Abenteurer, Karrieristen und Ausweichler

Wolfgang Gieler im Gespräch mit Frank Meyer · 12.07.2011
Viele junge Menschen wollen nach der Schule etwas Sinnvolles tun, und werden zum Beispiel durch Entwicklungshilfeprogramme darin bestärkt. Aus Expertensicht führt der Ansturm der Hilfswilligen aber oft zum Gegenteil dessen, was man mit Entwicklungshilfe eigentlich erreichen möchte.
Frank Meyer: Den Wehrdienst gibt es nicht mehr, und dafür doppelte Abiturjahrgänge. In diesen Monaten stehen deshalb besonders viele junge Menschen vor der Frage: Was fange ich an mit mir? Eine Antwort, zu der immer mehr kommen: Ich will etwas Sinnvolles tun, ich will in Entwicklungsländer gehen und dort helfen. 10.000 junge Menschen hat alleine "weltwärts", der Freiwilligendienst des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in den letzten drei Jahren ins Ausland geschickt. Solche Einsätze kritisiert nun der Politikwissenschaftler und Ethnologe Professor Wolfgang Gieler, der sich schon lange mit den Auswirkungen von Freiwilligendiensten befasst. Seien Sie willkommen, Herr Gieler!

Wolfgang Gieler: Schönen guten Tag!

Meyer: Herr Gieler, was läuft denn aus Ihrer Sicht falsch bei den Freiwilligeneinsätzen im Ausland?

Gieler: Bevor ich auf die Frage eingehe, ist es wichtig, zunächst mal zu klären, welche Motivation freiwillige, junge, engagierte Menschen haben, um tätig zu werden; da haben wir zum Einen das Segment des Abenteurers, wo im Vordergrund das Bedürfnis, andere Länder und Menschen kennenzulernen aus Abenteuerdrang, zu Grunde zu legen wären, die Weltverbesserer, die mit dem Zustand zuhause durch die Erfahrung in anderen Ländern politisches Engagement initiieren wollen, Karrieristen, die Auslandserfahrungen im Grunde genommen beruflich verwerten, um karriereförderlich voranzuschreiten, Ausweichler, die persönliche Schwierigkeiten in Beruf, Studium, Elternhaus oder partnerschaftlichen Beziehungen haben, und die es vor Ort quasi als eine Therapie für eigene Probleme betrachten, und als Gruppe die Selbstverwirklicher, die Verwirklichung der eigenen Person, das heißt, Eigeninteressen im Sinne der Arbeit an der eigenen Person steht hier im vordergründigen Motivationsinteresse.

Meyer: Also ganz verschiedene Interessen, nicht immer uneigennützig, wie Sie erklären. Aber eigentlich können die Interessen, die dahinterstehen, ja egal sein, solange ein junger Mensch im Ausland etwas Sinnvolles tut.

Gieler: Ja, da wäre grundsätzlich zu fragen – das ist die übergeordnete Frage –: Wie wäre eigentlich Entwicklungshilfsbedürftigkeit definiert? Wer die Definition vornimmt von Entwicklungsbedürftigkeit in Richtung Menschen, Kultur und außereuropäischer Staaten und dann gleichzeitig derjenige auch ist, der die Kriterien zur Messung des Entwicklungspotenzials zugrunde legt, ist im Grunde genommen in seinem eigenen Gedankenkonstrukt verhaftet.

Meyer: Das ist jetzt sehr abstrakt. Wenn wir das konkreter fassen: Wenn junge Menschen ins Ausland gehen und zum Beispiel Steine schleppen für den Aufbau einer Schule in Togo, oder in einem Krankenhaus in Afrika arbeiten, was ist dagegen einzuwenden?

Gieler: Der Punkt ist, dass dies ja nur ein Teil ist. Ein wesentlicher Teil der Personen wird ja auch in Schulen angesetzt und ist hier als Lehrer tätig. Als Lehrer, aber ohne methodische, inhaltliche Qualifikation, etwa im Sprachenunterricht im Englischen, Französischen. Hier werden dann qualifizierte Personen, die es vor Ort in den Ländern gibt, ausgebildete Lehrer, nicht in die Berufe einbezogen, wohl aber die Entsandten über "weltwärts"-Programme.

Meyer: Und warum funktioniert das so, warum wird von den einheimischen Behörden nicht der einheimische Lehrer vorgezogen?

Gieler: Man muss hier zugrunde legen, dass vor allen Dingen die Millenium Development Goals, die MDTs also, die die Null-Komma-Sieben-Prozent-Bruttosozialprodukts-Quote festgelegt haben, für die Ausgaben der Entwicklungszusammenarbeit hier eine Rolle spielen. Das "weltwärts"-Programm, wird hier hinzugerechnet. Das heißt, die rund 70 Millionen, die zur Verfügung stehen, steigern auch den Bundeshaushalt entsprechend, sodass die Zielsetzung im Jahr 2015 in Richtung 0,7 Prozent dann auch in der Bilanz quasi frisiert werden kann.

Meyer: Wollen Sie uns damit sagen, dass wir dann quasi mit diesen jungen Freiwilligen – und um bei Ihrem Beispiel Einsatz in einer Schule als Hilfslehrer praktisch zu bleiben –, dass wir da subventionierte Arbeitskräfte ins Ausland schicken und damit den einheimischen Arbeitsmarkt zum Beispiel für Lehrer kaputtmachen?

Gieler: Für einheimische Lehrer, die ausgebildet sind im universitären Bereich, a, b aber dann auch weiterhin ein hierarchisches, eurozentrisches Weltbild verfestigen, wonach sicherlich engagierte junge Personen – 18-, 19-, 20-jährige –, aber keine Qualifikation als Lehrer haben, die entsandt werden aus Deutschland, verfestigen.

