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"Fasching" am Wiener Volkstheater
Österreich und die NS-Zeit

Am Wiener Volkstheater führte Anna Badora nun Regie beim Vergangenheitsbewältigungsstück "Fasching" vom 1969 gestorbenen österreichischen Autoren Gerhard Fritsch. Ein düsterer Stoff - bunt inszeniert.

Von Hartmut Krug | 07.09.2015
    Anna Badora bei der Pressekonferenz zum Volkstheater Wien Spielprogramm 2015/16 in der Roten Bar im Volkstheater, aufgenommen am 07.05.2015.
    Die neue Intendantin Anna Badora (imago / Future Image)
    Heimkehrer Felix Golub wandert durch Nebel und Dunkelheit. Er ist nur eine Puppe auf leerer Bühne, dessen lebensgroßen Oberkörper sich der der Puppenspieler Nikolaus Habjan vor den Leib hält, während er als zweifelnder Golub Situationen beschreibt:
    "Aus dem Nebel tauchen Konturen auf, vertraut und traut. Man kann der Erinnerung trauen, auf sie bauen."
    Regisseurin Anna Badora erzählt den Roman von Gerhard Fritsch geschickt auf drei Darstellungsebenen: Erstens mit dem Puppenspieler, zweitens mit dem schmalen, jungenhaft wirkenden Schauspieler Nils Rovira-Munoz als lebendigem Golub in Spielszenen, und schließlich mit den nicht von ungefähr aus dem Publikum auf die Bühne steigenden anderen Schauspielern. Die verkörpern eine sich in schlimmer Einigkeit erneut gegen Golub wendende Bevölkerung und wirken mit ihren spitzen Nasen und verunstaltenden Maskenteilen vom ersten Augenblick an wie eine gruselig verschworene, aggressive Gemeinschaft. Golub ist der Außenseiter und wird zum Opfer.
    Eingebrannte Denkmuster bleiben bestehen
    1945 war der 17-Jährige desertiert, hatte von einer Baronin und Miedermacherin Frauenkleider bekommen, war von ihr versteckt und sexuell benutzt worden. Obwohl Golub die abziehenden Nazi-Truppen an der Sprengzerstörung der Stadt gehindert hatte, wurde er denunziert und von den Sowjets für zehn Jahre nach Sibirien geschickt. Nun kommt er zurück mit seiner jungen Frau und will ein Fotogeschäft übernehmen. Doch die Mitläufer und Nazis von einst haben zwar nun andere Berufe und Funktionen, doch sie sind die alten geblieben. Während Golub naiv und hilflos einfach nur wieder hier leben will, sehen ihn die Dagebliebenen als Gefahr und Feind:
    "Längst ist Felix Golub, Mädchenname Charlotte Weber, Grenadier, Deserteur, Kriegsgefangener, Fotograf, ankommend in unserer aller Mitvergangenheit, einbezogen in die Handlung, lange bevor er es erkennt. Er weiß doch, dass Fasching ist."
    Und beim Fasching verkleiden sich alle bis zur Kenntlichkeit. Fritschs Roman atmet Hoffnungslosigkeit, er zeigt das Leben als eine unwandelbar düstere Faschingshölle. Badoras Inszenierung dagegen ist bunt und fährt allzu viele szenische Erklärungsmittel auf. Obwohl die Bühne weitgehend leer ist. Nur manchmal werden Prospekte durch die Szene gezogen, und ein großer weißer Rahmen bietet vor allem Adele Neuheuser in der Rolle der dominanten und sexuell aggressiven Baronin hervorgehobene Auftrittsmöglichkeiten. Die Schauspieler springen oft aus ihren Rollen und werden zu Erzählern, die die Handlung vorantreiben. So bleibt bei einem recht didaktisch wirkenden Spiel für den Zuschauer kein Raum zwischen dem Vorspiel und dessen Bedeutung. Und wenn beim Fasching Stefanie Reinsperger mit schrecklich übertriebener Spielweise in der Rolle von Golubs Frau aber auch alles mitmacht, um dazu zu gehören, während man ihren Mann demütigt und aggressiv angeht, dann wird die Szene zur bunten Spießerparade der Unbelehrbaren.
    "Mit rosa Seidenkrawatte, Gamsbarthütchen, Schnauzbärten und Medaillen ziehen die Mannen von weither ein. Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, signum laudis, silberne Tapferkeit, goldene Tapferkeit, Eiserne Kreuze, viel und noch mehr Spangerl und Schilder. Nahkämpfer, Fallschirmspringer, Panzerknacker. Narvik, Kreta, Tobruk, Demiansk, Eismeer, Stalingrad. Es war ein Edelweiß..."
    Anna Badoras engagierte Inszenierung zwingt den Zuschauer mit spielerischem Erklärungsfuror zum Einverständnis. Doch indem sie lauter Figurenklischees zeigt, bleibt von dem verstörenden Schrecken des Romans auf der Bühne nichts übrig.