Radio für die Bundeswehr

"Wenn das G36 krumm schießt, ist das auch ein Thema"

Moderator Thorben Pfeifer und Antonio Orlob sitzen in der Regie von Radio Andernach auf einem Tisch.
Logo des Soldatensender Radio Andernach: Gesendet wird für Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz. © picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini
Von Nana Brink · 11.12.2018
Radio Andernach sendet aus Afghanistan, Somalia oder Rheinland-Pfalz. Es ist ein Programm für die 3550 Soldaten im Auslandseinsatz. Im Jahr 2018 klingt der Truppenbetreuungssender gut gelaunt und sieht sich nicht nur als Sprachrohr der Bundeswehr.
On Air: "Das ist das Einsatzradio, Radio Andernach, live aus dem Studio in Deutschland. Einen wunderschönen Tag liebe Kameraden, ich hoffe, Sie sind gut reingekommen in diesen Kontingenttag, neue Kontingentwoche."

Montagmorgen bei Radio Andernach. Ein fröhlicher Moderator, Mainstream-Musik. Ein gewöhnliches Sende-Studio. Schaltpult, Rotlicht, flackernde Bildschirme. Nur: Die Radiomacher sehen anders aus, tragen Einheitskluft und schwere schwarze Stiefel.
Eine der Moderationen aus dem laufenden Programm: "Und das waren die Nachrichten. Die Zeit in Afghanistan, es ist 12:34 Uhr, dann bleiben wir noch direkt in Camp Mamal und hören mal bei Rene nach, wie das Wetter heute wird in Kabul und in Kunduz. Ich bin der Hauptmann Thorben Pfeifer und ich führe durch die Vormittagssendung hier im Programm, vier Stunden lang, das Neuste aus der Bundeswehr, viel aktuelle Berichterstattung, die wir mit dabei haben, und natürlich die beste Musik für den Einsatz."

Uniformiert, aber in lockerer Ansprechhaltung

Moderator Thorben Pfeifer trägt Uniform, die oliv-grüne Flecktarn-Uniform der Bundeswehr. Wie alle bei Radio Andernach. Der Ton ist zwar flapsig, aber man ist immer noch in einer Kaserne. Seit 2001 sendet Radio Andernach aus dem rheinland-pfälzischen Mayen in die Welt. Oder besser gesagt: In bestimmte Regionen. Im Studio von Thorben Pfeifer stehen drei Uhren mit drei unterschiedlichen Zeiten.
On Air: "Überall dort, wo deutsche Soldaten im Einsatz stationiert sind, kann man uns hören, teilweise über UKW-Frequenz, teilweise digital, von Afghanistan über den Irak bis nach Mali. - Allerbesten Dank und dann machen wir mal einen Abstecher an das Horn von Afrika zum Einsatz Atalanta, 31 Grad und wir grüßen alle Marine-Uniformträger ganz ganz herzlich, das wars erstmal vom Einsatzwetter."

"Das ist auch für mich als Moderator nicht so leicht, in Afghanistan haben wir jetzt Mittagszeit – die Uhr sehen wir da vorne - , in Mali ist es zehn vor acht und darauf muss man eben auch eingehen, auf die unterschiedliche Lebensrealität der Leute vor Ort, ja sich da mit einigermaßen viel Empathie drauf einzustellen, ist wichtig, auch dass man kein schönen Wochenende im klassischen Sinne wünschen kann, wenn man am Freitag hier raus geht, denn im Einsatz gibt es kein Wochenende."

Nur "Dienstunterbrechung", so nennt sich ein freier Tag im Bundeswehr-Jargon. Radio Andernach sendet rund um die Uhr und ist auch in Deutschland zu hören. Allerdings nicht für jedermann, wie der Chef vom Dienst, Hauptmann Antonio Orlob erklärt.
"Radio Andernach können alle Bundeswehrangehörigen – alle Soldatinnen und Soldaten, alle zivilen Mitarbeiter sowie deren Angehörige hören. Ich kann es per Livestream im Internet hören, aber auf Grund des Rundfunkstaatsvertrages in Deutschland dürfen wir nicht frei senden in Deutschland".
Moderator Thorben Pfeifer und Antonio Orlob sitzen in der Regie von Radio Andernach auf einem Tisch.
Moderator Thorben Pfeifer und Antonio Orlob© Deutschlandradio / Nana Brink