Meyer: Sie selbst aber betreuen auch Studentengruppen, die in Ghana oder in Burkina Faso Freiwilligendienste leisten. Sie bereiten auch junge Menschen in Seminaren auf Praktika im Ausland vor. Machen Sie damit nicht genau das, was Sie jetzt kritisieren?

Gieler: Grundsätzlich muss man sagen, dass es Möglichkeiten gibt, lokal vor Ort vorhandenes Wissen mit einzubeziehen, Programme etwa in der Form zu gestalten, dass junge Deutsche Kenntnisse, Fähigkeiten von Personen vor Ort erlernen. Dies kann im Sprachlichen sein, dies kann im Handwerklichen sein, im Ausbildungsbereich, insbesondere bei Schreinern, Tischlern, Lehrern, in der Wissensvermittlung gegeben sein.

Meyer: Das heißt, Sie drehen das praktisch um, die jungen Leute aus Deutschland gehen ins Ausland, um dort etwas zu lernen, um dort ausgebildet zu werden, und nicht, um zu helfen?

Gieler: Ganz genau, um vor allen Dingen aufzugreifen, Erkenntnisse aufzugreifen, um in einer demokratischen Struktur gleichwertig, gleichrangig zu partizipieren.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen über den Boom der Freiwilligendienste in Entwicklungsländern und reden darüber mit dem Politikwissenschaftler und Ethnologen Wolfgang Gieler. Diese ganze Diskussion über Entwicklungsdienste, über Freiwilligendienste, die läuft ja immer auf den einen Punkt zu: Wenn wir Leute da hinschicken – Sie haben das auch schon mit anklingen lassen –, wir entwickeln so eine Art Helfersyndrom, dass die Menschen vor Ort eigentlich immer darauf warten: Wann kommt denn endlich einer aus dem Westen, aus den reicheren Ländern, um uns zu helfen? Ist das der Punkt, auf den Sie auch hinauswollen?

Gieler: Ja, das ist ein ganz entscheidender Punkt, dass wir heute in einer globalen Welt Kapitaltransfers ohne Grenzen haben, Menschen aber zunehmend reglementiert beziehungsweise auch im Entwicklungspolitischen als Bedrohungsszenario gesehen werden, dass wir aber auf der anderen Seite keine umfassende Kenntnis von Menschen vor Ort, von Kulturen vor Ort haben. Weil wir nicht kommunikationsfähig sind. Personen werden entsandt, in europäischen Sprachenkontext, aber nicht in Lokalsprachenkontext. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, der dann auch zu einer gewissen Sprachlosigkeit im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit mündet.

Meyer: Nun bieten aber fast alle Freiwilligendienste Vorkurse an, um ihre Freiwilligen auch vorzubereiten, um ihnen vorher Kenntnisse über ihre Einsatzgebiete zu geben. Warum soll das nicht ausreichen?

Gieler: a: Die Sprachenkenntnis ist in der Regel die Amtssprache, die vermittelt wird, also Englisch, Französisch, Spanisch et cetera, die ehemalige Kolonialsprache, und b sind sehr häufig Kenntnisse in Schriftform nicht tradiert, sondern sehr häufig im oral, mündlich überlieferten und von Region zu Region unterschiedlich.

Meyer: Was fordern Sie nun unter dem Strich? Sollen diese Freiwilligendienste im Ausland, sollen die ganz freigestellt werden?

Gieler: Insgesamt halte ich die Möglichkeit im Bereich Freiwilligenprogramme als Form von Austauschbegegnung für durchaus notwendig, gegeben muss allerdings eine Gleichwertig-Gleichrangigkeit sein. Die Argumentation beispielsweise, zehntausende freiwillige Deutsche zu entsenden, um dann auch im entwicklungspolitischen Bereich tätig zu werden, könnte dahingehend aufgebrochen werden, dass etwa 5.000, die Hälfte, Deutsche entsandt werden und umgekehrt dann 5.000 Kinder, Jugendliche aus den Südländern nach Deutschland kämen, um hier etwa im Bereich Schule oder im Bereich gemeinsamer Projekte zu arbeiten.

Meyer: Selbst wenn wir sagen, so wie wir das heute betreiben, bringt dieser Freiwilligendienst vielleicht am Ehesten für die Freiwilligen selbst etwas – selbst, wenn wir das sagen, wäre das aber nicht auch schon ein Gewinn, dass junge Deutsche, die im Ausland gearbeitet haben, dabei lernen, dass wir in einer Welt extremer Gegensätze leben? Dass unser Wohlstand nicht das Maß aller Dinge ist, wäre das nicht auch schon ein Gewinn?

Gieler: Das wäre sicherlich ein Gewinn, wenn hier eine Vor-Ort-Aufnahmemöglichkeit gegeben wäre. Man darf nicht übersehen, dass dadurch, dass die jungen Leute sehr häufig dann, im Bereich Lehrer etwa, Frustrationsprozessen erlegen sind und hier in sehr starke Stereotypen auch abdriften, so dass dann eine überzogene Negativkonotation mit dem Aufenthalt häufiger die Regel ist.

Meyer: Der Freiwilligendienst in Entwicklungsländern bringt wenig für diese Länder. Das sagt der Politikwissenschaftler und Ethnologe Wolfgang Gieler. Ich danke Ihnen für das Gespräch!


Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.


Links bei dradio.de:

Feiertag - Die Reportage: "weltwärts" - In die Ferne zum Nächsten

Weitere Infos im Web:
"weltwärts" – Der neue entwicklungspolitische Freiwilligendienst
Mehr zum Thema