75 Jahre DEFA

"Diese Filme sind Teil der deutschen Filmgeschichte"

11:41 Minuten
Einfahrt der DEFA Studios in Babelsberg, 1990.
Am Rande der DEFA Studios, 1990 © imago / Detlev Konnerth
Knut Elstermann im Gespräch mit Patrick Wellinski · 08.05.2021
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"Ohne Nostalgie oder Ostalgie" soll man auf die Produktion der DDR-Filmfabrik DEFA blicken, rät der Filmjournalist Knut Elstermann. 75 Jahre wäre die DEFA nun. Mit Gerechtigkeit müsse man betrachten, wie die DEFA versuchte, ehrliche Filme zu machen.
Patrick Wellinski: Wir sprechen über das 75. Gründungsjubiläum der DEFA, der Traumfabrik des ostdeutschen Films mit einem Kollegen, der als Autor in Sachbüchern und Dokumentarfilmen seit Jahren unterschiedliche Aspekte der DEFA-Geschichte dokumentiert: Knut Elstermann. Für sein aktuellstes Buch hat er mit über 30 Filmschaffenden der DEFA ausführlich gesprochen. "Im Gespräch", so heißt das Buch, "Knut Elstermann befragt ostdeutsche Filmstars".
Wellinski: Sie haben ja schon ein Buch auch über die Kinderdarsteller der DEFA verfasst, jetzt eine ganze Reihe an Interviews mit DEFA-Filmschaffenden. Sehen Sie sich denn selbst als Chronisten dieses legendären Filmunternehmens?
Knut Elstermann: Ja, ich versuche zumindest, einiges von dem weiterzugeben und an die Leute zu bringen, von dem ich glaube, dass es wichtig ist. Die DEFA ist ein abgeschlossenes Sammelgebiet, man kann es genau analysieren, es ist übrigens auch gut zugänglich. Dank der DEFA-Stiftung sind die Filme gut verfügbar, es ist gut aufgearbeitet. Mir geht’s auch weniger darum, jetzt wissenschaftlich da noch mal ranzugehen – da gibt’s hervorragende Kollegen und Kolleginnen, die das ja in den letzten Jahrzehnten schon getan haben –, sondern ich versuche wirklich, einen ganz persönlichen Zugang zu eröffnen, versuche, meine Faszination, auch manches Befremden zu vermitteln, also aus meiner ganz persönlichen Seherfahrung vor der Wende und nach der Wende und natürlich aus den Begegnungen heraus etwas weiterzutragen, was ich wichtig finde an diesem Komplex DEFA.

Oral History über eine untergegangene Institution

Wellinski: Andreas Dresen nennt das ja im Vorwort so schön "Erinnerungsarbeit", also auch so ein Teil der Oral History der DEFA.
Elstermann: Das ist es auf jeden Fall. Es sind ja jetzt auch Interviews, diese sind entstanden im Zeitraum von etwa 30 Jahren, auch erschreckend, aber so lange ist es jetzt wirklich, dass ich begonnen habe in den 90er-Jahren, die Leute zu treffen, mit ihnen zu reden. Es ist tatsächlich ein Rückblick auch auf das eigene Arbeiten, die eigene filmjournalistische Arbeit, ein Rückblick auf Begegnungen, und ich bin da auch wirklich sehr, sehr dankbar für. Ich habe erst mal gemerkt, es ist noch viel da in den Archiven, hab ich mich sehr gefreut, dass die Kolleginnen und Kollegen das doch auch aufgehoben haben, mehr als ich dachte. Und zum anderen bin ich einfach wahnsinnig glücklich, dass ich diesen Leuten auch noch persönlich begegnet bin: Frank Beyer, Erwin Geschonneck.
Da habe ich eine Kassette gefunden im Schubfach, die ich mir Gott sei Dank immer aufgehoben habe, von einer Podiumsdiskussion in Oranienburg. Da wollten wir eigentlich Jurek Becker feiern, der war leider kurz vorher gestorben, aber diese Legende Erwin Geschonneck saß auf der Bühne, Frank Beyer war dabei, im Publikum übrigens nur 15 Leute. Ich habe mir diese Kassette zum Glück aufgehoben und dachte, die hast du doch noch irgendwo, und jetzt ist es für mich ein sehr berührendes Dokument und ich hoffe auch sehr für die Leser und Leserinnen, die dann erfahren, wie zum Beispiel Erwin Geschonneck immer noch, nach so vielen Jahren, sagt, hätte ich die Hauptrolle gespielt, hätte ich den Jakob gespielt, dann hätte der Film einen Oscar bekommen und nicht nur diese Nominierung gehabt. Aber wir wissen alle, das war natürlich eine kluge Entscheidung von Frank Beyer, ihn in dieser wichtigen Nebenrolle zu besetzen, in diesem Supporting Act, denn in diesem Falle war er es ja.