Nicht jeder kann das Programm hören

Runkfunk muss – laut Staatsvertrag - staatlich unabhängig sein. Radio Andernach gehört zum Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr – und untersteht somit einer staatlichen Einrichtung. Als Chef vom Dienst segnet Antonio Orlob jede Meldung ab, die On Air geht. Beim Wort Zensur allerdings heben Hauptmann Antonio Orlob und Moderator Thorben Pfeifer gern dezent eine Augenbraue. Zensur? Das sei von gestern.
"Wenn das G36 krumm schießt und wenn das ein Thema in der deutschen Presse ist, dann ist das auch ein Thema in den Nachrichten von Radio Andernach. Ich bin definitiv kein Journalist, ich bin Soldat und natürlich trage ich diese Uniform und bin damit auch meinem Dienstherren weiterhin zu Loyalität verpflichtet, aber nichts desto trotz berichten wir auch relativ kritisch über die Bundeswehr, da rührt ja auch unsere Authenzität her, da wird’s nicht verschwiegen oder schön geredet, das sind wir unseren Hörern auch schuldig".
Und damit das auch den Hörer erreicht, hat sich die Rundfunkkommission auf eine Sonderregelung für Radio Andernach geeinigt.
"Deshalb gibt es diesen Internetstream, wo man sich anmelden kann auf der Internetseite und dann muss man angeben, dass man Soldat der Bundeswehr ist oder im Einsatz ist, oder Angehöriger und dann prüfen wir das und schicken die Zugangsdaten raus und dann kann man uns hören."
On Air: "Es ist 9 Uhr in der Heimat, Bundeswehr, Deutschland und die Welt, Berlin: Nachrichten".
"Dpa und auch von anderen Nachrichtenseiten, da gucke ich dann, berichten die darüber, und entscheide dann, ob es auch für uns Relevanz hat. Bei uns ist ein Unterschied, wir haben als erste Meldung immer die Bundeswehrmeldung, dann Deutschland und die Welt".
Julia Fein ist heute Nachrichten-Redakteurin und - Hauptfeldwebel, wie sie sagt, eine von 64 Soldaten und Soldatinnen, die bei Radio Andernach arbeiten. Man sieht den Dienstgrad nicht nur am Schulterstück, man hört ihn auch.
On Air:"...so ähnlich hat es auch der Hauptfeldwebel Christoph gemacht und was er zu sagen hat, das hören wir jetzt. Für uns als Radio Andernacher ist es immer eine Herzensangelegenheit, Grüße in die weite Welt zu schicken, denn das ist das, was uns ausmacht, Radio Andernach, Ihr Betreuungssender ist für Sie da, auch für die Lieben zu Hause."

Früher auf Kassetten, heute live aus dem Einsatzgebiet

On Air: "Radio Bundeswehr 1, Sie hören Nachrichten. Politiker von SPD und FDP sind heute unter Leitung von Bundeskanzler Helmut Schmidt zu Koalitionsverhandlungen zusammengetreten. - Dann lässt Funker Bohrmann wieder den Plattenteller rotieren."
Seit 44 Jahren produziert Radio Andernach Sendungen. Zuerst auf Audiokassetten, die an die Soldaten auf Truppenübungsplätze wie ins texanischen El Paso geschickt wurden – nicht selten über 2000 Stück. Der erste große Auslandseinsatz der Bundeswehr in Somalia 1993 bedeutet das Ende der Kassetten-Ära. Radio Andernach geht morgens und nachmittags live auf Sendung.
Weitere Einsätze auf dem Balkan folgen. Bis heute kommt die Frühsendung nicht aus Mayen, sondern live aus Afghanistan. Mit Nachrichten, Musik – und Grüßen.
On Air: "Das Einsatzradio, live aus dem Studio in Masar-e Scharif. Ich weiß, dass mein Bruder manchmal an Weihnachten nicht da sein kann, weil der in einen Auslandseinsatz muss und ich bin hier, weil ich den Soldaten, die dieses Jahr an Weihnachten im Auslandseinsatz sind, Grüße übermitteln möchte."
On Air: "Hallo Radio Andernach, Mazar-e Scharif, die Caro am Apparat, ja hier ist der Antonio, schöne Grüße aus Mayen nach Afghanistan, wie geht’s Euch? Uns geht’s gut, wir haben alles gut überstanden. Sag noch mal kurz, was ihr heute in der Sendung hattet? Wir hatten heute morgen die Brexit-Töne, zusätzlich Sport, Bundesliga. Caro vielen lieben Dank. Wir hören uns morgen früh, tschüs!"

