60 Jahre Pille

Meilenstein mit Nebenwirkungen

08:34 Minuten
Drei Anti-Baby-Pillen auf einer spiegelnden Unterlage.
Greift in das hormonelle System des weiblichen Körpers stark ein: die Anti-Baby-Pille. © imago images / MiS
Sabine Kray im Gespräch mit Ute Welty · 18.08.2020
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Vor genau sechs Jahrzehnten kam die Pille in den USA auf den Markt. Die Autorin Sabine Kray hat sie selbst lange genommen und sich dann gegen sie entschieden. Die hormonelle Verhütung betrachtet sie inzwischen sehr kritisch.
!Ute Welty:!! 60 Jahre Pille in den USA, das bespreche ich mit der Autorin Sabine Kray. Bereits 2017 erschien ihr Buch "Freiheit von der Pille". Darin stellt sie die Pille als gängiges Verhütungsmittel infrage. 60 Jahre Pille, welche Gedanken begleiten Sie an diesem Tag?
Kray: Aus meiner Sicht war die Pille natürlich ein Meilenstein, das würde ich nicht bestreiten. Andererseits hat sie in einer Gesellschaft, die ganz zaghaft damit begann, sich der Auseinandersetzung mit sexuellen Fragen zu öffnen, die Gelegenheit verbaut, das auch im Zusammenhang mit dem weiblichen Zyklus zu machen.
Natürlich gab es zunächst Widerstand gegen die Pille. Aber sie hat sie letztlich zum Weg des geringsten Widerstandes entwickelt, weil man über nichts mehr reden musste. Man konnte sie sich einfach hinter verschlossener Tür verschreiben lassen.
Die Frauen, die seit Jahrhunderten mit dem Schreckgespenst ungewollter Schwangerschaft konfrontiert sind, wo man immer den Eindruck hat, das kann jederzeit über mich hereinbrechen. Man hat keine Ahnung, dass so ein Zyklus natürlich auch Regeln folgt und man sich sehr wohl schützen kann. Dieses Zykluswissen wurde mit der Pille obsolet gemacht. Dann hat sich auch eingebürgert, dass wir, wenn wir von Zyklus sprechen, eigentlich die Menstruation meinen.

Schönere Haare, bessere Haut

Welty: Sie haben 17 Jahre lang die Pille eingenommen. Was hat dafür gesprochen und was am Ende dagegen?
Kray: Dafür hat damals gesprochen, dass das alle gemacht haben und wir der Auffassung waren, wir werden davon schöner und bekommen größere Brüste, schönere Haare, bessere Haut. Dagegen hat eigentlich wahnsinnig wenig gesprochen.
Welty: Aber trotzdem haben Sie sich am Ende dagegen entschieden.
Kray: Dagegen entschieden habe ich mich nicht, denn ich habe in einem Moment mit der Pille beziehungsweise der hormonellen Verhütung aufgehört, als ich es versäumt hatte, mir beim Arzt ein Rezept zu holen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt keinen Freund, was mich zuvor, auch wenn ich keinen Freund hatte, nicht daran gehindert hatte, die weiterzunehmen. Aber da war dann das Rezept nicht da und ich dachte, eigentlich brauche ich sie gerade gar nicht.
Welty: Also mehr ein Zufall.
Kray: Ein totaler Zufall, der dann zu einer riesengroßen Überraschung bei mir geführt hat, weil ich mich plötzlich ganz anders, viel wohler, auch sexuell viel wacher gefühlt habe. Ich habe mit Anfang 30 zum ersten Mal meine eigene, lebendige Libido kennengelernt. Dieses ganz Selbstverständliche wie Hunger, Durst und sexuelles Begehren, wie man das Männern unterstellt, das habe ich für mich persönlich nicht gekannt.
Welty: Heißt das, man müsste über die Pille und ihre Nebenwirkungen ganz anders diskutieren?