Viele Antworten, aber keine rote Linie

Wellinski: Sie fragen ja viele Stars, und ich nenne jetzt noch mal ein paar andere, damit sie auch vorkommen: Corinna Harfouch, Wolfgang Kohlhaase, Katrin Sass, Manfred Krug oder Volker Koepp. Sie fragen diese Stars nach der Bedeutung der Arbeit für und bei der DEFA. Lassen sich denn diese unterschiedlichen Antworten vielleicht doch irgendwie zusammenfassen? Was war die DEFA für ihre Mitarbeiter?
Elstermann: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich finde, es lässt sich eben nicht auf eine rote Linie bringen, und das ist für mich dann auch der Reiz gewesen – manche Interviews habe ich ja wirklich jetzt erst geführt, manche sind schon sehr alt, sind sehr lange her, und es hat immer etwas zu tun mit der persönlichen Erfahrung des Einzelnen. Das ist auch völlig verständlich, und ich denke mir, es sollte vielleicht grundsätzlich auch eine Form sein von Betrachtung von DDR, dass man diese unterschiedlichen Perspektiven zulässt, dass man sie akzeptiert.
Also wenn eine Frau wie Christa Kozik zum Beispiel, eine brillante Drehbuchautorin, die ganz wunderbare Kinder- und Jugendfilme geschrieben hat wie "Hälfte des Lebens", den Hölderlin-Film, "Sieben Sommersprossen", "Moritz in der Litfaßsäule", das sind wirklich Filme, die die Menschen auch sehr gemocht haben und gern gesehen haben, wenn sie mit 50 mit der Abwicklung der DEFA ihren Job verloren hat und dann auch nie wieder weiterarbeiten konnte. Sie hat noch einen Film mit Losansky gemacht, ansonsten lag dieses Talent, für Kinder und Jugendliche zu arbeiten, brach. Wenn diese Frau mit einer ganz ungebremsten Nostalgie sagt: Das war mein Zuhause, es war eine Filmstadt, es ist furchtbar, dass sie abgewickelt wurde, wenn sie also da auch nun ganz eindeutig auch einen nostalgischen Blick, dann akzeptiere ich das genauso wie den sehr kritischen Blick von Corinna Harfouch zum Beispiel, die ja nach der Wende auch eine fantastische Karriere hingelegt hat und die sehr kritisch auf die DEFA schaut und sagt: Das war auch ein gewisser Dünkel dort, es war so ein abgeschlossener Zirkel. Das stimmt auch alles wiederum, also die persönliche Erfahrung prägt selbstverständlich die Sicht auf die DEFA, und ich finde, das sollte man auch so akzeptieren.

Sicherheit durch feste Strukturen - aber so auch große Kontrolle

Wellinski: Ich fand diesen Zwiespalt sehr interessant, der in diesem Interview zutage tritt, zum einen auch diese Betonung, wie wir ja gerade schon gehört haben, des Familiären, der fachlich tollen Leute, die dort gearbeitet haben, auch eine gewisse Art der finanziellen Sicherheit. Und das erinnerte mich wiederum an die Aussagen der Mitarbeiter der klassischen Hollywoodstudios wie MGM oder Fox. War die DEFA dahingehend eigentlich auch ein ganz normales Filmstudio?
Porträt von Knut Elstermann.
Knut Elstermann hat ein Buch geschrieben© Imago / Rolf Zöllner
Elstermann: Absolut, absolut. Als die DEFA gegründet wurde, 1946, hat sie das Studio Babelsberg übernommen, das existierte ja. Übrigens war die DEFA interessanterweise im Verlauf der Geschichte des Studios die Filmfirma, die es bisher am längsten genutzt hat in all den Jahren, und man übernahm die Struktur der UFA. Das ist ein ganz klassisches Studio gewesen, und so funktionierte die DEFA im Grunde auch mit vielen fest angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit dem Fundus, der heute noch existiert – Kostüm, Requisite –, mit Dramaturgieabteilungen, einzelnen Arbeitsgruppen. Das hat mich übrigens auch oft erstaunt, dass man da so relativ einfach diese Struktur übernommen hat, dass sie weitergewirkt hat. Und Sie haben recht, es war auf der einen Seite für die Künstler und Künstlerinnen natürlich auch eine ganz wunderbare Sicherheit. Man hatte diese Klarheit, man wusste, wir können unsere Stoffe entwickeln – gerade im Kinder- und Jugendbereich ganz wichtig, dass man da viel Zeit hat, Kinder casten kann.
Auf der anderen Seite, und das versuche ich im Buch auch durchaus zu erfragen, ist es eine zwiespältige Sache. Also in kreativen Berufen eine Festanstellung schafft Sicherheit, kann aber auch ein goldener Käfig sein. Man kann so einen Mann zum Beispiel wie Heiner Caro, wenn man nicht will, dass er einen Film macht, jahrelang – es waren sieben, acht Jahre – beschäftigen mit Projekten. Er hat dann jeden Monat sein Gehalt bekommen, aber man wusste im Grunde genommen – die Stasiakten geben das her –, dass er diesen Simplizissimus niemals drehen wird, weil er viel zu teuer ist für die DEFA. Also das ist ein Zwiespalt, der gehört zum Wesen dieses Studios dazu. Es war auf der einen Seite eine Sicherheit, auf der anderen Seite war es aber auch dadurch gut zu kontrollieren, durch diese Festanstellungen, durch diese festen Strukturen.

