Abgasskandal

Dreckige Wohnmobile

07:09 Minuten
Wohnmobile und Wohnwagen fahren in einem Autokorso durch die Innenstadt.
Nach den PKW stehen jetzt die Abgaswerte von Diesel-Wohnmobilen in der Kritik. © picture alliance / dpa / Marcel Kusch
Von Mirko Heinemann · 11.05.2021
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Wohnmobile stoßen viel mehr Schadstoffe aus, als erlaubt ist. Fahrzeuge des Herstellers Fiat überschreiten den Stickoxid-Grenzwert um bis zu 19-mal, sagt die Deutsche Umwelthilfe. Auch VW fällt negativ auf. Klagen laufen.
Eine Werkstatt im Südwesten von Berlin. Vor dem Fenster steht ein schneeweißes Wohnmobil. Es gehört Hans Joachim Krause, Rentner aus Hamburg.
"Ich fahre damit in Urlaub. Ich fahre damit an die Ostsee, ich fahre damit nach Schweden", erzählt er. "Das war mein Traum, den habe ich mir erfüllt. Aber der ist leider etwas schief gegangen."
Was ist passiert? "Also, ich bin kein Umweltfreak, sicherlich nicht", sagt Krause. "Aber das ist eine Nummer zu viel."
Wir gehen über die Straße zu Krauses Wohnmobil. Dort wartet ein drahtiger Mann mit silbergrauem Haar. "Eintausendvierhundert", sagt er. "Der Grenzwert liegt bei 120, also ist es elf- bis zwölfmal über dem Grenzwert."

Das Ergebnis ist kein Einzelfall

Und das bei einem Euro 6. Der Mann mit dem silbergrauen Haar ist Axel Friedrich. Der ehemalige Abteilungsleiter beim Umweltbundesamt arbeitet jetzt für die Deutsche Umwelthilfe. Er misst den Schadstoffausstoß von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor.
Dazu verwendet er ein mobiles Gerät im Inneren des Fahrzeugs. Es wird über Schläuche an den Auspuff angeschlossen und misst die Abgase während der Fahrt, also unter realen Bedingungen. Bei Krauses Wohnmobil hat Friedrich 1408 Mikrogramm Stickoxid gemessen. Zulässig sind 120.
Das Ergebnis ist kein Einzelfall. Immer wieder verzeichnet Friedrich überhöhte Werte, besonders beim umweltschädlichen Stickoxid:
"Es geht nicht ums Schummeln. Es geht um Betrug", betont er. "Bandenmäßiger Betrug."
Sein Vorwurf: der Motor sei manipuliert. Nur beim Test auf dem Prüfstand seien die Abgaswerte in Ordnung. Im Straßenverkehr dagegen steige der Schadstoffausstoß an, weil eine illegale Abschalteinrichtung dafür sorge, dass die Abgasreinigung runtergefahren werde. Das Wohnmobil von Hans Joachim Krause wird von einem Fiat-Motor angetrieben. Schon lange fallen die Motoren des italienischen Herstellers negativ auf:
"Wir wussten schon, dass der Fiat Ducato ein schmutziges Fahrzeug ist", sagt Friedrich. "Und wenn ich einen Aufbau mache, wird es ja nicht besser, weil ich ja deutlich mehr Windwiderstand habe, mehr Rollwiderstand, mehr Gewicht."
Wie bei einem Wohnmobil eben. Axel Friedrich hat mehrere Wohnmobile mit Fiat-Motor der Schadstoffklassen Euro 5 und Euro 6 getestet. Das Ergebnis: Stickoxid-Grenzwerte wurden um das bis zu 19-fache überschritten. Besonders dreckig war der Euro-5-Diesel.

