50 Jahre Pornografiefreigabe in Dänemark

Mit Pornografie zur sexuellen Befreiung?

08:48 Minuten
Das Bild zeigt eine Straße in Kopenhagen mit vorbeilaufenden Menschen. Auf der linken Seite ist ein Laden mit der großen Aufschrift: "Sex Porno" zu sehen.
Zum Porno-Shopping kamen in den 1970er-Jahren viele Deutsche ins liberale Dänemark. © imago images / Ritzau Scanpix
Detlef Siegfried im Gespräch mit Timo Grampes · 01.07.2019
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In den späten 1960er-Jahren pilgerten Tausende von Deutschen über die Grenze nach Dänemark. Dort hatten sie freien Zugang zu Pornografie. Die Freigabe sei Teil einer sexuellen Revolution gewesen, sagt Kulturwissenschaftler Detlef Siegfried.
Am 1. Juli 1969 legalisierte Dänemark als erstes Land der Welt die Freigabe von Bild-Pornografie – pornografische Schriften waren schon seit 1967 nicht mehr verboten. Eine Sensation, die den Blick auf das kleine Land im Norden lenkte. Viele hofften auch in Deutschland auf eine sexuelle Revolution; zugleich wurde heftig debattiert, ob die Legalisierung zu "allgemeiner Sittenlosigkeit" führen würde – von einer "Sexwelle" war die Rede.
Vor allem Deutsche pilgerten in Scharen nach Kopenhagen, das eine Zeit lang zum weltweiten Zentrum für Sextourismus avancierte. Umgerechnet um die 100 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftete die dänische Pornoindustrie 1969. 50 Prozent der in Dänemark produzierten Pornografie wurde ins Ausland verkauft – knapp ein Drittel davon nach Deutschland.

Das politische Klima in Dänemark begünstigte die Freiheit

Einschränkungen gab es in Dänemark keine, nicht einmal – aus heutiger Sicht unvorstellbar – Kinderpornografie war verboten, ein Verbot dafür wurde erst 1980 erlassen. Warum ging diese Bewegung ausgerechnet von Dänemark aus?
Kulturhistoriker Detlef Siegfried, Professor an der Universität Kopenhagen, sagt: "Das hat mit dem Kulturrelativismus zu tun, der in dem Land seit den 1920er-Jahren sehr stark verbreitet war und nach 1945 noch einmal an Kraft gewonnen hat."
Grund war das politische Klima in Dänemark: Sozialdemokraten wie bürgerliche Kräfte seien sich darin einig gewesen, dass man in einer demokratischen Gesellschaft den Kulturbegriff nicht von oben diktieren dürfe, sondern dass Vielfalt herrsche – nicht nur an Kultur, sondern auch darin, wie Menschen auf Kultur schauten. Zu diesem Kulturbegriff habe das freie Ausleben der Sexualität gehört, und das habe Pornografie miteingeschlossen.

Teil der sexuellen Befreiung?

Das beeinflusste auch das gesellschaftliche Leben in Deutschland. Viele Deutsche im Dunstkreis der Studentenbewegung oder des Underground seien "erstaunlicherweise besonders stark interessiert" gewesen, "weil sie die Vorstellung hatten, dass das ein Teil von sexueller Befreiung war und dass man das eigentlich begrüßen müsste. Wobei die Meinungen unterschiedlich waren. Es gab einen Teil, der das begrüßte, und einen anderen Teil, der sagte: Das ist ja alles nur kommerzialisierter Sex – also, das Gegenteil von dem, was wir eigentlich erreichen wollen".
Die neue Offenheit habe sich in Deutschland, wo das Pornografieverbot erst 1973 fiel, auch im Journalismus widergespiegelt, sagte Siegfried. Magazine wie "Konkret" oder "Pardon", die aus der "Szene" kamen, hätten sich stark für das Thema Pornografie interessiert. Insgesamt sei es eine Umbruchzeit gewesen, in der man viel über Verbote und Liberalisierung diskutiert habe.
(mkn)
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