A cappella in Bewegung

19.06.2009
Bee Gees, Rammstein oder Madonna - auf der Suche nach Stücken bedient sich der Hamburger A-cappella-Chor Vocal-Express in der Rock- und Popwelt. Die 42 Sänger arbeiten mit Choreografien, die das Hörerlebnis räumlich erweitern sollen.
"Dann macht mal."

Wenn ein klassischer Dirigent mit klassischer Ausbildung seinem 40-köpfigen Pop-Jazz-A-cappella-Chor unterbreitet, dass es doch eine gute Idee wäre, ein Stück der Gruppe Rammstein einzustudieren dann ist das, gelinde gesagt, verwegen! Rammstein!

"Bei 'Mein Herz brennt' von Rammstein gab's schon erstmal einen wüsten Aufschrei. Was? So ein Stück? Machen wir nicht! Ganz schrecklich!"

André Hammerschmied lächelt verschmitzt. Der 36-jährige Dirigent ist versiert genug und kann es sich leisten, auch waghalsige musikalische Experimente zu verantworten.

"Und jetzt ist es eigentlich ein hübsches Schlaflied geworden, und fast alle mögen das."

"So schwer ist das nicht. Eins, zwei, drei, vier, uuuuh."

"Wenn man überlegt: Ist das ein passendes Stück oder ist das kein passendes Stück, dann schläft man erstmal zwei Nächte schlecht. Also es ist so ein kleiner Geburtsvorgang. Dann weiß man aber, dass es klappt."

Der gebürtiger Salzburger André Hammerschmied entwickelt seit zwei Jahren für Vocal-Express das Repertoire und arrangiert die meisten Stücke. Bekanntem ein neues musikalisches Gesicht zu verleihen reizt den Chorleiter.

"Chorleiter ist unter Dirigenten immer so ein bisschen ... Wer nichts anders kann, wird Chorleiter. Also ich bin lieber Dirigent."

Bekanntem ein neues musikalisches Gesicht zu verleihen reizt den Dirigenten.

"Bei keinem Stück soll das Original kopiert werden. Es wäre ja langweilig, da eine Kopie davon zu machen. Es ist eher der Reiz, die choreigenen Möglichkeiten auszuschöpfen und was Neues daraus zu machen."

"Es gibt auch Stücke, die im Original nicht jedem im Chor wirklich gefallen. Wo man auf Anhieb sagt: Oh, das würde ich mir aber nicht kaufen", sagt Jost Hübner, Tenor und vor viereinhalb Jahren von seiner Frau Anne zu Vocal-Express gelotst - es singen hier übrigens fünf Paare, eine Seltenheit in der Chorszene.

"Bei 'Frozen' ist es so, dass jeder das Gefühl hat, gleich wichtig zu sein für dieses Stück. Und auch die sängerischen Qualitäten gefordert werden. Wo es nicht ausreicht, einfach Dum-Dum sagen zu können."

Kaum einer der Sängerinnen und Sänger - sie sind zwischen 25 und 50 Jahren alt - hat eine professionelle Gesangsausbildung genossen. Aber eine Stimmbildnerin kommt regelmäßig, einige nehmen wöchentlich Unterricht. Vocal-Express besteht seit mittlerweile 20 Jahren, und einige der Mitglieder sind von Anfang an dabei. Grund für diese Konstanz liege im Engagement jedes Einzelnen, glaubt Sopranistin Karin Dudas, die hier seit 15 Jahren mitsingt.

"Zuschauer melden uns rück, dass sie das Gefühl haben, dass wir eine große Harmonie in der Gruppe haben. Und das merkt man auf der Bühne, das merkt man auch beim Proben, das macht großen Spaß."

Hammerschmied: "Zu tief." (singt richtigen Ton) "Ein, zwei, drei, und!"

Der Probenraum im Keller der Hamburger St.-Ansgar-Gemeinde ist für "Time to Wonder" nicht groß genug. Denn im Verlauf dieses Stücks verändern die Sängerinnen und Sänger ihre Positionen, jeder für sich wandert langsam - den Blick nach vorn ins Publikum gerichtet - von der linken Seite des Raums auf die rechte, aus den hinteren Reihen nach vorn und zurück. Altsängerin Anne Hübner:

"Uns erschien es irgendwann nicht mehr passend, als so eine Wand da zu stehen, und dann haben wir einfach angefangen, uns zu bewegen, und das hat auch den Klang gleich wieder verändert, und so hat sich das denn immer weiter entwickelt."

"Wir sind übrigens buchbar", ruft eins der Chormitglieder am Ende der Probe in Richtung Mikrofon, und Tenor Jost Hübner erinnert sich an ein Konzert, das Vocal-Express vor kurzem in einer Hamburger Kirche gegeben hat.

"Da haben wir gesungen - ich glaube es war bei 'Frozen'. Und dann war es nach diesem Stück mucksmäuschen still, und man hörte aus der Reihe zwei vorne rechts jemanden völlig verzückt sagen: Geil! (Lachen) Und das ist hängen geblieben, das fand ich sehr eindrucksvoll."


Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.