Jeden Morgen telefoniert Hauptmann Antonio Orlob, Chef vom Dienst, vom Studio in Mayen aus mit den Kollegen in Afghanistan. Routinebesprechung: Welche Themen sind für die Hörer in Afganistan relevant?
"Was ist in der Politik los, wie war die Bundesliga am Wochenende, relevante Informationen, mit Musik, kleineren Gewinnspielen, bisschen zu motivieren, bisschen abzulenken vom Einsatzalltag, komm, abschalten, ich mache mein Lieblingslied laut und es geht wieder weiter."
"8 Uhr MEZ fangen wir hier an, vorher sendet Afghanistan 3 ½ Stunden, die klassische Morning Show aus dem Einsatzland und wir beginnen um 8 Uhr mit der Sendung. Bis 9 Uhr bekommen wir auch die Nachrichten aus Afghanistan zugeliefert, bevor dann unser Nachrichtensprecher um 10 Uhr das erste Mal auf Sendung geht, da ist die Zusammenarbeit relativ eng, über die 7000 Kilometer hinweg".
Moderator Thorben Pfeifer sitzt im Sendestudio von Radio Andernach neben einem Weihnachtsbaum.
Weihnachten wird auch im Sendestudio dekoriert.© Deutschlandradio / Nana Brink

Moderatoren wollen nah an der Truppe sein

Ab 9 Uhr füllt sich das Studio in Mayen langsam. Nachrichten-Redakteurin Julia Fein kommt gerade aus dem Studio, - als plötzlich ein Radio-Kollege auftaucht. Er trägt noch die sandfarbene Uniform aus dem Einsatz.
"War ein emotionales Wiedersehen? Warst du im Stadion? Direkt mal 40.000 Leute nach viereinhalb Monaten Lagerkoller. Das Schlimmste war der Zug, Menschen."
Die Rückkehr nach einem Einsatz ist für viele nicht leicht. Die Kameraden bei Radio Andernach wissen das, - aus eigener Erfahrung. Plötzlich kann man sich wieder frei bewegen. Zum Bäcker gehen. Ins Studio fahren.
"Bei uns macht jeder alles, jeder ist Nachrichtensprecher, ausgebildeter Moderator, jeder führt Interviews, macht Beiträge, macht Grüße, Allrounder, auch im Einsatz, ich war schon zweimal im Einsatz, im Kosovo und in der Türkei. Aber es hilft natürlich, unser Claim ist: Soldaten senden für Soldaten! Das heißt wir wollen Teil der Truppe sein, wir wollen nachempfinden können, wie geht’s denen, wie können wir denen ne Freude machen und deshalb ist es notwendig, dass wir auch mal in den Einsatzgebieten sind und Präsenz zeigen. Hallo wir wollen für Euch da sein! Ist enorm wichtig".
"Man ist hier wahnsinnig nahe dran, vor allem an den Hörern, wahnsinnig viele Emotionen, die uns da übermittelt werden, und ich habe es immer als großes Privileg empfunden, wenn uns beispielsweise dann angetragen wird, ich würde da gerne einen Heiratsantrag übers Radio machen, und wir dürfen dann mit live dabei sein, bei sehr sehr privaten Dingen, vom Einsatz in die Heimat und auch in die andere Richtung und da muss man auch eine gewisse soziale Empathie einfach mitbringen."
Nicht nur das. Auch Fachwissen. Pia Dunkel ist Oberfeldwebel und seit vier Jahren dabei.
"Also diese Woche bin ich dran mit der Spätmoderation, also live aus Deutschland, wie der Kamerad, der Hauptmann Pfeifer, und auch vier Stunden On Air, also ich habe Mediengestalter Bild und Ton gelernt, und dann haben sie gesagt, Sie haben übrigens einen Platz bei Radio Andernach, das war natürlich immer so ein geheimer Wunsch."

