50 Jahre unabhängig und kein bisschen stabil

Von Antje Diekhans · 30.06.2010
Die Demokratische Republik Kongo liegt in Zentralafrika. Sie gehört zu größten und rohstoffreichsten Staaten des Kontinents. Das Land verfügt über beträchtliche Vorkommen an Kupfer, Kobalt, Gold, Diamanten, Uran und dem für die High-Tech-Industrie wichtigen Coltan. Bisher haben die Reichtümer dem Kongo allerdings eher Verderben als Wohlstand gebracht. Zunächst beuteten die Kolonialmächte Portugal und Belgien das Land aus. Nach der Unabhängigkeit vor 50 Jahren plünderten dann eigene Herrscher den Kongo. Jetzt mischen auch Anrainerstaaten mit Hilfe von Warlords und Rebellen mit.
Der Stimme ist anzuhören, dass sie dieses Lied schon viele hundert Mal gesungen hat. Etwas rauh und brüchig ist sie über die Jahrzehnte geworden. Ihr Besitzer dagegen wirkt auch mit 75 noch taufrisch. Jeannot Bombenga, die Cha-Cha-Cha-Legende aus dem Kongo. Zusammen mit einer Handvoll anderer Musiker schuf er 1960 mit dem "Indépendance Cha Cha" den Soundtrack zur Unabhängigkeit.

"Die Menschen waren so stolz und glücklich, dass sie endlich frei waren. Unser Lied wurde ständig im Radio gespielt. Alle liebten es. Die Leute sangen es auf der Straße.""

Der Cha-Cha-Cha erzählt vom runden Tisch in Brüssel, an dem Vertreter der belgischen Kolonialmacht und kongolesische Politiker verhandelten. Namen der Hoffnungsträger dieser Zeit werden aufgezählt, darunter natürlich Patrice Lumumba, der erster Ministerpräsident werden sollte. Am 30.Juni 1960 erlangte das zentralafrikanische Land offiziell seine Unabhängigkeit. Jeannot Bombenga erinnert sich an das Hochgefühl, das ihn und viele andere damals erfasste.

"Direkt danach sah es so aus, als wenn alles sehr schnell besser werden würde. Perfekt. Aber das war trügerisch. Es kam schon bald zu ersten Machtkämpfen zwischen den Politikern. Und dann wurde Lumumba sogar getötet."

Nur drei Monate dauerte seine Regierungszeit. Lumumba hatte sein Todesurteil wohl selbst gesprochen, als er in einer Rede zur Unabhängigkeit die Grausamkeiten der früheren Kolonialmacht anprangerte:

"Wir haben Spott erlebt, Beleidigungen, Schläge, die morgens, mittags und abends unablässig ausgeteilt wurden, weil wir Neger waren. Wer könnte vergessen, dass ein Schwarzer immer geduzt wurde - nicht, weil er als Freund angesehen wurde, sondern weil die höfliche Form den Weißen vorbehalten war."

Die genauen Umstände von Lumumbas Tod lagen lange Zeit im Dunkeln. Untersuchungen zufolge fielen er und zwei seiner Minister einem Komplott zum Opfer, in das sowohl der belgische König und die belgische Regierung als auch der US-Geheimdienst CIA verwickelt waren. Die Leichen wurden, um Spuren zu verwischen, zerstückelt und in Salzsäure aufgelöst.

Der kaltblütige Mord führt vor Augen, dass auch nach der offiziellen Unabhängigkeit ein Kongolese sich noch längst nicht unabhängig äußern durfte. Letzte Bilder von Lumumba zeigen ihn, wie er gezwungen wird, das Manuskript seiner Rede zu essen. Eine weitere Grausamkeit, wie es im Laufe der Kolonialzeit Zigtausende gegeben hatte, als der Kongo das "Herz der Finsternis" war.

