50 Jahre Stiftung Warentest

Eine Marke mit Makel

Ausgaben der Zeitschrift "Test"
Besonders präsent ist die Stiftung Warentest durch ihr Magazin "Test" © picture alliance / dpa
Christian Kleinschmidt im Gespräch mit Nana Brink · 04.12.2014
Heute wird die Stiftung Warentest 50. Inzwischen ist sie nur noch eine von vielen auf dem Verbraucherinformationsmarkt. Doch "bei den Konsumenten hat sie noch ein sehr hohes Ansehen", sagt der Wirtschaftshistoriker Christian Kleinschmidt.
Lange Zeit war die Stiftung Warentest, die heute vor 50 Jahren gegründet wurde, eine einzigartige Institution. Doch auch im digitalen Zeitalter mit seinen vielfältigen Möglichkeiten für Verbraucher, sich zu informieren, hat sie nach Einschätzung des Wirtschafts- und Sozialhistorikers Christian Kleinschmidt (Universität Marburg), ihre Bedeutung nicht verloren.
Zwar habe sich inzwischen ein regelrechter Verbraucherinformationsmarkt im Internet entwickelt, auf dem die Stiftung Warentest nur noch als einer unter vielen agiere, sagte Kleinschmidt. Gleichwohl genieße sie bei den Konsumenten nach wie vor ein hohes Ansehen.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Sie wollen einen neuen Kühlschrank kaufen oder einen Kindersitz fürs Auto? Oder wissen, was auf dem Joghurt- oder Schokoladenmarkt los ist? Dann sind Sie wahrscheinlich nicht allein, wenn Ihnen ein Name einfällt: Stiftung Warentest, auch im Netz übrigens sehr präsent. Auf 50 Jahre Geschichte kann die Verbraucherschutzorganisation nun zurückblicken. Die Gründungsväter hatten damals ganz paternalistisch im Sinn, den Bürger davor zu bewahren, sein Geld rauszuschmeißen. Ludwig Erhard, in den 50ern für das Wirtschaftswunder in Westdeutschland zuständig, sagte über den Verbraucher:
"Er soll wach sein. Er soll auf dem Markt sich nicht so benehmen als wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Er soll sich nicht darüber ärgern, wenn irgendwo etwas teuer ist, soll sich darüber freuen, dass es auch billigere Einkaufsmöglichkeiten gibt. Er soll wählen. Die es angeht, die sollen spüren, dass sie es nicht mehr mit einer fühllosen Masse zu tun haben, sondern mit bewusst gewordenen Verbrauchern."
Brink: Sagte Ludwig Erhard und leitete die Initiative ein, Stiftung Warentest zu gründen. Christian Kleinschmidt ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Phillipps-Universität in Marburg, guten Morgen, Herr Kleinschmidt!
Christian Kleinschmidt: Schönen guten Morgen!
Brink: Aus den Worten von Erhard haben wir ja schon so eine Sehnsucht nach dem mündigen Bürger herausgehört. Woher kam die?
Kleinschmidt: Die ist sicherlich zurückzuführen auf die Tatsache, dass Ludwig Erhard, der der Konsumgüterindustrie, aber der Konsumgesellschaft eigentlich immer ziemlich nahe stand. Er war ja seit den 30er-Jahren bei der Gesellschaft für Konsumforschung beschäftigt in Nürnberg. Der Nationalsozialismus hat sehr stark in die Konsumgesellschaft interveniert, hat sie damit gar nicht so richtig zur Entfaltung kommen lassen, das war natürlich auch kriegsbedingt.
Er wollte sich von diesen Erfahrungen lösen und eine auf liberaler Basis aufgebaute Konsumgesellschaft, Massenkonsumgesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg mit begründen. Er hat sie ja nicht begründet, aber er wollte da bestimmte Akzente setzen. Dazu gehört auch, dass der Kunde nicht nur König ist, sondern auch kundig ist, könnte man sagen, dass er ein gleichberechtigter Marktteilnehmer ist. Und das setzte voraus, dass der Kunde auch informiert ist und Informationen zur Verfügung hat.
Brink: Und das sollte die Stiftung Warentest damals leisten, also Information?
Kleinschmidt: Das kann man so sagen, das sollte die Stiftung Warentest leisten. Die Stiftung Warentest war jetzt nun beileibe nicht die erste Institution, die sich mit Fragen des Verbraucherschutzes, könnte man sagen, auseinandersetzt. Es hat in der frühen Bundesrepublik auch schon in den Ministerien, zum Beispiel im Bundesministerium für Wirtschaft oder für Landwirtschaft und Forsten Verbraucherausschüsse gegeben, die sich mit Fragen der Verbraucherpolitik, des Verbraucherschutzes beschäftigt haben. Aber da war gerade noch – Sie haben in der Anmoderation von paternalistischen Aspekten gesprochen – sehr stark die Idee, dass man den Verbraucher erziehen muss und zugleich auch schützen muss vor den Unbillen der sich nun entwickelnden Konsumgesellschaft.
Man muss sich vorstellen: Dadurch, dass während des Nationalsozialismus und auch eigentlich in der Weimarer Republik die Menschen, die nun in den frühen 50er-Jahren mit dieser neuen Massenkonsumgesellschaft konfrontiert wurden, vergleichsweise unerfahren waren. Man musste, wenn man so will, Konsumgesellschaft erst erlernen. Und in diesen Verbraucherausschüssen ging es häufig auch darum, den Konsumteilnehmer, den Konsumenten insofern zu schützen oder auch zu erziehen, als man beispielsweise darauf verwies, dass Frauen häufig ungesunde Schuhe tragen, hochhackige Schuhe, dass man das vielleicht ändern müsse und die Schuhindustrie darauf reagieren müsse, oder dass Coca-Cola ein ungesundes, weil zuckerhaltiges Getränk sei und dass man doch vielleicht mehr Süßmost trinken solle.
