75 Jahre "Coventry-Blitz"

Zum Himmel hin offen

Die Ruine der St. Michael Kathedrale in Coventry, die 1940 von Deutschen Soldaten ausgebombt wurde.
Die Ruine der St. Michael Kathedrale in Coventry, die 1940 von Deutschen Soldaten ausgebombt wurde. © imago/United Archives International
Von Friedbert Meurer · 14.11.2015
Im Kriegsjahr 1940 wurde Coventry von deutschen Bombern nahezu vollständig zerstört. Von der St. Michael Kathedrale blieben nur die Grundmauern. Zerstörung und Wiederaufbau liegen in der Stadt heute nah beieinander. Vom gläsernen Eingang der neuen Kathedrale blickt man direkt auf die Ruine.
Die Glocken des Turms der St. Michael Kathedrale in Coventry. Der wuchtige Turm wirkt fast unversehrt und überragt die Ruine der vor 75 Jahren ausgebombten Kirche. Vor dem Betrachter öffnet sich ein großes Oval mit den Grundmauern der einstigen Kathedrale. Das Dach fehlt, die Fensterhöhlen sind leer, es herrscht eine andachtsvolle Stimmung. David McGrory – er hat mehrere Geschichtsbücher über Coventry geschrieben – deutet nach oben.
"Hier ist es zum Himmel hin offen. Die Steine sind durch die Detonation und die Hitze der Bomben gesprengt worden. Mit Glasmalereien aus dem 14. Jahrhundert. Und voll mit mittelalterlichen Figuren."
Gegenüber sind die verbliebenen Reste des Chors und der Apsis zu sehen. Zur Linken steht kaum zehn Meter entfernt im rechten Winkel zur Ruine die neue Kathedrale, ein moderner Bau der späten 50er-Jahre, eingeweiht 1962. Die hohe Eingangsseite der neuen Kathedrale ist völlig aus Glas, so dass man aus ihr heraus direkt auf die Ruine blickt. Zerstörung und Wiederaufbau liegen nah beieinander. Die Archivarin der Kathedrale von Coventry, Dianne Morris, erläutert, wie es nach dem Krieg einen Architektenwettbewerb gab – für einen Neubau oder für einen Wiederaufbau der Kathedrale.
"Der Gewinnerentwurf hat sich klar dafür entschieden, etwas ganz Neues zu errichten. Wir schauen jetzt auf das Westfenster, entworfen und hergestellt von John Hutton. Er wollte eine offene Mauer haben, die Ruine und neue Kathedrale miteinander verbindet."
30.000 Brandbomben in einer Nacht
Zwei alte Männer aus dem nahen Birmingham gehen langsam durch die Ruinen. Sie seien damals sieben und fünf Jahre alt gewesen und hörten vom Untergang der Kathedrale.
"Das war absolut tragisch damals. Wir fanden schon schlimm, dass ein Hospital angegriffen wurde. Und dann war es die Kathedrale."
"Aus Birmingham kam eine Feuerbrigade nach Coventry. Die Deutschen hatten eine Menge von Brandbomben abgeworfen."
Es waren 30.000 Brandbomben in einer Nacht, 11 Stunden lang flogen 500 deutsche Flugzeuge heran – drehten um, luden in Nordfrankreich neue Bomben auf und kehrten wieder. Ich frage die beiden Senioren, ob sie heute noch antideutsche Gefühle hegten.
"Ja und nein. Hitler war kein guter Mann. Wir verstehen nicht, warum er das getan hat. Ich hab im Fernsehen eine Dokumentation gesehen 'Hitlers Kinder'. Wir er Kinder umgedreht hat, zu exerzieren und zu marschieren. Wir sterben für unser Land, du bist unser Führer!"
1942 gab es den letzten Luftangriff auf Coventry. Die Stadt konnte wiederaufgebaut werden. Viele Zweckbauten entstanden , von denen eines – die Sport- und Freizeithalle – gerade unter die zehn hässlichsten Gebäude Englands gewählt wurde. Es sieht aus wie ein mit Stahlplatten gekachelter monströser Elefant. Die beiden Senioren verharren derweil weiter lieber in der gegenüber liegenden Ruine der Kathedrale. Alles von damals sei ihnen noch absolut präsent, zur Ruine in Coventry kämen sie oft.
"Es ist ein wunderbarer Platz. Und sie kümmern sich um den Erhalt. Wir hoffen dass so etwas nie wieder geschieht. Ich hoffe es nicht."
In der Ruine der Kathedrale von Coventry der Historiker David McGrory (links) und der Deutschlandradio-Korrespondent Friedbert Meurer.
In der Ruine der Kathedrale von Coventry der Historiker David McGrory (links) und der Deutschlandradio-Korrespondent Friedbert Meurer.© Deutschlandradio Kultur / Friedbert Meurer
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