Vor Weihnachten wird es beim Sender emotional

Zusätzlich zum Sprech- und Moderationstraining absolvieren die Radio Andernacher Praktika bei Nachrichtenagenturen und Rundfunksendern. Aber sie bleiben immer Soldaten. Wenn man Thorben Pfeifer fragt, ob er sich als Journalist sieht, gibt er eine klare Antwort.
"Ich bin aus Leib und Seele Radio Andernacher, und das bleibt man auch über seine Zeit hier hinweg, aber in erster Linie bin ich Soldat, aus Überzeugung, daher geb‘ ich dann die Kopfhörer ab, aber die Uniform behalte ich an".
Für Früh-Moderator Thorben Pfeifer sind es die letzten Wochen bei Radio Andernach. Als Offizier wechselt er alle drei Jahre seinen Dienstort. Seine Kollegin Oberfeldwebel Pia Dunkel bleibt noch.
"Also ich finde, hier, wo es um Medien geht, sieht man schon ein paar mehr Frauen als sage ich mal in der Infanterieschule in Hammelburg, also ich habe jetzt in den letzten Jahren nicht so das Gefühl, mich so speziell durchsetzen zu müssen".
"Dass man nur Soldaten sagt? Und nicht Soldaten und Soldatinnen? Also ich persönlich finde das ein bisschen kleinkariert. Ich würde das jetzt eher neutral sehen, wenn man jetzt anfangen würde und immer von Soldaten und Soldatinnen und Kameraden und Kameradinnen zu sprechen, dann kommt man doch gar nicht mehr zum Punkt!"
Selten haben Radiomacher ein so homogenes Publikum: 3550 Soldaten im Einsatz und ihre Angehörigen. Und damit das Programm auch ankommt, wird Radio Andernach im Einsatz – also zum Beispiel in Afghanistan – über eine UKW-Frequenz verbreitet, denn die Internetnutzung ist oftmals begrenzt. Bei aller lockeren Atmosphäre allerdings ist klar: Hier wird nichts gesendet, was die Soldaten im Einsatz gefährden würde. Dann lieber Mainstream-Musik und – Grüße, das Alleinstellungsmerkmal von Radio Andernach. Durchschnittlich 3000 im Jahr.
"Finja, wenn Du soweit bist, wollen wir mal starten? Ja. Okay cool. Mein Name ist Finja und ich bin elf Jahre alt. Mein Bruder Dennis ist auch Soldat."
Die elfjährige Finja sitzt schüchtern im Studio und hält ein schon etwas verknittertes Blatt in der Hand. Sie ist zusammen mit iher Mutter Bianca Heckel gekommen.
"Finja liebt ihren Bruder über alles und für sie wäre das Schlimmste, wenn er Weihnachten nicht da wäre, sie weiß aber auch, dass auch er in einen Auslandseinsatz gehen muss, und dann kam die Idee, einfach die Soldaten im Auslandseinsatz zu grüßen, die Weihnachten nicht hier sind. Sagst Du mal ein Sätzchen, einfach nur vorlesen. Liebe Soldaten. Das passt! Immer schön am Mikro bleiben. - Ich wünsche Euch den nötigen Mut, die Aufgaben zu bewältigen, ich wünsche euch viel Kraft und Ausdauer, ich wünsche Euch, dass ihr wieder gesund zu euren Familien und Freunden nach Hause kommt."
Beim letzten Satz wird es einen Moment sehr still im Studio. Bis Hauptmann Antonio Orlob bekennt:
"Egal wie oft ich mit meiner Frau WhatsApp schreibe, wenn ich dann mal so einen Radio-Gruß bekomme, ihre Stimme im Radio, dann ist das auf der emotionalen Leiter noch mal viele Schritte darüber! Was ganz besonderes."
On Air: "Das ist das Einsatzradio, Radio Andernach, es ist 9 Uhr in der Heimat. Die Nachrichten: Bundeswehr, Deutschland und die Welt."
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