Der Verbraucher als souveräner Konsument
Also, das deutet darauf hin, dass es hier eher um sozusagen ein väterliches, paternalistisches Gebaren dieser Ausschüsse ging, während die Stiftung Warentest ja nun eine andere Idee hatte, nämlich die, den Verbraucher zu informieren, und zwar so, dass er Vergleichsmöglichkeiten hatte. Es ging ja dann vor allen Dingen darum, Tests durchzuführen, also Produkte der Konsumgesellschaft – Sie hatten angesprochen Kühlschränke, Fernseher und vieles andere mehr – vergleichend zu testen, sodass auf dieser Basis ein unabhängiges Urteil zur Verfügung steht, ein wissenschaftlich fundiertes Urteil zur Verfügung steht, auf dessen Basis der Verbraucher dann als souveräner Konsument in Erscheinung treten kann.
Brink: Aber die Konsumgesellschaft haben wir ja immer noch, sie hat sich ja nicht vermindert, im Gegenteil, sie hat sich eher rasant verstärkt. Die digitale Welt hat ja auch das Kaufverhalten geändert, wie hat sich das ausgewirkt auf die Stiftung Warentest?
Kleinschmidt: Die Stiftung Warentest selber arbeitet jetzt sehr stark auch im Netz, ist da präsent, kann alle diese Dinge nun auch übers Netz sozusagen sich anschauen. Das heißt, die Möglichkeiten der Information haben rasant zugenommen. Im Übrigen ist es ja auch so, dass die Stiftung Warentest nicht die Einzige ist, die Testurteile oder Vergleichsmöglichkeiten für Konsumenten, Informationen zur Verfügung stellt …
Brink: Das wollte ich doch gerade sagen, sie hat ja dann auch diesen Nimbus der Einzigkeit, also der Unbestechlichkeit, Neutralität, den hat sie doch ein bisschen verloren eigentlich?
Kleinschmidt: Bei den Kunden, bei den Konsumenten vielleicht eher nicht, da hat sie noch ein sehr hohes Ansehen, eine sehr hohe Reputation. Es gibt ja manchmal so Umfragen über Institutionen, wie hoch deren Glaubwürdigkeit ist, und das Vertrauen in die Stiftung Warentest als Unabhängige, weil ja zum Teil auch staatlich geförderte Institution ist ja noch relativ groß.
Aber es gibt natürlich in der Tat viele andere Anbieter oder Akteure auf dem Markt, wenn man so will, es hat sich ein regelrechter Verbraucherinformationsmarkt entwickelt, könnte man sagen. Und da agiert die Stiftung Warentest als einer unter vielen, wenn auch in herausgehobener Position. Aber es relativiert natürlich insgesamt in der Bedeutung ein wenig die Stiftung Warentest, das kann man sicherlich so sagen.
Brink: Es gab ja kürzlich den Fall Ritter Sport, da hat sich die Schokoladenfirma gegen ein Testurteil der Stiftung Warentest gewehrt und gewonnen. Wie einschneidend war oder ist dieses Urteil immer noch für die Wahrnehmung?
Kleinschmidt: Es ist, glaube ich, soweit ich das weiß, das erste oder zweite Urteil gewesen, was die Stiftung Warentest jetzt im Laufe ihrer 50-jährigen Geschichte verloren hat. Das hat ja gleich von Anfang an viel Kritik, auch gerichtliche Verfahren gegeben vonseiten der Anbieter, der Produzenten, vonseiten der Industrie, die sich auch häufig ungerecht behandelt fühlte oder auch grundsätzlich infrage stellte, dass so etwas rechtens sei, also bestimmte Güter vergleichend zu testen.
Ich denke, das ist ein vergleichsweise normaler Vorgang, auch eine wissenschaftliche Institution, als die sich die Stiftung Warentest ja sicherlich auch versteht, kann da mal irren. Ich glaube, was problematisch ist in diesem Zusammenhang, ist, dass man hier bestimmte Kriterien definiert hat oder eine Art Definitionshoheit über das, was zum Beispiel Naturstoffe sind, die in bestimmten Produkten, Lebensmittelprodukten enthalten sind oder nicht. Da wird es vielleicht an der Stelle ein bisschen brenzlig, bedeutet aber eigentlich auch nur …
Brink: Das erinnert mich so ein bisschen an die Schuhe, vor denen man gewarnt hat!
Verbraucherschutzgedanke vor Information
Kleinschmidt: Ja, insofern haben Sie recht, schließt sich möglicherweise ein Kreis, dass dieser Verbraucherschutzgedanke manchmal dann doch noch stärker durchschlägt als der Informationsgedanke. Der Schutzgedanke kommt ja so ein bisschen, glaube ich, auch aus der Sozialstaatstradition, man möchte die Bürger des Staates vor den Lebensrisiken schützen. Also früher, im 19. Jahrhundert, vor Krankheit, Unfall und Alter, und mit dem Aufkommen der Massenkonsumgesellschaft kommt eben die Konsumgesellschaft hinzu, vor der man den Verbraucher auch in gewisser Weise schützen muss.
Und manchmal schlägt das stärker durch als der Gedanke, ihn zu informieren und dann dem souveränen Konsumenten selber die Entscheidung zu überlassen, ob er vielleicht auch ungesunde Dinge konsumieren möchte oder nicht.
Brink: Christian Kleinschmidt, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Phillipps-Uni in Marburg. Danke, Herr Kleinschmidt!
Kleinschmidt: Ich bedanke mich!
Brink: Und wir sprachen über 50 Jahre Stiftung Warentest.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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