Abgasskandal

Lackmustest für den VW-Betriebsrat

An einem alten Volkswagen (Golf) ist am 23.09.2015 auf einem Schrottplatz in Wiesbaden (Hessen) das Logo des Autokonzerns verwittert.
Der Zustand von VW ist kritisch. © picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen
Claus Schnabel im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 06.10.2015
Bei kaum einem anderen Unternehmen sind Management und Betriebsrat so eng miteinander verzahnt wie bei VW. Der Wirtschaftswissenschaftler und Mitbestimmungsexperte Claus Schnabel fragt sich, inwieweit der Betriebsrat über die Manipulationen informiert war.
Claus Schnabel, Professor für Arbeitsmarkt- und Regionalpolitik an der Universität Nürnberg-Erlangen, sieht im VW-Abgasskandal großen Aufklärungsbedarf, was die Rolle des Betriebsrates angeht.
"Lackmustest" für das VW-Mitbestimmungsmodell
Schnabel hält es für denkbar, dass "die Betroffenen, die da was ändern mussten an dieser Software, dann sich vielleicht an den Betriebsrat gewandt haben". Inwieweit der Betriebsrat das dann weitergeleitet habe oder ob er "kritisch eingegriffen" habe, darüber wisse man noch nichts. "Das mag vielleicht auch erklären, warum der Betriebsrat momentan noch ziemlich vorsichtig ist in seinen Äußerungen", so der Experte für Fragen der Mitbestimmung. "Hier ist noch einiges aufzuklären."
Insofern sieht Schnabel in der gegenwärtigen Krise bei VW auch "eine Art Lackmustest", ob das VW-Betriebsmodell mit seiner engen Verzahnung von Betriebsrat und Management noch funktioniert. Bei VW sei der Betriebsrat eine Art von "Co-Manager". Die Betriebsräte regierten quasi mit. "Man wird sehen, ob in dieser neuen Zeit auch diese Zusammenarbeit noch funktioniert."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: "In guten, wie in schlechten Tagen Treue, Loyalität, Zusammenhalt" – wenn Sie in diesen Tagen auf Facebook oder anderswo im Netz auf Wolfsburger treffen, dann können Sie diesen Treueschwur finden. Tausende haben Entsprechendes gepostet, nachdem der Betrug bei den VW-Abgaswerten bekannt wurde, und sie haben damit einmal mehr deutlich gemacht, Volkswagen ist nicht nur irgendein großes Wirtschaftsunternehmen, VW ist – und das nicht nur in Wolfsburg, sondern überall, wo Fabriken stehen – ganz eng verwoben mit seinen Leuten. Traditionell haben die Mitarbeiter bei VW sehr viel mehr zu sagen als in anderen Konzernen. Frage ist, hilft das dem Konzern in und aus der Krise oder ist das vielleicht sogar Teil des Problems. Das fragen wir an diesem heutigen Tage, an dem in Wolfsburg tausende Mitarbeiter zu einer Betriebsversammlung zusammenkommen – am Telefon ist Claus Schnabel, Professor an der Universität Nürnberg-Erlangen und Experte für Fragen der Mitbestimmung. Guten Morgen, Herr Schnabel!
Claus Schnabel: Guten Morgen!
Frenzel: Was glauben Sie denn, welcher Ton da heute dominieren wird – die Treueschwüre oder doch eher die Anklage gegen das Management?
Schnabel: Wahrscheinlich beides. Die Arbeitnehmer stehen schon ziemlich loyal zu ihrem Arbeitgeber, aber diese Loyalität kommt ja auch daher, dass sie in der Vergangenheit ganz gut profitiert haben durch Lohnprämien, durch sichere Arbeitsplätze, und beides ist jetzt in Gefahr, und da wird es natürlich dann auch sehr, sehr kritische Nachfragen geben.
Wie viel wusste der Betriebsrat?
Frenzel: Wir haben ja schon so eine Art Zickzackkurs beim Betriebsratsvorsitzenden, bei Bernd Osterloh gesehen: Der hat erst vor kurzem noch den damaligen VW-Chef Winterkorn als Glücksfall für Volkswagen bezeichnet, jetzt spricht er davon, dass es eine neue Unternehmenskultur geben müsse. Ist das eher Glücksfall oder auch ein Problem, wenn der Betriebsrat und Management so eng aneinander sind?
Schnabel: In der Vergangenheit hat es bei VW ganz gut funktioniert, VW hat ja schon in der Vergangenheit etliche Krisen durchstehen müssen, und da hat es geholfen, dass die beiden Seiten sich ganz gut verstehen, ganz gut zusammenstehen und auch gemeinsam den Karren dann aus dem Dreck gezogen haben. Momentan ist allerdings auch nicht klar, wie viel der Betriebsrat überhaupt wusste. Es dürften ja nicht nur ein paar Ingenieure gewesen sein, die da Bescheid wussten, und ein paar Topmanager, sondern es kann ja durchaus auch sein, dass die Betroffenen, die da was ändern mussten an dieser Software, dann sich vielleicht an den Betriebsrat gewandt haben, und ob der Betriebsrat das dann weitergeleitet hat oder kritisch eingegriffen hat und so weiter, darüber wissen wir alles nichts. Das mag vielleicht auch erklären, warum der Betriebsrat momentan noch ziemlich vorsichtig ist in seinen Äußerungen.
