50 Jahre Club of Rome

"Wir brauchen eine neue Aufklärung"

Ernst Ulrich von Weizsäcker, Präsident des Club of Rome International
Ernst Ulrich von Weizsäcker, Präsident des Club of Rome International © picture alliance / dpa / Sebastian Gollnow
Ernst Ulrich von Weizsäcker im Gespräch mit Ute Welty · 07.04.2018
Ernst Ulrich von Weizsäcker, Co-Vorsitzender des Club of Rome, kritisiert das herrschende Wachstumsdenken scharf. Es führe mit dazu, dass das zentrale globale Problem, die Überbevölkerung, "verniedlicht" und "verharmlost" werde.
Vor 50 Jahren wurde der "Club of Rome" gegründet, ein internationales Expertengremium, das nach Lösungen für die großen Zukunftsprobleme der Menschheit sucht.
Für den Co-Vorsitzenden des Club of Rome International, den Physiker Ernst Ulrich von Weizsäcker, ist das derzeit größte globale Problem die Bevölkerungsvermehrung. Allerdings werde dieses "verniedlicht" und "verharmlost", sagt er im Deutschlandfunk Kultur. "Das ist ein riesiger Fehler."
In den letzten 50 Jahren habe sich nicht nur die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt, so der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete. Sondern gleichzeitig habe sich der Konsum mehr als verzehnfacht und die ökologischen Bedingungen hätten sich dramatisch verschlechtert. "Und im Kern ist es überall die Überbevölkerung."

Über den Zustand der Welt und den neuen Bericht des Club of Rome "Wir sind dran" sprach Ernst Ulrich von Weizsäcker am 14. März 2018 an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Karlsruhe:

Schäden durch Wachstum werden ignoriert

In einer auf Wachstum fixierten Wirtschaft werde die Vermehrung der Weltbevölkerung jedoch nicht als Problem, sondern als "riesiger Segen" wahrgenommen: "Denn das bedeutet Wachstum, Wachstum, Wachstum. Aber dass dabei lauter Schäden zusätzlich kommen, das wird meistens ignoriert", kritisiert der Co-Vorsitzende des Club of Rome.
Vor allem im angelsächsischen Raum herrsche die Ideologie, dass in der Wirtschaft immer der Schnellste gewinne. "Auch wenn er in der falschen Richtung läuft", so von Weizsäcker. "Wir müssen dafür sorgen, dass endlich wieder Richtungssinn vorhanden ist. Dass dasjenige, das für die Enkelgeneration eine Katastrophe wäre, unterbleibt."
Notwendig sei eine "neue Aufklärung, eine neue Denkweise für die 'volle Welt', die dann endlich auf Stabilisierung und ökologische Gesundung ausgeht". Dabei müsse eine Balance zwischen Geschwindigkeit, Nachhaltigkeit und Stabilität gefunden werden.
(uko)

Was aus Sicht des Club of Rome getan werden muss, legen von Weizsäcker und sein Co-Präsident Anders Wijkman auch im ihrem neuen Bericht "Wir sind dran" dar, der im Oktober 2017 erschienen ist.


Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Heute wird in Winterthur in der Schweiz gefeiert, und zwar die Gründung des Club of Rome vor 50 Jahren. Seit 1968 macht die Organisation sich für nachhaltige Entwicklung stark. Fachübergreifend kommen kluge Frauen und Männer zusammen und zeigen die Probleme der Welt auf, und sie bieten auch Lösungsansätze an, wie auch im Bericht "Die Grenzen des Wachstums". Bis heute ist das ja so etwas wie ein geflügeltes Wort geworden. Einer der beiden Vorsitzenden des Club of Rome ist Ernst Ulrich von Weizsäcker. Guten Morgen, Herr Weizsäcker!

Ernst Ulrich von Weizsäcker: Hallo, guten Morgen!

Welty: Ich habe eben innerlich gezögert, als ich gesagt habe, heute wird gefeiert. Ist Ihnen denn nach Feiern zumute, oder wäre es Ihnen lieber, wenn der Club of Rome sich erledigt hätte, nicht mehr notwendig wäre?

von Weizsäcker: Das ist eine gute Bemerkung, da haben Sie vollkommen recht, das ist aber leider überhaupt nicht der Fall, man braucht den Club of Rome heute viel nötiger als damals.

Welty: Warum ist das so?

von Weizsäcker: In diesen letzten 50 Jahren hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt, hat sich der Konsum mehr als verzehnfacht, haben sich die ökologischen Bedingungen der Welt dramatisch verschlechtert.

1968 war "Klima" noch nicht auf der Agenda

Welty: Und daran hat die Existenz des Club of Rome nichts ändern können?

von Weizsäcker: Na ja, sagen wir mal so, wenn es den Club of Rome nicht gegeben hätte, wäre alles noch schlimmer. Dann wäre nicht einmal Aufmerksamkeit da für all die wirklich sehr schwerwiegenden Probleme. Und dann muss man auch sagen, damals, im Jahr 1968, war das Thema Klima noch nicht einmal auf der Tagesordnung, und heute ist es eines der ganz großen internationalen Probleme.

Welty: Sie haben die beiden Hauptszenarien auch schon angesprochen, mit denen sich der Club of Rome immer wieder auseinandergesetzt hat, nämlich den Verbrauch von Rohstoffen und die übervölkerte Erde. Sagen Sie inzwischen, ganz so schlimm ist es dann doch nicht gekommen, weil zum Beispiel die übervölkerte Erde ist ja so aus den Schlagzeilen einigermaßen verschwunden.

