70 Jahre Volksrepublik China

Wie die KP sich selbst feiert

23:35 Minuten
Xi Jinping hebt ein Glas Wein.
Chinas Staatschef Xi Jinping erhebt das Glas zum 70-jährigen Bestehen der Volksrepublik China. © imago/Kyodo News
Von Axel Dorloff · 30.09.2019
Audio herunterladen
Ausstellungen und Propaganda: Die Kommunistische Partei Chinas strickt weiter am eigenen Mythos. Die Botschaft: Den Traum eines neuen Chinas gibt es nur mit der KP und mit Staatschef Xi Jinping an der Spitze. Was nicht passt, wird passend gemacht.
Das alte Messegelände in Peking eignet sich hervorragend dazu, Erinnerung zu inszenieren: Das Hauptgebäude wirkt wie eine Kathedrale, erbaut 1954 im Stil des stalinistischen Klassizismus. Busladungen von Menschen schieben sich durch die offizielle Ausstellung zum 70. Gründungstag der Volksrepublik China. Streng chronologisch werden die 70 Jahre abgearbeitet.

Parteianhänger in Feierlaune

Der Pekinger Fan Yongbin guckt auf einem Groß-Bildschirm Bilder von 1949. Er war neun Jahre alt, als Revolutionsführer Mao Zedong vorm Tor des Himmlischen Friedens die Volksrepublik China ausgerufen hat.
"Ich bin gekommen, um mich hier an die Vergangenheit zu erinnern. Das macht mich glücklich im Herz, unser Land ist jetzt so stark! Zuerst danke ich besonders Mao Zedong, dann Deng Xiaoping, letztlich Xi Jinping. Mao Zedong hat die Volksrepublik China gegründet, Deng Xiaoping hat die Reform und Öffnung eingeleitet, und heute macht Xi Jinping China mächtig. Darauf bin ich stolz!"
Mao Zedong steht in Uniform vor einem Mikrofon und verkündet mit einem Papier in der Hand die Chinesische Volksrepublik. Um ihn herum stehen Funktionäre. 
1949: Mao Zedong ruft die Volksrepublik China aus.© imago/Xinhua
Parteikader aus entfernten Provinzen. Marine-Soldaten in Uniform. Ganz normale Bürger. Alle sind gekommen, um Chinas Entwicklung der letzten 70 Jahre zu bestaunen: vom Arbeiter- und Bauernstaat zum hochentwickelten Industrieland. Vom ersten chinesischen Traktor bis zu autonom fahrenden Bussen und Robotern mit künstlicher Intelligenz.
Die 22-jährige Zhang Yuchen aus Peking ist mit ihrer Mutter und Schwester da. "Unsere Generation darf die Resultate dieser tollen Entwicklung genießen, hat aber selbst keine Schwierigkeiten erlebt. Ich bin sehr stolz auf die Generationen vor uns: unsere Großeltern, unsere Eltern. Die haben das alles hier für uns geschaffen, ein echter Kraftakt."
Die Botschaft der Ausstellung ist eindeutig: Seht her, was China Großartiges geleistet hat, seitdem die Kommunistische Partei 1949 das Ruder übernommen hat.