Spuren der Geschichte finden sich in einem Haus mit abblätterndem Putz in der Hauptstadt Kinshasa. Ein zerdelltes Blechschild vor der Tür gibt den Hinweis: Hier handelt es sich um das historische Archiv des Landes. Alte Urkunden, Dokumente und Briefe sind zusammengepfercht in wackeligen Regalen.

Wer vorsichtig in den vergilbten Seiten blättert, schlägt die dunklen Kapitel der Vergangenheit auf. Damals zogen die europäischen Mächte in Afrika willkürlich Grenzen, sagt der Leiter des Archivs, Professor Antoine Lumenganeso.

"Afrika wurde aufgeteilt. Die Afrikaner wurden dabei nicht gefragt, das haben die Kolonialherren unter sich ausgemacht. Und da liegt die Wurzel unseres Elends."

Im Februar 1885, vor gut 125 Jahren, endete in Berlin die sogenannte Kongo-Konferenz. Der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck hatte Vertreter von elf Staaten geladen. Eigentlich sollte es um die Handelsfreiheit im Bereich der Flüsse Niger und Kongo gehen. Doch dann griffen die Herren zu Lineal und Bleistift. Sie legten mit ein paar schnellen Strichen fest, wer in den Teilen Afrikas, die noch nicht vergeben waren, die Macht haben sollte. Ihnen ging es um die Schätze dieser fernen Welt - um Elfenbein, Diamanten und Palmöl.

Das Schlussdokument der Konferenz ging unter dem Titel "Scramble for Africa" - Wettlauf um Afrika - in die Geschichtsbücher ein. Der belgische König Leopold der Zweite sicherte sich den Kongo als private Kolonie.

Antoine Lumenganeso: "Er hat den Kongo ausgebeutet. Hierher gekommen ist er nie. Er mochte die Kongolesen nicht, er mochte nur den Reichtum unseres Landes."

Die Bodenschätze des Kongo waren schon damals Fluch statt Segen. Leopold kannte beim Ausplündern keine Gnade. Seine Gier galt Gold, Diamanten und Kupfer genauso wie dem wertvollen Kautschuk.

Antoine Lumenganeso: "Wenn die Menschen nicht schnell genug Kautschuk gesammelt haben, wurden sie bestraft. Ihnen wurden die Hände abgehackt - auch Kindern. Darum sprach man vom roten Kautschuk."

Berichte von der brutalen Ausbeutung drangen schließlich auch bis Europa - und führten zu Protesten. 1908 wurde Leopold gezwungen, die Kolonie an den belgischen Staat abzutreten. Doch für die Bevölkerung im Kongo änderte sich dadurch kaum etwas - wie auch nach der Unabhängigkeit nicht.

Der Professor schreitet die Galerie der Staatspräsidenten in seinem Museum ab. Ihre Fotos stecken in fleckigen Plastikhüllen und sind mit Heftzwecken an die Wand gepinnt - ein Sinnbild dafür, dass der Kongo trotz allen Reichtums immer arm blieb.

"Das sind die Staatspräsidenten. Der erste Staatschef ist Kasavubu. Dann folgt Mobutu Sese Seko. Der dritte ist Laurent Kabila. Und schließlich der aktuelle: Joseph Kabila Kabange."

In 50 Jahren nur vier Präsidenten - einmal blieb die Staatsführung dabei sogar "in der Familie". Was ein Zeichen für Stabilität sein könnte, ist wohl eher eins für Machtversessenheit. Besonders Mobutu nutzte seine 32-jährige Amtszeit, um es den Kolonialherren gleichzutun. Er plünderte, beutete aus - und häufte so unglaubliche Besitztümer an. Der Mann mit dem Leoparden-Käppi lebte seinen Hang zur Selbstdarstellung aus, wo er nur konnte.

"Mobutu hat den Namen des Landes geändert. Er hat die Währung umbenannt, die Flüsse. Er wollte seine Autorität beweisen."