Im Kern ist es die Überbevölkerung

von Weizsäcker: Das ist ein riesiger Fehler. Das Drama der Bevölkerungsvermehrung wird verniedlicht, verharmlost und das ist das ganz große Problem. Der frühere Weltbank-Ökonom Herman Daly unterscheidet zwischen der leeren Welt und der vollen Welt, und bis vor etwa 60 Jahren hatten wir die leere Welt, also vielleicht zwei Milliarden Menschen, heute haben wir siebeneinhalb, und im Übrigen hat auch der Konsum rasend zugenommen. Das heißt, dieser Ressourcenverbrauch, die Ozeanverschmutzung, die Klimaverschmutzung und ich weiß nicht was alles, hat dramatisch zugenommen, und im Kern ist es überall die Überbevölkerung.

Welty: Welche Rolle spielt das Wirtschaftssystem, das auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist, und wie groß ist die Chance, daran etwas zu ändern?

von Weizsäcker: Also wenn man nur an Wirtschaftswachstum denkt wie die meisten Journalisten, Politiker und Wirtschaftsführer, dann ist natürlich Vermehrung der Weltbevölkerung ein riesiger Segen, denn das bedeutet Wachstum, Wachstum, Wachstum. Aber dass dabei lauter Schäden zusätzlich kommen, das wird meistens ignoriert. Das muss endlich anders werden. Dazu ist der Club of Rome auch heute gut, wir haben in einem Buch, das den deutschen Titel hat "Wir sind dran" geschildert, dass das heutige sogenannte Anthropozän, also die volle Welt, mit einer falschen Denkweise ausgerüstet ist. Wir brauchen dringend eine neue Aufklärung, eine neue Denkweise für die volle Welt, die dann endlich auf Stabilisierung und ökologische Gesundung ausgeht.

Welty: Wir sind dran im Sinne von wir sind die Nächsten oder wir sind dran im Sinne von, wir sind an dem Thema dran?
von Weizsäcker: Ganz bewusst ist der Titel, den übrigens der geniale Verlag Gütersloher Verlagshaus erfunden ist, der ist schillernd. Der heißt einerseits, wir sind jetzt an der Reihe, und andererseits, wenn wir es dumm machen, dann sind wir dran.

"Eine Art von Selbstmordprogramm"

Welty: Sie sprechen im Rahmen des Festaktes über die bislang ungenannten Gründe für die globale Krise. Welche Gründe sind denn tatsächlich in den vergangenen 50 Jahren noch nicht präzise und bis ins Detail beschrieben worden?

von Weizsäcker: Also eines ist, was auch Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato Si sagt: Eine auf Geschwindigkeit, Geiz, Selbstsucht und so weiter basierende Ökonomie, das ist eine Art von Selbstmordprogramm. Wir müssen dafür sorgen, dass in der Wirtschaft nicht immer der Schnellste gewinnt. Das ist aber heute die Grundideologie, insbesondere im angelsächsischen Raum, es muss immer der Schnellste gewinnen, auch wenn er in der falschen Richtung läuft. Und wir müssen dafür sorgen, dass endlich wieder Richtungswind vorhanden ist, dass dasjenige, was für die Enkelgeneration eine Katastrophe wäre, unterbleibt und nicht so gemacht wird, dass wieder der Schnellste gewinnt.

Welty: Was ist heute besser als vor 50 Jahren?

von Weizsäcker: Zum Beispiel, vor 50 Jahren war es noch empirisch absolut zutreffend, je mehr Industrieproduktion, desto schmutziger wird die Welt. Dies ist überwunden. Wir haben heute Emissionsschutzgesetze, Wassergüte und ich weiß nicht was alles, die eine Abkopplung des Wirtschafts- und des Industriewachstums von der lokalen Verschmutzung bewirkt hat. Allerdings in puncto Klima, in puncto Bodenqualität, in puncto biologische Vielfalt hat diese Abkopplung noch überhaupt nicht funktioniert.

Welty: Anfangs ist der Club of Rome ja eher belächelt worden, inwieweit ist es inzwischen leichter, sich Gehör zu verschaffen, weil er eben eine etablierte Einrichtung ist?

von Weizsäcker: Na ja, also dieses Buch "Wir sind dran", das verkauft sich glänzend, das kann man in den Buchhandlungen finden, und viele Leute fangen an, uns zu schreiben. Das ist ja großartig, da ist ja von der Digitalisierung über die Globalisierung, über die entfesselten Finanzmärkte, über die ökologischen Probleme all das gesagt, was heute gesagt werden muss, und ist eine Art von Rezeptbuch für eine Welt, die entschlossen ist, dass es auch den Enkeln besser gehen soll.

Die Balance zwischen Schnelligkeit und Nachhaltigkeit finden

Welty: Und wie alle guten Rezepte beginnt es mit "Man nehme …"?

von Weizsäcker: Na ja, also das geht nicht alles so in einem Satz zu sagen. Natürlich kann man immer sagen, man nehme Vernunft, das war ja auch die Aufklärung von Immanuel Kant vor 250 Jahren, aber heute geht es um eine neue Aufklärung für die volle Welt, wo zum Beispiel Balance eine größere Rolle spielt als Rechthaberei. Das ist einer der zentralen Punkte. Wir müssen in unserer Zivilisation lernen, wieder Balance zu finden, zum Beispiel zwischen Geschwindigkeit und Nachhaltigkeit und Stabilität.

Welty: Ernst Ulrich von Weizsäcker begeht heute mit seinem Ko-Vorsitzenden und vielen Mitgliedern einen besonderen Jahrestag, nämlich den der Gründung des Club of Rome vor 50 Jahren. Herr von Weizsäcker, haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch, das wir aus Termingründen aufgezeichnet haben!

von Weizsäcker: Ich danke meinerseits!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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