35 Jahre Arbeit, 700 Euro Rente

Von Johannes Nichelmann · 13.06.2013
Angesichts zunehmender Altersarmut haben die Sozialverbände diese Woche Alarm geschlagen: Fast jede zweite Rente hat 2012 weniger als 700 Euro betragen. Wie kann man damit leben? Unser Autor hat eine Berlinerin getroffen, die ganz offen über die Not im Alter spricht.
"Naja, am 20. haben wir noch 50 Euro und dann müssen wir warten, bis am 29. oder 30. die Rente kommt."

Hannelore Janke, 61 Jahre alt, sitzt im Wohnzimmer ihrer Berliner Wohnung - einem schnörkellosen 50er-Jahre-Bau im Stadtteil Neukölln. Auf einem alten Buffet, dekoriert mit Häkeldeckchen und Porzellanfiguren, tickt eine Uhr. Auf dem Esstisch steht eine rote Thermoskanne mit Kaffee, daneben ein Süßstoffspender. Hier lebt Frau Janke mit ihrem Mann - beide sind Rentner. Die ehemalige Krankenpflegerin musste schon vor einigen Jahren aufhören zu arbeiten. Wegen der Gesundheit. Auch Ihr Mann ist gesundheitlich angeschlagen - er war einmal Fleischer.

"Mein Mann hat 45 Jahre gearbeitet. Da kriegt der 692 Euro Rente. Na, das kann doch nicht wahr sein. Und die Miete kostet ja schon 595. Was bleibt denn da noch übrig?"

Abzüglich der 60 Euro für Strom und knapp 30 Euro für Versicherungen nicht viel. Sie lehnt sich zurück und rechnet weiter vor. Nach 35 Arbeitsjahren hat die Berlinerin Anspruch auf 491 Euro Rente. Das Sozialamt gibt 128 Euro Grundsicherung oben drauf. Da sie zuckerkrank ist, erhält Frau Janke von der "Caritas" noch einen Zuschuss zu den Medikamenten. Das geht schon, sagt die Rentnerin, man muss nur sehr gut haushalten können. Zu Zeiten ihrer Berufstätigkeit waren mal ein paar Extras drin - jetzt im Alter ist das undenkbar.

"Man ist in den Urlaub gefahren. Man hat Veranstaltungen mitgemacht. Man ist mal essen gegangen. Man ist mehr unter Leuten gewesen. Jetzt schirmt man sich so ein bisschen ab. Außer die Familie noch, die dann mal ein Care-Paket mitbringt. Ja. Man zehrt von diesen Tagen, wo man mal alles besser genossen hatte."

Der letzte Kinobesuch ist lange her
Darüber, wann sie und ihr Mann das letzte Mal im Kino waren, möchte sie lieber nicht reden. Hannelore Janke holt einen Zettel hervor, macht sich Notizen für den Einkauf. Sie notiert: Aufschnitt, Kartoffeln und Duschzeug. Zu Beginn der Woche wird genau geplant, was eingeholt werden kann. Dazu studiert sie genau die Sonderangebote. Früher hat das Geld immer gereicht, erzählt sie währenddessen: Schließlich haben wir keine Kinder versorgen müssen - der Traum vom Nachwuchs blieb unerfüllt.

"Da danke ich heute Gott drüber. Obwohl ich immer eine Fußballmannschaft haben wollte. Ich könnte denen gar nichts schenken. Ich würde vielleicht von ihm zehren. Das wäre ein bisschen traurig."

Mit ihrem Einkaufstrolley ziehen Hannelore Janke und ihr Mann zweimal die Woche los. Nur heute ist sie alleine - Herr Janke ist krank.

"Jetzt gehts um die Ecke zu 'Netto'."

Auf dem Weg zum Supermarkt zeigt die 61-Jährige auf das Ende der Straße - dort leuchten die bunten Werbetafeln eines großen Kaufhauses.

"So wahllos, so wie andere - mal zu Karstadt Shopping da so und da mal ein bisschen oder so... Man guckt zwar, dahinten am Herrmannplatz bei Karstadt, aber dann geht man auch wieder raus. Man muss ja auch wissen, was es mal für einen neuen Stand gibt. Ja, dass man mitreden kann."

Mehr als 30 Cent darf der Joghurt nicht kosten
Beim Discounter. In dem großen Einkaufswagen liegt eine Schachtel mit Käse für 99 Cent. Sie weiß genau, wo sie im Kühlregal hingreifen muss, um die billigen Sachen zu finden. Hannelore Janke packt zwei Joghurtbecher ein.

"Und dann gibt es eben Joghurt. Nicht so teuer. Mehr als 30 Cent darf es nicht kosten. Bio sowieso nicht. Margarine statt Butter. Butter gibt es nur, wenn Besuch kommt. Und das wird dann wie ein goldener Apfel behandelt."

Am Ende landet auch eine Schachtel mit abgepackter Salami in dem Wagen. Für ihren Mann, der früher Fleischer war, ist das schlimm, sagt sie: Eigentlich waren wir immer Qualität gewohnt. Doch das ist nicht mehr drin. Ein Schulterzucken und dann geht es zur Kasse. Hannelore Janke hat längst überschlagen, was auf sie zukommt.

"Na sagen wir mal, jetzt so ungefähr 36, 38 mit die Brause. Bisschen Wurst, Käse. Pfund Kaffee..."

Auf dem Weg zurück nach Hause. Hannelore Janke erzählt, dass am Ende des Monats immer ein 50er übrig bleiben muss - falls mal was passiert. Eigentlich brauchen sie und ihr Mann nach 25 Jahren eine neue Matratze. Monatelang müssen sie dafür aber noch sparen. Hätte ich gewusst, dass es mal so kommt, sagt die Rentnerin, hätte ich vieles anders gemacht:

"Ich hätte das dann ein bisschen gebunkert, was. Dass man dann im Lebensabend ein bisschen was hat, was? So wie meine Großmutter, alles unter die Matratze. Aber die Alten haben alle recht gehabt. Das hätte ich niemals damals als junge Frau, so hab ich das nie für voll genommen. Die Alten haben immer gesagt: Spare in der Not! Siehste. Und jetzt? Jetzt ist kacke..."

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