Die Hormone wirken auch im Gehirn

Kray: Ich denke schon, weil wir alle noch so sehr damit beschäftigt sind, dass sie so sicher ist, dass es so essenziell ist für junge Frauen, dass sie nicht schwanger werden, weil ihnen das die Karrieremöglichkeiten verbauen könnte und so weiter und so fort. Das sind natürlich alles gute Gründe, um die Pille zu nehmen.
Andererseits sollte man sehr wohl darüber sprechen, dass unserer hormonelles System im Körper sehr fein kalibriert ist, so dass auch Endokrinologen teilweise nicht genau wissen, welche Vorgänge im Körper passieren. Man kann in Experimenten sehen, was geht rein und was kommt am Ende heraus, was in der Mitte passiert ist ein bisschen Blackbox.
Die Rezeptoren für die Sexualhormone der Pille sind nicht nur unterhalb meines Bauchnabels. Im Gegenteil, viele davon befinden sich im Gehirn. Sie haben auch etwas mit unserem Verhalten und mit der Art und Weise zu tun, wie wir uns der Welt gegenüber zum Ausdruck bringen. Denn wir sind als biologische Wesen auch evolutionär darauf ausgelegt, zu unserer fruchtbaren Zeit präsenter zu sein.
Das sind alles Aspekte, die sehr viel Einfluss darauf haben, wie wir sind und wer wir sind. Ich finde es extrem verantwortungslos, eben gerade weil man so wenig über die potenziellen, auch psychologischen Effekte weiß, die das auf uns hat.
Welty: Bei dem, was Sie beschreiben, bedeutet das am Ende, dass die Pille gar keinen Beitrag zur sexuellen Befreiung der Frau ist, sondern ganz im Gegenteil?

Plötzlich schien die Frau beständig verfügbar

Kray: Ja, das ist interessant, das kann man natürlich so auf die Spitze treiben. Ich habe gelegentlich mit älteren Frau geredet, die in den 60er-, 70er-Jahren die Pille einnahmen. Die haben teilweise gesagt, es war ganz furchtbar, weil es plötzlich von Männerseite hieß, ja wie, du willst nicht, du nimmst doch die Pille. Dass also das einzige Argument der Frau zuvor die Angst vor der Schwangerschaft war und plötzlich diese allzeitige Verfügbarkeit in den Raum trat.
Das ist natürlich wirklich ein ganz ätzendes Szenario, das sich in der Zwischenzeit dann auch verbessert hat. Gleichzeitig, kann ich, wenn ich die Pille nehme, angstfrei Sex haben. Andererseits stellt sich angesichts des Einflusses der Pille auf die Libido die Frage, ob ich dann welchen haben will und ob das eine Kopfentscheidung ist oder eben wirklich auch eine Herz-Körper-Entscheidung, so wie wir uns das wünschen. Das ist ein wünschenswerter Zustand, den ich auch als selbstbestimmt betrachten würde.
Welty: Welche Art von Verhütung halten Sie für die beste?
Kray: Das kommt sehr stark auf die Lebenssituation an. Ich glaube, wenn man sich sehr sicher ist, dass man in den kommenden Jahren keine Kinder haben möchte, dann würde ich die Kupferspirale für am sichersten halten. Es gibt Frauen, die sagen, ich möchte gerne ein Kind, aber vielleicht erst in einem halben Jahr. Der würde ich keine Kupferspirale empfehlen, weil das Einsetzen doch ein Angang ist. Die reicht dann auch drei bis fünf Jahre. Damit kann man, wenn man vielleicht sehr jung ist, also in den 20ern, ein etwas langfristigeres Verhütungskonzept haben.
Die Spirale ist auch sicherer als die Pille. Dadurch, dass sie professionell eingesetzt wird und man nicht jeden Tag daran denken muss, die Sicherheit für die Frauen höher ist. Zudem ist die Methode auch hormonfrei.
Die andere Methode ist für Frauen mit einem sehr regelmäßigen Zyklus. Es ist tatsächlich die natürliche Verhütung, bei der man sich in einer Kombination aus Zervixschleim-Beobachtung und Temperaturmessung an die fruchtbaren Tage annähert und an diesen Tagen entweder abstinent oder kreativ ist. Dies hat den gleichen Pearl-Index wie die Pille und funktioniert sehr gut nach einer Heidelberger Studie, die das über sehr lange Zeit mit einer großen Anzahl Frauen getestet hat. Die funktioniert für viele Frauen sehr gut und ist das, wofür ich mich persönlich auch entschieden habe.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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