ABBA-Comeback: "Voyage"

Berührende Texte und Sounds von der Stange

07:28 Minuten
Die Band Abba – (v.l.) Björn Ulvaeus, Agnetha Fältskog, Anni-Frid Lyngstad und Benny Andersson – sind 1974 auf einer Bühne zu sehen.
Einiges klinge wie früher, sagt Kritiker Goetz Steeger über das neue ABBA-Album. Doch die Band setzt auch neue Akzente. © imago / Allstar / Mary Evans / AF Archive
Goetz Steeger im Gespräch mit Carsten Beyer · 05.11.2021
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Nach 40 Jahre hat die schwedische Popband ABBA ein neues Album herausgebracht. Die Stimmen klängen gereifter und es gebe berührende Texte, sagt der Musikkritiker Goetz Steeger. Der Sound wirke aber teils beliebig.
Die Popwelt ist in Aufruhr, denn ab heute gibt es ein neues Album von ABBA. Das erste nach fast 40 Jahren: "Voyage" heißt es. Im Vorfeld war bereits viel über die Platte geschrieben und spekuliert worden.
Der Musikjournalist Goetz Steeger hat es sich angehört. Ausgelöst habe es bei ihm weder Euphorie noch Enttäuschung, berichtet er. "Das, was ABBA immer ausgezeichnet hat – die popmusikalische Kunstfertigkeit und der Melodienreichtum –, das findet man schon, allerdings längst nicht in der Schmissigkeit, die man von früher her kennt."
Auf dem Album gebe es zwei Arten von Songs: "die groß aufgezogenen Balladen, die allesamt gut und gerne Hits aus irgendwelchen Musicals sein könnten." Man könne diese als kitschig bezeichnen, was aber nicht abwertend gemeint sei, betont Steeger.
Daneben gebe es schnellere Songs mit sehr eingängigen Refrains. Und diese seien "genauso fett arrangiert, auch mit Streicherbombast und Synthesizern." Doch gerade der Einsatz der Synthesizer wirke "ein bisschen lieblos und beliebig", teilweise "ein bisschen wie von der Stange."

Refrainchöre wie früher

Die Stimmen der Sängerinnen – inzwischen beide über 70 – seien "auf durchaus attraktive Weise reifer" als früher, findet Steeger. Die Refrainchöre allerdings klängen fast wie annodazumal, auch wenn das Timbre insgesamt "ein bisschen nach unten gerutscht" sei.
Bei den Texten gebe es eine "neue ABBA-Note": Gereifte Beziehungsthemen, wie etwa im Song "I Can Be That Woman", der von einer Frau erzählt, die von einer Läuterung spricht und ihren Ex-Mann fragt, ob sie es nochmal zusammen versuchen sollen. "Das ist zwar ganz schön pathetisch und trieft so ein bisschen", sagt Steeger. "Aber ich muss zugeben, dass mich das berührt hat."
Die neuen Songs sollen auch auf die Bühne gebracht werden – in einer eigens dafür gebauten Arena in London, wo im Mai Shows stattfinden sollen, performt von sogenannten Avataren, also Hologrammen, die die Bandmitglieder in ihren früheren Jahren darstellen. Der Ticketverkauf ist bereits angelaufen.

Mit Avataren und Algorithmen zu ABBA forever

"Ehrlich gesagt, wird mir ein wenig angst und bange, wenn ich mir die verzückten Fans mit Tränen in den Augen vorstelle, angesichts einer dargebotenen Illusion", sagt Steeger. "Das ist schon ein bisschen dystopisch, wenn das Emotionserlebnis als einziges zählt und es egal ist, wodurch es ausgelöst wurde." Das stehe für ihn ein Stück weit "in der Reihe von Fake-News, Fake-Events, Fake-Emotions."
Er glaube nicht, so Steeger, dass alle so klug und so reflektiert seien, das alles genau voneinander zu trennen. Andererseits sei aber auch zweifelhaft, ob "Mega-Events oder Festivals mit wirklichen Musikerinnen und Musikern auf der Bühne, wo man dann trotzdem nur vom Würstchenstand aus die Screens links und rechts von der Bühne sehen kann, wirklich echte Erlebnisse sind."
Dass der Promoter Thomas Johansson im Auftritt der Hologramme die Zukunft sehe, sei logisch. "Denn ABBA können ja ab jetzt ewig live auftreten. Es müssten dann wahrscheinlich irgendwann noch ein paar Algorithmen her, die die neuen Songs für die Zukunft komponieren. Und dann hat man ABBA forever."
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