Frenzel: Sie formulieren das als Frage, als Vermutung, aber haben Sie denn eine Tendenz dabei? Ich meine, wenn man davon ausgehen kann, dass der Betriebsrat so eng in diese Betriebsführung integriert wird, dann muss man doch eigentlich fast davon ausgehen, dass man dort was wusste.
Schnabel: Normalerweise wird der Betriebsrat von den Mitarbeitern herangezogen, wenn die irgendwelche Probleme sehen, sich aber nicht so ganz laut äußern wollen oder Angst haben, dass ihre Vorgesetzten ihnen eins aufs Dach geben oder sowas in der Art. Und das könnte bei Volkswagen eigentlich auch der Fall gewesen sein, und wenn das der Fall war, dann müsste eigentlich der Betriebsrat auch Bescheid gewusst haben. Deshalb, hier ist noch einiges aufzuklären, man kann das momentan nur in Frageform sagen, aber ich glaube, man muss da auch genau hingucken, wer da alles mitgemacht hat.
Der VW-Betriebsrat als "Co-Manager"
Frenzel: Wenn wir noch mal auf diese besondere Mitbestimmungskultur bei Volkswagen schauen – positiv formuliert: Was macht sie denn aus, was ist der Charakter?
Schnabel: Bei Volkswagen ist der Betriebsrat eine Art von Co-Manager. Das heißt, die Betriebsräte werden sehr gut ausgestattet auch mit Ressourcen, sie haben viele Mitarbeiter, sie regieren quasi mit das ganze Unternehmen, sie vertreten dann allerdings auch unpopuläre Entscheidungen, die gelegentlich auch mal getroffen werden müssen gegenüber der Belegschaft, und unterm Strich hat sich das dann auch für das Management ganz gut ausgezahlt. Wenn man mit dem Betriebsrat gut auskam in Wolfsburg, dann hatte man auch Chancen, weiter aufzusteigen, das heißt, die Manager haben sich auch ein bisschen zurückgehalten, und daher rührt dann doch ziemlich viel Macht des Betriebsrates.
Frenzel: Nun gibt es ja viele, die sagen, das ist die schwerste Krise, die dieser Konzern in seiner Geschichte erlebt, erlebt hat. Wird sich denn das aufrechterhalten lassen dieses Co-Management, werden jetzt richtige harte Einschnitte kommen?
Schnabel: Das ist natürlich dann der Lackmustest in gewisser Weise, ob das immer noch funktioniert. VW hat in der Vergangenheit auch schon große Krisen, musste damals die Arbeitszeit auf 28 Stunden reduzieren und so weiter und so fort, und die haben es auch hingekriegt. Jetzt ist natürlich sehr wichtig, wie man das aufklärt, die ganze Problematik und wie man drauf reagiert. Es wird schon ein paar schmerzhafte Einschnitte geben. Diese hohen Zusatzprämien, die man bei VW in den letzten Jahren verdient hat, die kamen ja auch von den Gewinnen, die wiederum daher kamen, dass man halt getrickst hat und die Autos dann billiger bauen konnte, als eigentlich nötig gewesen wäre. Diese hohen Prämien werden weg sein in den nächsten Jahren, da gibt es keine Gewinne mehr zu verteilen. Es kann noch ein bisschen schwieriger kommen, es kann sein, dass natürlich auch die Arbeitsplätze in Gefahr geraten. Es wird schon einiger unpopuläre Entscheidungen bedürfen, und da ist die Frage, ob da beide Seiten, der Betriebsrat und das Management, zusammenarbeiten. Das Management ist natürlich daran interessiert, dass der Betriebsrat das mitträgt und das dann auch in die Belegschaft hinein vertritt, diese unpopuläre Entscheidung, und ob das geht, hängt dann auch davon ab wahrscheinlich, wie man genau mit der Krise intern umgeht. Dann braucht man bestimmt auch eine neue Führungskultur und vielleicht auch eine bessere Kultur der Zusammenarbeit beziehungsweise dass man auf kritische Fragen auch eingeht und die nicht unter den Tisch fallen lässt.
Bei früheren VW-Krisen hat das Mitbestimmungsmodell gut funktioniert
Frenzel: Es gibt ja seit Jahren Angriffe gegen dieses Volkswagen-Modell, also gegen diese enge Verwobenheit zwischen Staat, Belegschaft und Unternehmen – müssten wir denn, wenn das jetzt alles fällt, dem eine Träne nachweinen oder ist es vielleicht einfach zeitgemäß, dass solche Strukturen sich auch verabschieden?
Schnabel: Die Strukturen werden sich verabschieden, wenn sie einfach nicht mehr der Zeit gemäß sind, wenn sie mit den Herausforderungen nicht zurechtkommen. Deswegen habe ich auch vorher gesagt, das ist hier so eine Art Lackmustest – man wird sehen, ob in dieser neuen Zeit auch diese Zusammenarbeit noch funktioniert, ob da nur eine Mauschelei ist oder ob man sich gegenseitig kontrolliert und dann konstruktiv zusammenarbeitet. Allerdings in den letzten Jahren, auch nach der großen Rezession von 2008, 2009, hat in Deutschland eigentlich die Mitbestimmung relativ gut funktioniert und hat mit dazu beigetragen, dass wir auch solche großen Krisen ganz erfolgreich bewältigt haben.
Frenzel: Claus Schnabel, Professor an der Universität Nürnberg-Erlangen und Experte für Fragen der Mitbestimmung. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Schnabel: Vielen Dank auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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