40 Jahre Zürcher Theaterspektakel

Ein Kunstfest halb Zirkus, halb Performance

06:13 Minuten
Besucher des Zürcher Theater Spektakels verfolgen die Vorführung eines Strassenkünstlers auf der Landiwiese in Zürich.
Lebensfrohe Atmosphäre beim Festival: Einer der vielen Straßenkünstler beim Zürcher Theater Spektakel © picture alliance / KEYSTONE / Ennio Leanza
Von Susanne Burkhardt · 31.08.2019
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Es gibt kaum einen idyllischeren Festivalort als das Zürcher Theater Spektakel. Seit 40 Jahren findet das Kulturfest für alle nun schon statt. Diesmal kehrt mit dem südafrikanischen Künstler William Kentridge ein früher Gast an den Zürichsee zurück.
Als William Kentridge, international gefeierter Künstler aus Südafrika, Mitte der 80er-Jahre das erste Mal nach Europa kam, erschien ihm Zürich wie eine Party-Stadt: überall Restaurants am See, Zelte und Menschen, die schwimmen.
"Ich dachte, alle Theaterfestivals in Europa wären so", erinnert er sich. "Halb Zirkus - halb Performance. Alles war so offen und lebensfroh, so völlig anders als das, was ich aus Johannesburg kannte. Eine Idee, wie die Welt sein könnte."
Eine "Idee, wie die Welt sein könnte" – vermittelt damals, in den 80ern noch in drei Zirkuszelten und einer alten Fabrik – direkt am Zürichsee, auf den Landiwiesen. Dort stehen heute mehrere Gebäude. Zelte und Restaurants gibt es immer noch. Und eben diese besondere Mischung.

Ein Festival, zwei Welten

"Es gibt zwei Welten", sagt Festivalleiter Matthias von Hartz. Seit zwei Jahren plant er das Programm fürs Zürcher Theater Spektakel: "Es gibt die Welt, die hier der Ort, der Platz, die Landiwiese am See ist. Die andere Welt sind die Shows auf den Bühnen. Ich denke, das heißt Theater Spektakel, weil Theater ist das eine, und das andere ist das Spektakel. Aber das funktioniert in der Kombination sehr gut."
Der Spektakel-Teil des Festivals – umsonst und draußen – das sind die Zauberer, Clowns und Akrobaten, die wichtige Arbeit in Sachen Nachwuchsförderung leisten. Für manche findet hier die erste Begegnung mit dem Theater statt.

Als Reaktion auf die Jugendunruhen gegründet

In der Roten Fabrik herrscht Konzentration und Ausgelassenheit gleichzeitig: Die Schweizer Theatergruppe Kolypan lässt Michael Endes "Unendliche Geschichte" lebendig werden – eine Geschichte, die so alt wie das Festival.
Auch nach 40 Jahren ist die Frage, was wir Menschen ohne Fantasie wären, noch immer aktuell. Und wird hier so fantasievoll und hinreißend auf Schweizerdeutsch verhandelt, dass das junge Publikum begeistert mitgeht.
Begründet wurde das Festival vor vier Jahrzehnten als Reaktion auf die Zürcher Jugendunruhen, als eine Art gegenkulturelle Einrichtung zu den Schauspiel- und Opernhäusern.
Daher versteht sich das Zürcher Theater Spektakel immer auch als politisches Festival und zeigt Produktionen, wie das australische Stück "We all know what's happening" – entstanden aus einem Workshop zu Kunst und Menschenrechten: Die unendliche – und unglaubliche Geschichte der Pazifik-Insel Nauru.

Kinder beschweren sich bei Australiens Regierung

Australische Kinder erzählen von diesem Ort, der seit Jahren dem australischen Staat als Flüchtlingslager dient, um sich unerwünschte Einwanderer vom Leib zu halten. Mit einfachen aber sehr berührenden Mitteln berichten die Kinder von der Absurdität und Tragik dieser Insel und finden so ein Ausdrucksmittel für die eigene Ohnmacht angesichts der Ungerechtigkeiten, die andere Kinder erleben müssen.
Während der Zusammenarbeit ist ein Bewusstsein entstanden - so Regisseurin Samara Hersch: Ein Bewusstsein, dass man etwas tun kann, Aufmerksamkeit erreichen zum Beispiel und der eigenen Regierung sagen, was ihnen – den Kindern - nicht passt. Theater auch als Plattform der Wissensvermittlung.
Wie aber vertragen sich in diesem paradiesischen Ambiente die ernsten Themen, wie sie Samara Hersch und andere internationale Gäste wie Needcompany oder William Kentridge auf die Bühne bringen? Festivalleiter Matthias von Hartz sieht darin keinen Widerspruch: "Es gelingt uns, Leute für politische Themen für avantgardistische Formen zu interessieren, die sonst auf keinen Fall hingegangen wären. Also, es ist ein Lockmittel mit dem man Leute für zeitgenössische Kunst interessieren kann."

Ein früher Gast kehrt zurück

Zum Ende des Festival kehrt an diesem Wochenende der südafrikanische Künstler und frühe Gast William Kentridge noch einmal zurück. Hier in Zürich, wo vor mehr als 100 Jahren Dada entstand, performt er Schwitters "Ursonate" – die heute wie der Ursprung des Beatboxens anmutet. Mit seinen politischen "Drawing Lessons" zur Kolonialzeit erinnert Kentridge daran, wie wichtig es ist, voneinander zu erfahren und sich an Festivals wie diesem zu begegnen. So wie damals, als er zur Zeit der Apartheid das erste Mal mit einem Ensemble aus schwarzen und weißen Künstlern in die Schweiz kam.
"Viele haben damals erstmals ihr Land verlassen", erzählt er, "und erlebt, dass sie in ein Restaurant gehen konnten, ohne sich zur fragen 'Darf ich das jetzt?' - weil ich nicht weiß bin. Dieses Zusammensein, außerhalb der Spannungen in Südafrika, das war für die Kompanie wie ein utopischer Moment - als würde man frische Luft atmen."
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