Viele wurden nach der DEFA ausgebremst

Wellinski: Eine Frage, die sich auch durch das Buch zieht, das ist immer die Frage nach dem Ende der DEFA 89/90 – die ist schon sehr zentral in dem Buch, auch in den Interviews kommen Sie immer wieder drauf zurück. Warum haben es eigentlich einige Ihrer Gesprächspartner geschafft, in dieser neuen Wirklichkeit dann Fuß zu fassen, eine Karriere zu haben, und andere nicht?
Elstermann: Ja, das sind zum einen sehr unterschiedliche Voraussetzungen gewesen. Das ist ein sehr komplexes Thema, denn es haben ja einige bedeutende Regisseure durchaus nach der Wende noch Filme drehen können, auch versucht aufzuarbeiten, also ich denke an Frank Beyer, an Heiner Carow. Die Filme waren oft enttäuschend, es war ganz merkwürdig. Vielleicht war der Zeitraum noch zu gering, um jetzt wirklich nachzudenken über DDR, um differenzierte Filme machen können, sehr kompliziert. Auf der anderen Seite darf man nicht vergessen, wir haben über die Sicherheit jetzt gesprochen, über diese Festigkeit, da kommt natürlich dann auch dazu, man musste sich ja nicht darum kümmern, was ist Finanzierung, wie kann ich bei einer Sendeanstalt Geld einwerben, also all das, was heute übrigens ja auch sehr berühmte Regisseure machen müssen – die fangen ja bei jedem Projekt trotzdem auch neu an wiederum, ihre Budgets zusammenzustellen. Das waren alles Dinge, da hatten die Leute aus dem Osten diese Erfahrung nicht, sie hatten auch diese Verbindungen nicht. Auch das muss man ganz klar sagen, sie sind auch ausgebremst worden.
Und wenn Sie vom Ende der DEFA sprechen: Es gab durchaus Ideen, vielleicht so etwas weiterzugründen, weiterzuführen, eine Art Arbeitsgruppe mit diesem Label DEFA, die dann vielleicht sogar eine ganz gute Heimat gewesen wäre für viele Filmkünstler und -künstlerinnen, die dann vielleicht auch versucht hätten, anders über DDR zu erzählen. Also hier wurde auch ganz eindeutig ein Konkurrent ausgeschaltet, ein wirtschaftlich nicht mehr tatsächlich funktionierendes Unternehmen, ist auch klar. Also es kam vieles zusammen. Aber was mich wirklich ärgert – und das kommt im Buch, hoffe ich, auch rüber –, das war diese völlig unnötige Demütigung. Man kannte die Leute auch nicht, man wusste gar nicht, was die gemacht haben, viele haben sich damit auch nicht beschäftigt im Westen. Und da wurde sehr pauschal auch geurteilt über ein Werk, das immerhin 700 Spielfilme umfasst – wo es Schrott gibt, furchtbare Propaganda, aber auch Filme, die ihre Gültigkeit in der deutschen Filmgeschichte haben, wie das eben so ist bei nationalen Filmproduktionen – nicht dass sich das irgendwie auch die Waage hält, glaube ich, das Gelungene und das Misslungene.

