25 Jahre Berliner Kältehilfe

Ein Schlafplatz in der Not

Schnelle Hilfe: Ein Obdachloser hält einen Becher warmen Tee in der Hand, den ihm ein Mitarbeiter der Berliner Kältehilfe gegeben hat.
Schnelle Hilfe: Ein Obdachloser hält einen Becher warmen Tee in der Hand, den ihm ein Mitarbeiter der Berliner Kältehilfe gegeben hat. © dpa / picture alliance / Maurizio Gambarini
Von Matthias Bertsch · 05.04.2015
Seit 25 Jahren rettet die Berliner Kältehilfe Obdachlose vor dem Erfrieren, indem sie ihnen in kalten Winternächten einen Schlafplatz anbietet. Doch die Bemühungen reichen kaum noch aus - denn es kommen nicht mehr nur Obdachlose.
Gegen 21 Uhr ist Einlass, danach gibt es ein Abendessen, und morgens um acht Uhr, nach dem Frühstück, müssen die Menschen wieder auf die Straße: An diesem Grundprinzip der Notübernachtungen hat sich seit Gründung der Kältehilfe nichts geändert. In anderen Bereichen dagegen schon. Aus dem als Erfrierungsschutz für Obdachlose geplanten Projekt sei längst eine Art Frühwarnsystem für soziale Probleme in viel größerem Umfang geworden, betont Johannfried Seitz-Reimann. Er ist Leiter der Koordinierungsstelle Kältehilfetelefon, die Auskunft zu Adressen und freien Notschlafplätzen gibt und Daten über die Auslastung der Notübernachtungen sammelt.
"Wenn man sieht, wie gemischt und vielfältig die Menschen sind, die in den Notübernachtungen im Winter Zuflucht suchen, das sind EU-Bürger, Migranten aus anderen Ländern, das sind zum Teil psychisch Kranke, sind physisch Kranke, das sind neuerdings auch Familien mit Kindern in zunehmender Anzahl, und da sieht man einfach, dass die Kältehilfe einen großen Bedarf auffängt, für den hinreichende soziale Auffangsysteme nicht in ausreichendem Maße existieren."
29 Notübernachtungen und Nachtcafés, letztere sind nur an bestimmten Tagen in der Woche geöffnet, bieten im Schnitt 530 Übernachtungsplätze pro Tag, 50 mehr als im vergangenen Jahr. Doch die Nachfrage ist immer noch größer, im Februar wurden teilweise bis zu 700 Übernachtungen gezählt. Dass so viele Menschen überhaupt aufgenommen wurden, liegt vor allem an der Notübernachtung der Stadtmission in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs. Die Einrichtung ist für 100 Obdachlose ausgelegt, doch niemand wird abgewiesen, sodass oft bis zu 200 Menschen dort übernachteten. Menschen wie der 19-jährige Janis aus Lettland.
"Ich bin wegen der wirtschaftlichen Lage in Lettland hier. Man verdient dort 300 Euro im Monat, das ist wenig angesichts der Preise dort. Die Preise sind wie in Deutschland, eine Flasche Wasser kostet 1,50 Euro, Zigaretten kosten fünf Euro. Aber in Deutschland kann man 700 oder sogar 1.000 Euro verdienen, wenn man einen Job hat. Ja, ich bin vor der schlechten wirtschaftlichen Lage in Lettland abgehauen."
Viele Migranten aus Osteuropa
In manchen der Einrichtungen sind Migranten aus Osteuropa, die in Berlin Arbeit suchen, längst die Mehrheit der Gäste. Auch der 45-jährige Radimi aus Tschechien hat viele Nächte in einer Notübernachtung verbracht. Er ist froh, dass er nicht auf der Straße schlafen muss, aber sein größtes Problem ist ein anderes:
"Ich möchte Arbeit, aber das ist nicht so einfach zu finden. Ich habe langsam keine Kraft mehr dazu. Ich verliere langsam die Hoffnung, um ehrlich zu sagen."
Die Suche nach Arbeit ist ein zentrales Thema, diese Erfahrung macht auch Petra Schwaiger immer wieder. Schwaiger ist Mitarbeiterin bei den Frostschutzengeln, einem Projekt, das in Berlin lebende obdachlose Menschen aus Osteuropa in Notübernachtungen und anderen Einrichtungen der Kältehilfe in ihren Muttersprachen berät und sie darin unterstützt, ihre Rechtsansprüche geltend zu machen. Die Kältehilfe sei wichtig, sagt sie, aber oft viel zu sehr auf das Geben von Almosen reduziert.
"Eigentlich geht es uns darum, den Menschen wieder so weit zu stabilisieren, dass er sich seine eigene Suppe, wann er möchte, kochen kann, und haben kann. Und das ist oft irritierend auch für Menschen, die in der Kältehilfe arbeiten, weil das gerade ja ihren Wert ausmacht - die Suppe geben, versorgen, tätscheln, und jetzt nicht gerade anschubsen und sagen: Jetzt machen Sie mal was, damit Ihre Rechte umgesetzt werden."
Mehr als ein Schlafplatz im Warmen
Eine Kritik, die auf ein grundsätzliches Problem der Kältehilfe verweist. Indem die Helfer den Schutz vor dem Erfrieren in den Mittelpunkt stellen, übersehen sie oft, dass immer mehr Betroffene mehr und anderes brauchen als nur einen Schlafplatz im Warmen.
"Ich frage mich im Winter immer, was machen wir mit den Menschen nach dem 31. März, weil dann sind die nämlich wieder auf der Straße und nicht mehr in den Kirchengemeinden. Gut, im Winter ist es vielleicht kurz mal auch für viele kurz verschnaufen, gut es gibt einen Schlafplatz irgendwo, was passiert dann eigentlich? Also im April sind die Menschen wieder auf der Straße."
In Frage stellen will Ulrike Kostka die Kältehilfe zwar nicht, aber auch die Direktorin des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin räumt ein, dass das Engagement der vielen Haupt- und Ehrenamtlichen in Notübernachtungen, Suppenküchen, Tagestreffs und Kleiderkammern – sie alle sind Teil der Kältehilfe – eigentlich auf andere Probleme verweist.
"Wir haben viel EU-Zuwanderung, da muss es darum gehen, die Menschen schnell in Arbeit zu bringen. Das Zweite ist: Die Kältehilfe ist ein tolles System und es ist gut, dass sie über den Winter läuft. Aber wir haben ein ganzjähriges Problem mit Unterbringung, das liegt auch an der Wohnungsarmut.Es kommen einfach immer mehr Menschen nach Berlin, die einen Schlafplatz brauchen, die in Not sind, und das ist mittlerweile nicht mehr von den Temperaturen abhängig."
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