich Amos Oz seit Jahrzehnten ein. Der Mitgründer der Friedensorganisation "Peace Now" verbreitete hier die ihm zugeschriebene Zuversicht – wenn auch mit einer überraschenden Begründung:
"Viele internationale, interreligiöse oder persönliche Konflikte werden nicht durch eine Wunderformel gelöst, bei der sich die früheren Feinde weinend umarmen und in Dostojewski-Manier ausrufen: 'Bruder, habe ich an dir gesündigt? Vergib mir, nimm alles und gib mir deine Liebe.' Nein. Die meisten Konflikte werden nicht gelöst, sondern klingen ab, aufgrund von Ermüdung und Erschöpfung, den Voraussetzungen für Kompromiss."
Er bemerke diese segensreiche Erschöpfung bei Israelis und Palästinensern, so Oz weiter - außer natürlich bei den Fanatikern auf beiden Seiten. Und immerhin:
"Zum Glück müssen wir israelischen Juden nur Frieden mit den Palästinensern schließen, nicht mit ihren Freunden in Europa. Die sind unermüdlich und manchmal fanatisch."
Ein kleiner Seitenhieb auch gegen manche allzu israelkritischen Besucher des Evangelischen Kirchentags, in dessen Rahmen die Preisverleihung stattfand.

Abschließendes Versprechen ans Publikum

So stark wie Oz den Geist des Fragens und Zweifelns machte, war es nur logisch, dass der 78-Jährige das abschließende Versprechen an sein Publikum mit einer Aufforderung verknüpfte:
"So lange diese Hand einen Stift halten kann und dieser Geist und dieses Herz weiter Geschichten erfinden können, traurige, lustige, zweideutige und komplexe, so lange werden Sie mich hören müssen. Ob Sie zuhören, ist Ihre Sache – aber Sie werden mich hören, wie ich Fragen stelle. Und Sie dürfen sehr gern eine Frage mit einer Gegenfrage beantworten. Warum nicht?"
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