„abgrund“ an der Schaubühne Berlin

Wenn aus einem Essen ein Psychothriller wird

08:02 Minuten
Vier Schauspieler an einem Tisch, auf dem viele leere Gläser und Flaschen stehen und prosten sich zu. Im Hintergrund steht weiß auf schwarzer Wand: "Prost".
Isabelle Redfern, Laurenz Laufenberg, Alina Stiegler, Moritz Gottwald © Arno Declair
Barbara Behrendt im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 02.04.2019
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In dem Stück "abgrund" an der Schaubühne gerät die Welt von zwei Paaren aus den Fugen, als eines von ihnen ein Kind verliert. Unsere Rezensentin Barbara Behrendt kritisiert die Inszenierung von Thomas Ostermeier als effektüberladen.
Das Stück handelt von Menschen der urbanen Mittelschicht. Menschen Ende Dreißig mit guten Jobs, schönen Wohnungen und kleinen Kindern. Zwei Paare treffen aufeinander zum gemeinsamen Abendessen. Zwei kleine Kinder spielen im Kinderzimmer, während die Eltern über Lavendelkuchen, Dinkelbrot und Facebook diskutieren.
Maja Zade treffe dabei den Ton sehr gut, sagt Kritikerin Barbara Behrendt:
"Diese Dialoge sind der Realität in all ihrer Umgangssprachlichkeit schon sehr gut abgelauscht. So reden Menschen bei einem Abendessen. Das sind Klischees, die zutreffen. Wir sind gemeint. Die Thomase und Christophs dieser Welt."

Falsches Sicherheitsempfinden

"Es geht Maja Zade darum, uns unsere Scheinsicherheit aufzuzeigen", erklärt Behrendt. "Wir kaufen das richtige Essen, wir versuchen moralisch das richtige Leben zu leben, wollen die richtige Partei wählen, die wichtigen Bücher lesen. Und darüber hat sich ein falsches Sicherheitsgefühl gelegt, als könnte uns guten, tüchtigen Menschen nichts passieren."
Doch dann passiert das Undenkbare, die Katastrophe: Eins der Kinder stirbt. Mit dem Tod des Kindes offenbare sich die Oberflächlichkeit der Erwachsenen, so Behrendt:
"Diese Gesellschaft, das versucht Zade zu zeigen, ist unter der sauberen Oberfläche völlig unfähig, mit dem Unerklärlichen, dem Tragischen, dem Katastrophalen umzugehen. Mit dem Blitzschlag, der alle aus der Bahn wirft. Angesichts des Unglücks, das sich im Kinderzimmer ereignet, versagen alle Freunde kläglich. Mit der Empathie ist es vorbei, nur vordergründig wird Mitgefühl bekundet, eigentlich sind alle froh, dass das Unglück nicht ihnen zugestoßen ist."

Eine Inszenierung voller Effekte

Thomas Ostermeier setzt bei seiner Inszenierung viel auf Technik und Effekt. Es sei eine "geradezu effektüberladene Aufführung", sagt Behrendt:
"Zum Einen tragen die Schauspieler Microports, wir Zuschauer tragen aber auch Kopfhörer. Und so stellt sich der Effekt ein, dass man aus den verschiedenen Ecken der Bühne das Gespräch direkt ins Ohr gesprochen bekommt. So will Ostermeier einen realistischen Ton erzeugen, er will, dass man sich als Teil des Partygesprächs fühlt, als mitten unter den Menschen."
Für den Abgrund, der sich auftut, für die Szenen im Kinderzimmer, werden Videoprojektionen genutzt. Das Stück werde mit der Zeit immer beklemmender, erzählt unsere Kritikerin:
"Da wird den Eltern, die das Kind verlieren, direkt ins Gesicht geleuchtet mit der Kamera, da dröhnen dann auch schnelle, dramatische Geigenklänge. Und dieser Effekt, das muss ich schon sagen, kriegt mich auch. Ich war wirklich ganz betroffen. Und auch schockiert darüber, wie unbeholfen, wie unempathisch die Freunde reagieren."

Anklänge des Psychothrillers

Allerdings sieht Behrendt in der Effektinszenierung auch ein Manko:
"Das Problem ist, dass Ostermeier aus der Gesellschaftsdiagnose, aus der Versuchsanordnung, aus dem philosophischen Experiment von Zade, das ja die Scheinsicherheit entlarven soll, einen Psychothriller, einen Gruselfilm macht über den Verlust eines Kindes. Da verschieben sich alle Parameter. Und am Ende war ich mir wirklich nicht sicher, ob ich den Kindstod als bloßes Instrument für diese These in diesem bedeutungsschwangeren Effektbombast dann nicht doch eher zynisch finde."

abgrund
von Maja Zade
Regie: Thomas Ostermeier
Schaubühne Berlin

(nho)
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