Kongo war Zaire - und Mobutu war der alleinige Herrscher, der Auflehnung mit dem Tode bestrafte. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit ließ er mehrere politische Gegner hinrichten, um jeden Widerstand auszulöschen. Erst Ende der neunziger Jahre wurde der Despot gestürzt. Da tobten im Osten des Landes schon Bürgerkriege - die auch unter Kabila senior und junior nicht gestoppt wurden. Statt der Kolonialherren plündern hier jetzt Rebellengruppen. Fast vier Millionen Menschen bezahlten den Reichtum ihres Landes allein in den vergangenen Jahren mit dem Leben.

Antoine Lumenganeso:"Der Krieg im Osten findet vor allem in der Region um Goma, Kivu usw. statt. Es ist ein fürchterlicher Krieg. Aber jetzt, dank unseres Präsidenten Joseph Kabila, kehrt nach und nach die Sicherheit zurück."

Diesen Optimismus des Professors teilen im Kongo allerdings nur wenige. Wenn die Menschen auf eine bessere Zukunft setzen, vertrauen sie dabei meist nicht auf die Regierung.

Mitten im Zentrum von Kinshasa ist jeden Tag Markt. Verkauft werden hier aber nicht Obst und Gemüse, sondern Kunstartikel. Typisch kongolesische Stoffe, geschnitzte Figuren, Metallarbeiten. Eine Marktfrau fällt auf, weil sie mit ihrer bunten traditionellen Kleidung und farbenprächtigem Make-Up selbst ein wenig wie ein Kunstwerk aussieht.

Als Madame Malou stellt sie sich vor. Ihr Alter ist schwer zu schätzen und verraten will sie es nicht. Madame Malou bietet Stoffe an - schon ihr Leben lang.

"Ich bin nicht mehr als eine einfache Verkäuferin, eine einfache Händlerin, eine Künstlerin. Ich erwarte nichts vom neuen Präsidenten. Ich beschränke mich darauf, hier meine Arbeit zu machen."

Neben ihr steht Mumubi Mbochi, der Holzfiguren in allen Größen verkauft. Bei ihm kommt Kabila etwas besser weg.

"Er ist noch sehr jung. Aber wenn er so weitermacht, kann sich in Zukunft vielleicht etwas ändern. Er weiß sehr wohl, was er will."

Mehr als vom gerade mal 39-jährigen Präsidenten verspricht sich der Verkäufer allerdings von ganz anderen.

"Überall hier kann man jetzt Chinesen sehen. In jedem Viertel von Kinshasa sind sie zugange."

Die Chinesen sind die Zukunft für den Kongo, meint er. Sie bauen neue Straßen und Hochhäuser. Durch sie soll Kinshasa zu einer modernen Metropole werden.

Bevor die Chinesen Straßen teeren, zimmern sie allerdings ihre eigenen Unterkünfte. Die Gesellschaft CGCD ist eine von vielen, die sich zurzeit im Kongo niederlässt. Für die angereisten Ingenieure werden einfache Häuser errichtet - klein China in Afrika. Sogar einen extra eingeflogenen Koch gibt es, der mit den passenden Gewürzen vertraute Gerichte zaubert. Unternehmenssprecherin Nina Pan Wu sagt: Wer Gutes tun will, braucht auch etwas im Magen.

"Die chinesische Regierung will dem armen Kongo helfen, sich zu entwickeln. Unsere Gesellschaft ist staatlich. Also sind wir hier, um den Kongolesen zu einem besseren Leben zu verhelfen."

