40 Jahre Einstürzende Neubauten

Antithese zur netten, bunten Hippiewelt

05:48 Minuten
Eine historische Aufnahme der Band "Einstürzende Neubauten" aus Berlin.
Die Einstürzenden Neubauten in ihrer Anfangszeit. Inzwischen sind sie ältere Herren, aber immer noch wild. © picture alliance / kpa
Von Philipp Kressmann · 01.04.2020
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Rauschhafte Krachorgien waren immer ihr Markenzeichen. Vor 40 Jahren gaben die Einstürzenden Neubauten ihr erstes Konzert. Eines ist der Band um Sänger Blixa Bargeld seither geblieben: die konsequente Abgrenzung zum Mainstream.
Westberlin 1980. Im Hohlraum einer Autobahnbrücke entsteht "Für den Untergang", die erste Single der Einstürzenden Neubauten. Der Ansatz des Bandbegründers und Sängers Blixa Bargeld: Die urbane Umgebung als Klangquelle nutzen. Im dunklen und engen Raum stampft die Band auf Metallboden.

Das Motto: "Wer sich am kommerziellen Musikgeschmack orientiert, dient der Reaktion". Auf dem 1981 veröffentlichten Debütalbum "Kollaps" wird mit Sägen, Hämmern und Bohrern musiziert. "Wir hatten ja nicht einmal einen Toningenieur. Uns wurde nur gezeigt, wo man auf Aufnahme drückt und wo man die Mikrophone reinsteckt und so weiter", erinnert sich Bargeld. "Das war ein Sprung ins kalte Wasser. Das war es in anderer und in musikalischer Hinsicht auch. Während wir vorher tatsächlich noch ein reales Schlagzeug und ein reales Metallschlagzeug hatten, löste sich da dann alles auf. Das wurden alles Einzelteile."

Inspiration für Depeche Mode

Diese anarchistische Neudefinition von Musik ist Antithese zur bunten Hippiewelt. Dadaistische und schreiend vorgetragene Texte über Zerfall und eine Hirnsäge wirken apokalyptisch. Titel wie "Schmerzen hören" bewegen sich an der Grenze zum Krach.

Heute ist das Kreieren von Sounds durch Gegenstände gängige Praxis. Die Einstürzenden Neubauten waren dafür Wegbereiter und prägend für Genres wie Industrial, aber auch Techno und Elektropop. Auch für die britische Band Depeche Mode waren sie Inspiration. Ab 1983 haben sich ihre Klangexperimente noch einmal radikalisiert.
Später gewinnt das Chaos an Struktur, denn Wiederholung ist der Feind. Die Musik wird rhythmischer, das Songwriting poetischer. Die Band ist nun auch an Theaterarbeiten beteiligt. Mitte der Neunziger outet sich Blixa Bargeld musikalisch als Romantiker.

Stilistische Grenzen überschreiten

Die Einstürzenden Neubauten erinnern bis heute daran, dass stilistische Grenzen da sind, um überschritten zu werden. Auch aktuelle Sub- und Popkultur zehrt von der irritierenden Ästhetik der Neubauten.
Revolutionär war auch der Schritt, ab 2002 nur noch auf Crowdfunding zu setzen - der Begriff existierte damals noch gar nicht. Durch Unterstützer wurde auch das neue Album "Alles in Allem" finanziert. Es geht um Träume und Erinnerungen an Berlin, ohne zu verklären. Dort und anderswo lässt man die Band für ihren Instrumentenbau zwar nicht mehr auf Schrottplätze. Aber die Klangforschung geht weiter, etwa mit riesigen Plastikkanistern, wie der Instagram-Kanal der Band beweist

Am 15. Mai bringen die Einstürzenden Neubauten ihr neues Album "Alles in Allem"* heraus.
Das ursprünglich für den 20. April 2020 geplante "The Year of the Rat"-Konzert der Band im Berliner Konzerthaus ist aus aktuellem Anlass auf den 21. September 2020 verschoben worden.

*Wir haben hier eine falsche Angabe korrigiert.
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