"Wir erwarten, dass die Hersteller nachrüsten"

"Freiheit, Natur, Unabhängigkeit". Mit diesem Fernsehspot wirbt der Caravaning-Industrie-Verband Deutschland. 600.000 Wohnmobile sind in Deutschland zugelassen, binnen fünf Jahren wuchs der Bestand um 50 Prozent. Die Hersteller reiten auf einer Welle des Erfolgs.
"Ärgerlich, sehr ärgerlich", meint Renate Leppin von der Reisemobil-Union. "Ich bin ja auf dem Caravan-Salon in Düsseldorf mit einem Stand vertreten. Und wir sind umringt von Reisemobilfirmen. Die haben verkauft wie wild. Da gab es noch kein Corona. Und die haben alle Euro 5 verkauft."
Renate Leppin vertritt die Interessen der Halter von Wohnmobilen:
"Was wir erwarten, ist, dass sie nachrüsten. Oder, dass sie sich an der Nachrüstung beteiligen. Bei Wohnmobilen ist das teurer als bei einem Pkw."
Nachrüsten lassen sie sich mit einem so genannten SCR-Katalysator. Der sorgt unter Einspritzung von Harnstoff dafür, dass ein Dieselmotor viel weniger Stickoxid ausstößt und die vorgeschriebenen Grenzwerte einhält. Die Kosten für so eine Aufrüstung liegen laut ADAC zwischen 2500 und 5000 Euro. Die Reisemobil-Union rät ihren Mitgliedern, die Motorenhersteller zu verklagen.

Die Beweise sind erdrückend, sagt der Rechtsanwalt

Aber wie? Der Rechtsanwalt Ralph Sauer hat an der Musterfeststellungsklage gegen Volkswagen mitgearbeitet. Seine Kanzlei vertritt zahlreiche Mandanten in der Dieselaffäre. Gegen Fiat führt sie bereits rund tausend Klagen wegen der überhöhten Schadstoffwerte ihrer Motoren. Unter den Mandanten sind immer mehr Besitzer von Wohnmobilen.
"Die Beweislast und die Sachlage sind eigentlich erdrückend – gegen FiatChrysler. Und wir gehen schon davon aus, dass die Gerichte wie bei VW entsprechend die Verurteilung auch letzten Endes vornehmen werden."
Die Kläger werden sich auf zeitraubende Verfahren einstellen müssen. Denn Sammelklagen wie in den USA sind in Deutschland nicht zugelassen. Jeder Kläger muss seinen Anspruch einzeln durchsetzen:
"Bei uns quälen wir uns jetzt seit sechs Jahren durch etliche Einzelverfahren. Die Gerichte brechen zusammen. Und entsprechend schlecht sind die Urteile."

Auffälligkeiten auch beim VW California

Die Deutsche Umwelthilfe hat das Bundesverkehrsministerium aufgefordert, gegen den Hersteller vorzugehen. Das Ministerium verweist auf das Kraftfahrt-Bundesamt. Das erklärt, man habe Auffälligkeiten beim Fiat Ducato festgestellt und an die zuständige italienische Typgenehmigungsbehörde gemeldet:
"Da bisher von den zuständigen Behörden keine Maßnahmen eingeleitet wurden, werden durch das Kraftfahrt-Bundesamt bereits weitere Schritte geprüft, damit die Unzulässigkeiten in den betroffenen Fahrzeugen entfernt werden."
Auch in Sachen Volkswagen ermittelt das Kraftfahrtbundesamt derzeit. Denn beim VW California mit Euro-5-Norm, einem beliebten Reisemobil, hat die Deutsche Umwelthilfe eine Überschreitung um den Faktor 4,8 gemessen. Volkswagen erklärte auf Anfrage von Deutschlandfunk Kultur schriftlich: "Die Aussagen der Deutschen Umwelthilfe hinsichtlich angeblicher Grenzwertüberschreitungen sind schlicht unseriös."
Kurz danach aber lenkte der Konzern ein. VW kündigte an, Halter des besagten T5 California bei einer Nachrüstung mit einem Katalysator mit bis zu 3000 Euro zu unterstützen. Eine Anfrage an Fiat blieb unbeantwortet.
Auch der Caravaning-Industrie-Verband, der mit dem Slogan "Freiheit, Natur, Unabhängigkeit" wirbt, möchte sich zu den laufenden Verfahren nicht äußern. Und sagte ein angefragtes Interview ab.
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