Eine neue Form der Entwicklungshilfe - oder sind die Chinesen die heutigen Kolonialherren, die den Kongo ausbeuten, wie viele sagen? Der Deal zwischen den beiden Regierungen ist einfach: Rohstoffe gegen Infrastruktur. Bisher gibt es im Kongo, ein Land, das immerhin so groß ist wie ganz Westeuropa, kaum Straßen. Gerade im Osten kann es ewig dauern, von einem Dorf ins nächste zu kommen. Jetzt sollen chinesische Unternehmen insgesamt 3.500 Kilometer Straßen, noch mal so lange Bahnstrecken, dazu Krankenhäuser, Universitäten und Schulen bauen. Im Gegenzug gehen Kupfer und Kobalt im Wert von mehreren Milliarden Dollar aus den kongolesischen Minen nach China.

Nina Pan Wu sieht darin ein Geschäft, von dem beide Seiten profitieren - die Kongolesen vielleicht noch mehr als die Chinesen:

"Eine Grundvoraussetzung, damit sich ein Ort zum besseren entwickelt, sind die Straßen, nicht wahr? Also geben wir unser Bestes, um Straßen zu bauen. Sie sind wie Brücken, die Menschen zusammenbringen."

Auch Ingenieur Hu Haixing wird ganz philosophisch, wenn er seinen Einsatz beschreibt. Er sieht sich als eine Art Lehrer für die kongolesischen Arbeiter, der sie nicht nur beim Aufbau der Infrastruktur, sondern auch beim Aufbau von Wissen unterstützt.

"Wir bringen ihnen bei, wie sie arbeiten müssen. Wir setzen Leute aus der Region ein und geben ihnen so vielleicht den Anstoß, später Straßenbau zu studieren. Der chinesischen Regierung ist es wichtig, den Menschen hier zu helfen. Wir stellen ja schließlich auch viele ein. Sie haben so ein Einkommen, um ihre Familien zu ernähren."

Einer der ersten kongolesischen Arbeiter bei CGCD ist Rene Kalumbo. Ein Studium wird er wohl kaum an seinen Job dranhängen - das hat er schon hinter sich.

"Ich habe Wirtschaftswissenschaften studiert. Hier an der Universität in Kinshasa."

Gute Ausbildung - guter Job: Diese Gleichung funktioniert im Kongo noch lange nicht. Die Weltbank errechnete für das zentralafrikanische Land zuletzt ein durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen von 150 Dollar im Jahr. Der Kongo steht damit im Vergleich mit anderen Ländern des Kontinents am schlechtesten da. Die Chinesen werden wohl auch nicht dazu beitragen, den Wert wesentlich anzuheben.

"Wir arbeiten jeden Tag von acht Uhr morgens bis Viertel vor sechs abends. Es ist eine harte Arbeit. Sie müsste besser bezahlt werden."

Umgerechnet drei Dollar bekommt er am Tag. Die Aussage der Unternehmenssprecherin trifft damit auf ihn jedenfalls nicht zu. Wenn du reich werden willst, musst du als erstes eine Straße bauen, sagt sie.

Vom harten Kern der Musikergruppe, die vor 50 Jahren den Cha-Cha-Cha zur Unabhängigkeit sang, lebt nur noch Jeannot Bombenga. Im Jubiläumsjahr kann er sich über Aufträge nicht beklagen. Mit einer neuen Gruppe spielt er die alt vertraute Musik. Auch wenn vieles in den vergangenen Jahrzehnten falsch gelaufen ist: Das Positive darf nicht vergessen werden, meint er.

"Trotz allem - 50 Jahre Unabhängigkeit erreicht zu haben, ist schon eine Leistung. Wenn ich jetzt singe, denke ich an all die alten Freunde und Kollegen, die inzwischen gestorben sind. Ich werde mein Bestes geben, um sie würdig zu vertreten."

Die Kongolesen tanzen zum "Indépendance Tchatcha" heute genauso gern wie 1960. Vielleicht auch, um die Aufbruchstimmung dieser Zeit zurückzuholen.

"Selbst wenn die Musik sich weiter entwickelt hat - diese Lieder aus den sechziger Jahren mögen die Leute immer noch. Wir werden zu vielen Festen eingeladen. Und dann singen wir wie damals."
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