Eine ganze Generation junger Regisseure wurde vergessen

Wellinski: Aber wie verstehen Sie dann eine Aussage von Peter Kahane, dem Regisseur in Ihrem Buch, der sagt, "am Ende zeigte sich auch, dass wir nicht solidarisch genug waren, die DEFA hat letztlich aus uns Einzelkämpfer gemacht".
Elstermann: Das finde ich auch ganz wichtig, dass Sie ihn zitieren, und ich hab ihn auch ganz bewusst ein bisschen neu befragt, weil er ja zu dieser letzten Generation gehört. Übrigens, das ist wirklich die Opfergeneration, also die verlorene Generation – Leute wie Jörg Foth oder Dietmar Hochmuth –, die keine Chance dann mehr hatten, die Newcomer eigentlich waren und in diesem neuen Filmwesen überhaupt keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen haben. Peter Kahane ist da eine Ausnahme, er hat ja durchaus einige Kinofilme machen können und sehr konsequent, kontinuierlich fürs Fernsehen gearbeitet, und ich bin sehr froh, dass er drin ist, weil er auch diese kritische Sicht hat auf die DEFA.
Er hat völlig recht, ich glaube, dieses Einzelkämpfertum gab es ja auch vorher schon. Wenn es Verbote gab, wo waren dann die großen Solidaritätsaktionen der Künstler untereinander, wo hat man sich eingesetzt für den anderen? Das war natürlich auch ein Prinzip der Vereinzelung, und nach diesem schrecklichen Jahr 1965 – wollen wir nicht vergessen –, das war eine traumatische Erfahrung, das Totalverbot fast eines gesamten Jahrgangs. Danach hat man zwar versucht, Verbote zu verhindern, aber man hat im Vorfeld dann schon bestimmte Projekte blockiert, Drehbücher verändert, also es war auch ein großer Kontrollmechanismus. Deshalb denke ich mir, sollte man da auch ohne Nostalgie oder Ostalgie auf diesen Komplex schauen, aber immer mit dieser Gerechtigkeit und hinsehen, wie doch die Künstler und Künstlerinnen hier sehr oft versucht haben, aufrichtige, ehrliche Filme zu machen, von denen einige sogar im Verlauf der Jahre in meinen Augen besser geworden sind. Ich sehe auch heute etwas milder und etwas freundlicher auf die DEFA insgesamt, als ich es damals als Kinogänger vor der Wende getan hab.

Eine Filmgeschichte, die das Ostdeutsche ausblendet

Wellinski: Ich möchte Ihnen zum Schluss eine Frage stellen, die Sie im Buch Jutta Hoffmann stellen: Wie wichtig ist es Ihnen, dass man dieses ostdeutsche Kino, das Kino der DEFA, auch als Teil der deutschen Filmgeschichte begreift und nicht so als Sonderfall, als etwas Skurriles aus dem Osten?
Elstermann: Da wird sie auch richtig wütend übrigens, ist dann immer verärgert. Oder wenn man überhaupt von einer deutschen Filmgeschichte spricht und die ostdeutsche völlig ausklammert, als hätte es das gar nicht gegeben. Das ist ja eine Tendenz, die wir insgesamt beobachten – bei Geschichtsbetrachtungen, überhaupt bei Diskursen –, dass der Osten in der spezifischen Erfahrung zu wenig vorkommt. Das spüren die Leute ja auch, und das schafft auch Misstrauen, und ihre Wut ist da absolut verständlich.
Ich denke, es ist trotzdem jetzt hier schon der richtige Weg eingeschlagen, auch durch die Arbeit der DEFA-Stiftung, durch eine Modernisierung der Arbeit – Filmreihen, Auseinandersetzungen, Diskurse zu führen, mit diesem Film auch über DDR. Selbstverständlich sind diese Filme Teil der deutschen Filmgeschichte. Sie sind kein skurriler Einzelfall, obwohl es durchaus Skurriles und Bizarres da auch gibt, über das man reden und auch lachen kann, aber insgesamt ist es doch eine Filmkunst gewesen, die versucht hat, einzugreifen aus den besten antifaschistischen Traditionen heraus, die versucht hat, Einfluss zu nehmen auf eine Gesellschaft. Ich finde es wichtig, darüber nachzudenken, was der DEFA gelungen ist, worüber sie gesprochen hat, übrigens auch darüber nachzudenken, wovon sie geschwiegen hat. Auch das sagt ja etwas aus über den Zustand des Landes und über die Position von Kunst in der DDR.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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