50 Jahre Mondlandung

Was der Mensch im All sucht

06:36 Minuten
Ein NASA-Handout-Foto vom 20. Juli 1969 zeigt den Apollo-11-Astronauten Edwin 'Buzz' Aldrin, der auf der Mondoberfläche neben US-Flagge steht.
Ein Bild vom 20. Juli 1969: Buzz Aldrin steht vor der US-Flagge, die er mit Neil Armstrong zuvor auf dem Mond aufgestellt hat. © dpa / EPA / NASA / Neil Armstrong
Walther Zimmerli im Gespräch mit Ute Welty · 15.07.2019
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In wenigen Tagen jährt sich die Mondlandung zum 50. Mal. Was wollte der Mensch dort oben? Er wollte zeigen, dass es einen Weg gibt, wenn es den entsprechenden Willen gibt, meint der Philosoph Walther Zimmerli.

Ute Welty: Was für ein Ereignis ist das gewesen: Der ganze Weltraum im Wohnzimmer, Fernsehen live im Ersten über 28 Stunden, und wir hier im Radio, wir feiern die Mondlandung auch, und zwar die ganze Woche über.
Niemals zuvor und vielleicht auch niemals danach haben sich Menschen so sehr dafür begeistert, was technisch möglich ist und dass es nicht bei der Idee bleibt, ins All zu fliegen und auf dem Mond landen zu wollen, oder wie ein Bekannter von mir zu sagen pflegt: Machen ist wie Wollen, nur krasser.
Über den Zusammenhang zwischen Wollen und Machen denkt auch Walther Christoph Zimmerli nach, Honorarprofessor für Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin, und ihn interessiert vor allem die Verbindung zwischen Technikwissenschaft und Geisteswissenschaft. Was muss denn zusammenkommen, damit Menschen ein solches Vorhaben wie die Mondlandung tatsächlich umsetzen?

Vision, Planung, Wille und Machbarkeit

Zimmerli: Ich denke mir, dass in diesem Falle der konkrete Anlass das Gefühl einer Bedrohung war. Die USA fühlten sich durch die Sowjetunion in die Ecke gedrängt, weil sie im Kampf um den Weltraum, im sogenannten Space Race, weit zurücklagen.
Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt ist, es muss ein politischer Wille da sein. Sie sagten ja vorhin Wollen und Machen sei ungefähr dasselbe, nur Machen sei etwas krasser.
Es müssen - drittens - die geeigneten finanziellen Rahmenbedingungen vorhanden sein, und viertens, ein Punkt, der ganz wichtig ist bei diesem Abenteuer Mondlandung: Es muss eine zuverlässige wissenschaftliche Beratung vorhanden sein.
Dass Kennedy auf dem Mond innerhalb des Jahrzehnts von 1961 bis 1970 landen wollte, das war ja seine erklärte Absicht. Das ging eigentlich nur, weil er sich ausführlich mit Wernher von Braun und seiner Mannschaft unterhalten hat, die ihm dann die nötigen Ratschläge und auch die nötigen Warnungen gegeben hatten und ihn vor allen Dingen dazu gebracht hatten, nichts zu übereilen.
Ich glaube, sorgfältige Planung, eine Vision, ein politischer Wille und die technische Machbarkeit sind die Faktoren.

