Ab jetzt schweigen die Waffen

16.08.2011
Aus der "Sturlungen"-Saga hat Einar Kárason einen faktenreichen und subtilen Kriegsroman gemacht. Die Erzählung umfasst den Zeitraum von 1180 bis 1262, der in Island als Epoche äußerster Brutalität und Zerstörung gilt.
Seit Jahren trägt der isländische Autor Einar Kárason (Jahrgang 1955) mit seiner literarischen Produktivität dazu bei, die Mentalität der rund 300.000 Bewohner Islands und die historischen Ereignisse auf der größten Vulkaninsel der Welt besser zu verstehen. Nach seiner erfolgreichen Roman-Trilogie "Die Teufelsinsel", "Die Goldinsel" und "Das Gelobte Land" widmet sich Kárason nun der "Sturlungen"-Zeit. Sie umfasst den Zeitraum von 1180 bis 1262 und gilt in der Geschichte des Landes als Epoche äußerster Brutalität und Zerstörung mit biblischem Ausmaß.

In der sogenannten "Sturlunga-Saga" werden die Ereignisse faktenreich geschildert. Für den Autor liest sie sich wie ein Polizeibericht, da die Verfasser selbst Zeugen der Geschehnisse sind und die Kampfhandlungen detailliert beschreiben. Ihr weltlicher Inhalt und die Art der Darstellung machen sie zu einer "samtì∂asögur" – einer zeitgenössischen Saga -, was sie von den herkömmlichen Sagas unterscheidet. Doch auf Kárason haben die Geschichten stets blutleer gewirkt und die Akteure stereotyp. Ironisch nennt er sie eine frühe PR-Maschine.

Mit seinem Roman haucht er ihnen Leben ein und schafft Charaktere, die aus Fleisch und Blut sind. Das Handlungsgerüst setzt sich aus einzelnen Stimmen zusammen. So werden die Ereignisse nicht nur aus verschiedenen Perspektiven erzählt, sondern auch innere Welten geschaffen und Ängste wie Hoffnungen gespiegelt. Neben den Helden Eyjólfur Porsteinsson und Gissur Porvaldsson sowie deren Frauen kommen der amtierende Bischof Heinrekur von Hólar, isländische Bauern und die Magd von Gissur zu Wort. Kárason verlässt damit die horizontale Zeitskala und geht in die Tiefe. Er nutzt die Möglichkeiten achronischen Erzählens und verfügt ganz nach Belieben über die Biografien und Zeiträume.

Seitdem der Recke Gissur den berühmten Dichter der Edda und Egils-Saga Snorri Sturlusson ermordet hat, ist das Land geteilt und verharrt in Agonie. Eyjólfur, genannt "der Zornige", ist seit den brutalen Kämpfen traumatisiert und unfähig zu handeln. Plötzlich kündigt Gissur an, Frieden schließen zu wollen. Als Zeichen der Versöhnung hält sein Sohn Hallur um die Hand der Tochter des Sturlungen-Oberhauptes an. Die Hochzeit wird ein rauschendes Fest, das Freunde wie Feinde endlich an einen Tisch bringt. "Ab jetzt werden wir die Waffen schweigen lassen und geloben, einander mit Wohlwollen zu bedenken, in Worten und in Taten", verkündet Gissur froh. Doch der Hass sitzt tief und das sinnlose Gemetzel geht bald darauf weiter.

Durch Kárasons Prinzip der multispektralen Erzählweise wird das abschließende Inferno subtil vorbereitet. Die Hoffnung, ein neuer Krieg könnte doch noch verhindert werden, blitzt dabei immer wieder auf. Kárason aber will die Sturlunga-Saga nicht umschreiben. Dass uns jene Zeit mit ihren Konflikten verdammt gegenwärtig erscheint, liegt an den zeitlosen Mechanismen von Gewalt- und Versöhnungsbereitschaft, die der Autor sensibel und mit rhetorischem Geschick analysiert.

Besprochen von Carola Wiemers

Einar Kárason: Versöhnung und Groll
Roman
Aus dem Isländischen von Kristof Magnusson
btb Verlag, München 2011
192 Seiten, 18,99 Euro