70 Jahre D-Day

"Das Meer ist schwarz von Schiffen!"

Foto von der Landung aliierter Soldaten in der Normandie.
70.000 französische Zivilisten kamen bei den Gefechten rund um den D-Day 1944 ums Leben. © dpa / picture alliance / MAXPPP
Von Bernd Ulrich · 06.06.2014
Am 6. Juni 1944, bekannt als D-Day, begann die größte Landungsaktion der Militärgeschichte und der Kampf um die Befreiung Westeuropas. Alliierte Truppen betraten in der Normandie französisches Festland und drangen in langwierigen und dramatischen Kämpfen weiter vor.
Einige Jugendliche aus der alten normannischen Stadt Caen fuhren am Vormittag des 6. Juni 1944 mit ihren Rädern an die stadtnahen Strände, kaum abgeschreckt durch das Geschützfeuer und die Bombeneinschläge, die der Wind seit dem frühen Morgen vom Meer herübertrug. Was sie zu sehen bekamen, war überwältigend:
"Sie landen! Das Meer ist schwarz von Schiffen! Die Boches sind erledigt!"
Als die Jungs von ihrem Ausflug zurückkehrten und die Nachricht in der Stadt verbreiteten, war die Radioansprache des alliierten Oberbefehlshabers Dwight D. Eisenhower schon über den Äther gegangen:
"Menschen in West-Europa: Heute Morgen sind die alliierten Expeditionskräfte an der Küste von Frankreich gelandet. Diese Landung ist Teil eines konzertierten Plans der vereinigten Nationen zur Befreiung Europas, in Verbindung mit unseren großen russischen Alliierten."
Der BBC-Reporter Richard Dimbleby berichtete am Abend des 6. Juni:
"Die britischen, kanadischen, und amerikanischen Truppen, die heute Morgen in strahlender Sonne an der Küste von Frankreich nördlich der lieblichen Stadt Caen gelandet sind, sind bereits einige Meilen ins Landesinnere vorgerückt an einer Frontlinie, die ausreichend breit genug ist, um mehr als ein Brückenkopf zu sein. Sie bewegen sich voran, gedeckt von der ungeheuren Feuerkraft von britischen und amerikanischen Schlachtschiffen und geschützt unter einem Schirm von Jagdflugzeugen."
Opfer in Bericht verschwiegen
In der Tat - das alliierte Unternehmen "Overlord" war an diesem 6. Juni 1944 an allen fünf Landungsabschnitten geglückt, der von den Deutschen so sorgsam errichtete Atlantikwall schien durchbrochen, und die alliierten Truppen hatten sich in der Normandie festgesetzt. Aber Dimblebys Bericht verschwieg die Opfer, die dieses bis heute größte Landungsunternehmen der Geschichte forderte, nicht zuletzt unter der französischen Bevölkerung. Noch am D-Day, dem Decision Day, dem Tag der Entscheidung – kurz nachdem die Jugendlichen aus Caen vom Strand zurückgekehrt waren – traf es ihre Stadt. Der englische Historiker Antony Beevor:
"Um 13.45 Uhr begannen schwere Bomber der Royal Air Force die Stadt systematisch mit Bomben zu belegen. Damit sollte, so hieß es, die Heranführung deutscher Verstärkungen verzögert werden. Der per Flugblatt verbreiteten Aufforderung an die Bevölkerung, sofort auf dem Land Zuflucht zu suchen, waren nur wenige Menschen gefolgt, als die Bomber nahten."
Die Stadt fiel in Schutt und Asche, über 800 Menschen starben, mehrere Tausend wurden verletzt. Und es blieb nicht bei Caen. Am Ende sind durch die alliierten Flächenbombardements im Vorfeld, während und nach der Landung fast 70.000 französische Zivilisten umgekommen. Dennoch erhielt sich die Solidarität mit den alliierten Soldaten, zu denen bald auch freifranzösische Truppen gehörten.
Keine Nervosität auf dem Obersalzberg
Auf dem Obersalzberg, auf dem sich Hitler auch noch am 6. Juni aufhielt, war unterdessen von Nervosität nichts zu spüren. Am Vorabend, vermerkte Joseph Goebbels in seinem Tagebuch,
"saßen wir mit dem Führer noch bis nachts um 2 Uhr am Kamin und tauschen Erinnerungen aus. Kurz und gut, es herrscht eine Stimmung wie in den guten alten Zeiten."
An dieser guten Stimmung des Führungszirkels hatte auch die in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni eingelaufene Meldung über die alliierte Besetzung Roms nichts zu ändern vermocht. Italien war als Kriegsschauplatz offensichtlich von zweitrangiger Natur. Wiederum Goebbels hielt im Tagebuch fest:
"Die Entscheidung fällt zweifellos im Westen. Was die Invasion anlangt, so sieht der Führer ihr mit vollem Vertrauen entgegen."
Und er war mitsamt vieler seiner Generäle noch bis Ende Juli 1944 der festen Überzeugung, dass die Landung in der Normandie nur einen Ablenkungsangriff darstellte. Die eigentliche Invasion erfolge erst noch und zwar – so die felsenfeste Gewissheit - an der engsten Stelle des Kanals, vor allem am Pas de Calais, jenen Küstenregionen mithin, an denen vor allem deutsche Truppen massiert wurden.
Doch die teils fanatische Kampfentschlossenheit der in der Normandie stationierten Wehrmachts- und Waffen-SS-Einheiten machte die Folgen dieser Fehleinschätzung wett, jedenfalls eine Zeit lang. Allein in den ersten drei Monaten nach der Landung verloren die Deutschen nahezu 450.000 Männer an Toten, Verwundeten, Vermissten und Gefangenen. Am 6. Juni 1944 wird es fast auf den Tag genau noch elf Monate dauern, bis das Deutsche Reich und sein Führer endgültig besiegt sind.
Mehr zum Thema