Erinnerungen an politische Verbrechen sind tabu

Frank Dikötter ist Historiker an der Universität von Hongkong und forscht zur Geschichte der Volksrepublik. Er sagt: Chinas historisches Selbstbild funktioniere nur, weil wichtige Teile der Geschichte ignoriert werden.
"Ich meine damit, die Art und Weise wie die Volksrepublik China ihre Geschichte erzählt. Für die eigene Bevölkerung und für das Ausland. Das ist eine der erfolgreichsten Propaganda-Kreuzfahrten unserer modernen Welt. Ein komplettes Land schafft es, zu behaupten, dass die eigene Geschichte im Wesentlichen erst 1978/79 angefangen hat. Und keine der Verbrechen gegen die Menschheit spielt dabei eine Rolle."
Eine Debatte über Maos Verfolgungskampagnen, seine politischen Verbrechen und die Millionen Opfer sind in China bis heute tabu. Sein so genannter "Großer Sprung nach vorn" endete mit einer gigantischen Hungersnot und vermutlich mehr als 40 Millionen Toten. Während der Kulturrevolution wurden hunderttausende Intellektuelle verfolgt, gefoltert oder getötet. All das findet in der offiziellen Ausstellung zu 70 Jahre Volksrepublik keinen Platz. Auch nicht die Studentenbewegung von 1989, die mit dem Massaker am Platz des Himmlischen Friedens endete.
"Wenn wir über 1989 reden, gibt es eine staatlich verordnete Amnesie. Und diese Amnesie geht weit über die Ereignisse von 1989 hinaus. Es gibt kaum eine Episode in der Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas, die offen an Schulen oder woanders diskutiert werden darf. Als Xi Jinping 2012 an die Macht kam, hat er sehr deutlich gemacht, dass jeder Versuch, die Geschichte der Kommunistischen Partei zu diskreditieren, ein Verbrechen ist. Er nennt das 'Historischer Nihilismus'. Ein absurder Begriff – aber einschüchternd."

Mit Xi Jinping in eine neue Ära

Um einen dreht sich die Ausstellung ganz besonders: Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping. Sobald es ab 2012 um ihn geht, werden die Räume höher, die Farbe Rot dominiert alles, die Exponate pro Jahr vervielfachen sich. Und immer wieder Bilder und Filmchen mit Xi Jinping.
Xi Jinping spricht vor Abgeordneten des Volkskongresses
Die Bilder werden höher: Xi Jinping spricht vor Abgeordneten des Volkskongresses.© imago / UPI Photo
Die 28-jährige Wu Yuanhong macht Selfies vor den Xi Jinping Exponaten.
"Seit Xi Jinpings Amtsantritt 2012/2013 sind rund sieben Jahre vergangen. Er hat für China viel bewirkt – in der wirtschaftlichen Entwicklung oder auch mit der Anti-Korruptions-Kampagne. Er hat sehr viel verbessert, auch im Bereich Natur- und Umweltschutz. Ich hoffe, dass mein Vaterland mit ihm künftig noch stärker und blühender wird."
Xi Jinping hat eine neue Ära des Sozialismus chinesischer Prägung ausgerufen. Er predigt die Wiedergeburt der großen chinesischen Nation. Seine Theorien sind in der Verfassung verankert.
Bei den Feierlichkeiten zum 70. Gründungstag macht die Propaganda einmal mehr deutlich: Chinas glorreiche Zukunft geht nur über ihn.

Außerdem hören Sie in dieser Ausgabe der Weltzeit ein Gespräch mit dem Journalisten Shi Ming. Er verfolgt Chinas Entwicklung seit Jahren intensiv, unter anderem in Studien für die EU. Seine Analyse: Die Kommunistische Partei ist tief gespalten. Sie habe es derzeit sehr schwer, das Volk auf Kurs zu bringen, weil die Partei selbst nicht auf Kurs sei, ob in der Hongkong-Frage oder im Umgang mit Europa. Angesichts von 200 Millionen Arbeitslosen, unerwarteten Streiks und der abflauenden Wirtschaft spricht Shi Ming von einer gefährlichen Situation für die chinesische Führung.
Ihre militärischen Ziele und die Debatte über einen Rüstungswettbewerb zwischen China und den USA sieht der Journalist skeptisch: Peking fehlten wichtige Voraussetzungen, um zur "Supermacht" aufzusteigen: "Wir sollten den Begriff Supermacht nicht überstrapazieren", sagt er. Nach seiner Einschätzung gebe es zum Beispiel kein einziges Land, das für Peking als Bündnispartner in Frage kommt.
Mehr zum Thema