Vorstellung von der Machbarkeit

Welty: Inwieweit verändert ein solches Vorhaben dann auch die Geisteshaltung?
Zimmerli: Ich würde umgekehrt sagen, es ist Ausdruck einer bestimmten Geisteshaltung, und natürlich wird die verstärkt dann dadurch. Das ist die Vorstellung, dass wo ein Wille ist, auch ein Weg ist.
Es ist die Vorstellung der Machbarkeit, und es ist vor allen Dingen die Vorstellung, die wir in der Wissenschaftstheorie Wissen vom Typus eins nennen, also Wissen, das eigentlich sich um die Folgen dessen, was man mit dem Wissen anrichtet, wenig kümmert - während wir heute, glaube ich, eine andere Phase haben, und insofern sind Ankündigungen, wie wir sie analog jetzt vom derzeitigen US-Präsidenten hören, natürlich aus der Zeit gefallen.
Wir würden heute uns wahrscheinlich eher dafür interessieren zu fragen, was kann ein solches Unterfangen uns lehren im Bezug auf die negativen Folgen, die wir zu berücksichtigen haben.
Welty: Auf der anderen Seite, wenn man die Bilder von damals sieht, von den Astronauten in ihren dicken Raumanzügen, dann sind die ja kaum noch als Menschen zu erkennen und schon gar nicht als Individuen. Ist das auch ein Grund dafür, dass sich sehr viele damit identifizieren konnten, mit diesem großen Schritt für die Menschheit?
Zimmerli: Ich glaube, das ist weniger der Fall. Also man hätte sich wahrscheinlich eher gewundert, wenn man einen Menschen ohne Raumanzug auf dem Mond gesehen hätte, und das hätte vermutlich den Verschwörungstheorien noch sehr viel mehr Nachhall gegeben, abgesehen davon, dass vermutlich die Personen, die ohne Raumanzug auf dem Mond gewesen wären, das nicht sehr lange überlebt hätten.
Nein, ich glaube, das wusste jeder, dass man beim Tieftauchen und bei der Raumfahrt, schon beim Fliegen, Anzüge braucht, die Druckausgleich haben, und insofern glaube ich nicht, dass das ein wesentlicher Faktor war.

Kein Anfang, der Abschluss einer Epoche

Welty: Wie groß ist der Schritt denn tatsächlich für die Menschheit gewesen? Würden Sie sagen, '69 hat eine neue Epoche begonnen?
Zimmerli: Dezidiert nein. Ich glaube im Gegenteil, es war eher eine Art Abschluss einer Epoche. Man hat die Raumfahrt, die zum Mond führte, ja dann auch nur noch kurz weitergeführt. Ich glaube, '72 war der letzte auf dem Mond, insofern war das eigentlich kein Thema.
Ich habe schon mal Wernher von Braun zitiert. Wernher von Braun hat Kennedy sehr deutlich gesagt, auf dem Mond ist eigentlich nichts zu holen, und insofern hat das für das Selbstverständnis der Wissenschaft relativ wenig bedeutet.
Hermann Lübbe hat mal gesagt, die erste Mondumkreisung habe die Menschen etwas Hochinteressantes gelehrt, nämlich dass der Mond von hinten ungefähr so aussähe wie von vorne. Das ist, glaube ich, ungefähr der Erkenntnisgewinn, den man an der Stelle der Mondlandung zusprechen muss.
Ich glaube nicht, dass damit eine neue Epoche begann, sondern es hat eine Epoche aufgehört, und man hat sich dann mit anderen Dingen befasst nachher, und die Raumfahrt hat sehr viel konstruktivere Ziele in Zukunft gehabt.

Auf den Spuren des Go-West-Mythos

Welty: Was sucht der Mensch denn im All – den Sinn des Lebens?
Zimmerli: Ich denke mir, es gibt eine Parallele zu dem, was wir den Go-West-Mythos nennen, also den Pioniermythos, und der wird ja immer wieder angesprochen. Wenn Sie zum Beispiel die Literatur, die sich mit der Entwicklung des Internets in den 90er-Jahren befasste, sich anschauen, dann haben Sie genau solche Titel, die sagen, die neuen Pioniere, die Grenzen werden nicht nach Westen verschoben, sondern ins Digitale verschoben.
Das heißt, es gibt diesen Mythos der Pioniere, die aufbrechen, um zu neuen Ufern zu kommen, und dieser Mythos wird immer wieder wiederholt, und der ist in der Tat, glaube ich, etwas, was man anthropologisch als ein tiefsitzendes Charakteristikum des menschlichen Daseins betrachten kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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