30 Jahre Bologna-Reformen

Von wegen "Bildungsrepublik Deutschland"

Blick in einen Hörsaal voller Studenten: Erstsemester-Begrüßung an der Universität zu Köln
Gleich mit dem ersten Semester geht die Jagd nach Punkten und Scheinen los... © picture alliance / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt
Von Rolf Schneider · 27.08.2018
Vor 30 Jahren begann mit der Unterzeichnung der "Magna Charta der Universitäten" in Bologna die Harmonisierung der europäischen Studiengänge und Abschlüsse. Der Bologna-Prozess war ein Fehler, den man rückgängig machen sollte, meint Schriftsteller Rolf Schneider.
Vor einiger Zeit hatte ich ein Gespräch mit der Dozentin einer renommierten Berliner Fachhochschule. Sie beklagte das allgemeine Klima in ihren Veranstaltungen. Die Studenten seien gehetzt, immerfort bloß auf der Jagd nach den erforderlichen Leistungspunkten, Zeit für innerstudentische Kontakte bleibe ihnen kaum, für außerdisziplinäre Interessen auch nicht. Das intellektuelle Niveau an der Hochschule habe spürbar abgenommen, der gesamte Betrieb sei angelegt auf Verschulung. Verantwortlich für alles das sei der Bologna-Prozess.
Diese Eindrücke könnten als subjektiv abgetan werden, wären sie vereinzelt. Doch seit vielen Jahren äußern sich, mit ähnlichem Urteil, noch andere Hochschullehrer. Bereits 2012 sprach sich der damalige Präsident der deutschen Hochschulrektorenkonferenz entschieden gegen Bologna aus. Eine große Tageszeitung nannte die Reform samt ihren Auswirkungen rundum einen "Unfall mit Fahrerflucht".

Die Ziele der Reformen? Nicht erreicht

Der Bologna-Prozess begann vor 30 Jahren. Sein Ziel war eine Homogenisierung des Hochschulbetriebs in Europa, unter anderem sollte er das problemlose Gaststudium an ausländischen Bildungseinrichtungen ermöglichen. Vor allem aber ging es um mehr Effizienz und um kürzere Studienzeiten.
Für den größeren Teil aller Fächer war und ist eine Ausbildungszeit von drei Jahren vorgesehen, mit dem Abschluss als Bachelor. Ein qualifizierter Teil der Absolventen darf noch ein weiteres Jahr anhängen, um dann Master zu sein. Dritte und letzte Graduierung ist die Promotion, das Diplom findet nicht mehr statt. Den Bologna-Prozess kontrolliert eine umständliche, teils internationale, teils nationalstaatliche Bürokratie.
An den bundesdeutschen Hochschulen wurde die Reform um die Jahrhundertwende eingeführt. Inzwischen erweist sich, dass keines der ursprünglich angestrebten Ziele erreicht worden ist. Die Zahl deutscher Gaststudenten an ausländischen Hochschulen ist heute geringer als vor Einführung der Bologna-Reform. Ein Grund dürfte auch die mit drei Jahren entschieden knapp bemessene Regelstudienzeit sein. Zudem wird nur in etwa der Hälfte aller Fälle ein Auslandsemester überhaupt anerkannt.

Die Ausbildung von Fachidioten

Die Verschulung und das Leistungspunkte-System führen, so heißt es, zur Herstellung von Fachidioten. Dem Bachelor-Abschluss ermangle zudem die notwendige Anerkennung, da die bis dahin erworbenen Kenntnisse als ungenügend gelten, was die Jobsuche erschwert. Der Homogenisierungsbemühung auf europäischer Ebene zuwider läuft zudem der bundesdeutsche Bildungsföderalismus, der unterschiedliche Standards an den einzelnen Universitäten bedingt. Kommt hinzu, dass Studienfächer, die mit einem Staatsexamen abschließen, wie Medizin und Rechtswesen, aus der Reform ohnehin herausfallen.
Hierzulande gab es inzwischen ein paar Korrekturversuche, aber die fruchteten nicht. Dazu gehörte auch die zentralstaatlich ausgerufene Exzellenzinitiative, die freilich bloß der PR und der Forschung zugutekam.

30 Jahre vergeblicher Mühen sind genug

Insgesamt hat der Bologna-Prozess die Grundlagen der seit Wilhelm von Humboldt gültigen universitären Praxis zerstört. Deren Kennzeichen waren die Einheit von Lehre und Forschung sowie jene Freiheiten, die zur Herausbildung einer allseits gebildeten akademischen Persönlichkeit führen. Die Leistungen deutscher Wissenschaft in der Vergangenheit, ablesbar an der Zahl der Nobelpreise, sprachen für das Humboldtmodell.
Die amtierende Kanzlerin wollte Deutschland zu einer Bildungsrepublik machen. Die Ergebnisse sind mehr als dürftig, auch im internationalen Vergleich. 30 Jahre vergeblicher Mühen sind nun genug. Deutschland sollte sich aus dem Bologna-Prozess besser ausklinken und zu früheren Formen des Hochschulbetriebs zurückkehren.

Rolf Schneider, geboren 1932 in Chemnitz, war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller und Essayist. Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte.

Der Schriftsteller Rolf Schneider
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