70 Jahre Plattenlabel Amiga

Geschichte von Einflussnahme, Anpassung und Zensur

Die Schallplatten "Klaus Renft Combo", "Renft" und "Renft - Die frühen Jahre" des VEB Deutsche Schallplatten Berlin "Amiga", aufgenommen am 11.09.2013 im sächsischen Liemehna.
Platten des VEB Deutsche Schallplatten Berlin "Amiga" © picture alliance / dpa-Zentralbild / Peter Endig
Von Christoph Richter · 16.10.2017
Vor 70 Jahren presste und vertrieb das Label Amiga die ersten Schallplatten im Nachkriegs-Deutschland. Zum Jubiläum erzählt eine Ausstellung die Geschichte der Plattenfirma. Und die ist nicht nur musikalischer Natur: Denn 1954 ging das Label in DDR-Hand über. Hier liegt aber die Schwachstelle der Schau.
"Ich steige Dir aufs Dach" heißt die Nummer von Bärbel Wachholz.
In den 60er-Jahren ist sie der ostdeutsche Schlagerstar. Lieblingssängerin des früheren SED-Chefs Walter Ulbricht, nach zwei gescheiterten Fluchtversuchen hat sie sich 1984 das Leben genommen. Veröffentlicht wurden ihre Hits auf dem DDR-Plattenlabel Amiga. Monopolist, wenn es um Rock- und Popmusik ging.
"Wurde von Ernst Busch 1947 gegründet …"
… erzählt der Bernburger Torsten Sielmon, der Kurator einer Ausstellung zur Geschichte des DDR-Plattenlabels Amiga. Im Februar 1947 wurde es gegründet, dieses Jahr feiert es sein 70-jähriges Jubiläum. Angefangen hat die Geschichte mit dem Kommunisten Ernst Busch.
"Ernst Busch war ja Spanien-Kämpfer, Komponist und Texter vieler Arbeiterlieder. Hatte eine gute Lobby bei der sowjetischen Besatzungsmacht. Und hatte daher die Möglichkeit dieses Label zu gründen."

"Mit der Monotonie des yeah, yeah Schluss machen"

Kurz nach der Gründung, im Mai 1947, erschien bei Amiga die erste Schellackplatte von Kurt Reimann mit dem Titel Capri Fischer.
"Das ist auch ein Exponat, das bei uns in der Ausstellung gesondert in einer Vitrine gezeigt wird."
Als im Westen die Beatles die Massen elektrisierten, ist es auch bei Amiga mit der heilen Schlagerwelt vorbei. Es erscheinen Beat-Platten mit schrammeligen Gitarrensounds, bis es den Genossen 1965 um SED-Machthaber Walter Ulbricht zu viel wird.
"Ist es denn wirklich so, das wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, kopieren müssen? Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des yeah, yeah und wie das alles heißt, sollte man doch Schluss machen."
Die Ausstellung: "Amiga – Mythos und Kult des ersten deutschen Plattenlabels" ist im Museum des Renaissance-Schlosses Bernburg zu sehen. Die Wände sind voll gehängt mit Plattencovern, meist aus dem Besitz des Ausstellungsmachers. Aber auch Leihgaben aus dem Privat-Besitz ehemaliger Amiga-Künstler sind zu sehen. 70 Schautafeln erklären grob die Geschichte des Plattenlabels.

Ideologische und ästhetische Anforderungen

Letztlich eine Schau, die eher ein buntes Allerlei ist. Kaum erwähnt werden die Bedingungen von Rockmusik in der DDR. Wer in der DDR Pop- oder Rockmusik machte, eine Platte produzieren wollte, kam an der Amiga bzw. an dessen Chefredakteur René Büttner nicht vorbei. Denn Amiga ist immer auch eine Geschichte von Einflussnahme, Anpassung und Zensur. Nur wer den ideologischen und ästhetischen Anforderungen gefiel, hatte eine Chance. Weshalb viele Bands in der DDR auch nie die Möglichkeit bekamen, eine Platte zu machen, erzählt Birgit Jank, Musikwissenschaftlerin an der Universität Potsdam.
"Mitte der 80er-Jahre sprechen wir von 2000 Amateurbands und von 170 Profibands. Schon allein diese Relation macht klar, dass es da eine große Basis gab, die nie bei Amiga war, die nie in den Studios war."
Erst kurz vor dem Zusammenbruch der DDR dürfen bei Amiga die anderen Bands wie Feeling B, Sandow, Die Art oder Müllstation erscheinen.
Die wundersame Geschichte von Gabi, aus dem Jahr 1983, auch bei der Amiga veröffentlicht, eine Nummer der DDR-Punkband Pankow. Pankow war keine der etablierten angepassten Ostrock-Bands wie Puhdys oder Karat. Immer wieder ist Pankow mit den Verantwortlichen von Amiga in Streit geraten, musste Texte ändern.
"Es ist auf meinem Herzen, es belastet mich immer noch …"
… erzählte kürzlich der frühere Sänger André Herzberg in einer Sendung des rbb. So durfte die Platte Paule Panke erst kurz vor dem Ende der DDR erscheinen.
"Im Grunde genommen mit der Gründung der Band sind wir zur Amiga gegangen und wollten dieses Programm Paule Panke aufnehmen. Wir hatten es konzipiert als Langspielplatte, wir wären am Liebsten damit um die Welt gezogen. Das war so ein Theater-Rock-Ding. Die Pläne waren groß, die Träume gingen bis sonst wo hin. Es ist mit einer Handbewegung gecancelt worden. Die Begründung war: Das machen wir jetzt nicht, das machen wir vielleicht in zehn Jahren, wenn sich die Kulturpolitik geändert hat."

Amiga-Erbe bei Sony in München verwaltet

Ein Schmerz, der bei André Herzberg noch heute tief sitzt. Weshalb er 1997 – zum 50. Amiga-Geburtstag – dem früheren Chef René Büttner voller Schmackes eine Torte ins Gesicht klatschte.
Geschichten, die in der Bernburger Ausstellung zur Geschichte des DDR-Plattenlabels Amiga nicht vorkommen.
Amiga: Das war aber auch die Chiffre für Lizenzplatten, also Scheiben mit Westmusik, wie etwa Deep Purple, Pink Floyd oder AC/DC. Sie waren heiß begehrt, da die Auflagen sehr klein waren. Bückware nannte man sowas früher. Weshalb heute noch jeder seine Geschichten erzählen kann, wie man an die Platten gelangt ist. Auch Kurator Torsten Sielmon – ein Beatles-Fan – kann dazu etwas beitragen.
"Naja, ich hab mir die besorgen müssen. Die Platten kamen über meinen großen Bruder …"
… der als Arzt arbeitete und gute Beziehungen hatte. Sielmon lacht.
Der Kutte-Blues von Angelika Mann. 1976 protestierte sie gegen die Biermann-Ausbürgerung, bekam Auftrittsverbot. 1985 ging sie in die Bundesrepublik.
Heute wird das Erbe der Amiga in München bei Sony verwaltet. 1993 soll man es für geschätzt vier Millionen Mark erworben haben.
Wer nochmal in alten Erinnerungen schwelgen will, dem sei die Ausstellung in Bernburg ans Herz gelegt. Wer jedoch hintergründige Informationen zum DDR-Plattenlabel Amiga, eine zeitkritische Analyse erwartet, den dürfte die Schau enttäuschen.

Die Ausstellung "Amiga – Mythos und Kult des ersten deutschen Plattenlabels" im Museum Schloss Bernburg ist bis 28. Januar 2018 zu sehen.

Mehr zum Thema